„Kann mich dem nicht entziehen“ARD-Film über Daniel Cohn-Bendit und sein Jüdischsein

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Daniel Cohn-Bendit bricht auf nach Israel und beginnt eine persönliche Suche nach seinem eigenen Judentum.

Köln – Viele kennen Daniel Cohn-Bendit als Alt-68er. Oder als Grünen der ersten Stunde. Oder als Europapolitiker. Oder als deutsch-französischen Grenzgänger. Oder als literaturbegeistertes Fernsehgesicht.

Nur wenige kennen ihn aber als Juden. Auch deshalb, weil ihm das lange nicht wichtig war. „Meine Frau hat immer schon gesagt: Du machst es dir zu einfach“, sagt Cohn-Bendit im Gespräch mit unserer Redaktion. Dennoch habe er erst vor etwa zehn Jahren begonnen, sich mit seinem Judesein ernsthaft zu beschäftigen. Das habe „sicher auch mit dem Alter zu tun“, sagt der heute 75-Jährige, aber betont, dass damit „keine Wende zur Religion“ einhergehe. „Ich bin Atheist, mit Gott hat das nichts zu tun.“

Für die Dokumentation geht Cohn-Bendit auf die Suche nach Antworten

Eher mit Gesprächen mit seinem älteren Bruder Gabriel, bei dem der deutlich jüngere Daniel nach dem Tod seiner Eltern zeitweise gewohnt hat. Der Streitpunkt zwischen den beiden: Kann man willentlich aufhören, Jude zu sein, so, wie man aus der Kirche austritt oder aufhört sich als Trotzkist zu verstehen? „Ich habe immer gespürt, dass das nicht geht, weil andere das Jüdischsein meiner Familie immer in das Bild integriert haben, das sie sich von mir gemacht haben“, sagt Cohn-Bendit. „Wir werden von anderen zu Juden gemacht.“

Immer mehr hat er aber auch innerlich gemerkt: „Ich bin Teil dieser jüdischen Schicksalsgemeinschaft, ich kann ich mich dem nicht entziehen.“ Wenn er Bilder eines kleinen Jungen aus dem Warschauer Ghetto sieht, dann, sagt er, „spüre ich, dass ich das hätte sein können“. Wenn gerade in der Coronazeit in Deutschland und Frankreich der Antisemitismus wächst, dann, sagt er, „trifft mich das ganz persönlich, dann bin ich Jude.“

Die Frage, wie er sich jüdisch fühlen kann ohne im Geringsten jüdisch zu leben, hat Cohn-Bendit so sehr umgetrieben, dass er daraus einen Film gemacht hat, der jetzt in der ARD zu sehen ist. Seine Suche hat ihn dabei nach Israel geführt, wo er sehr unterschiedlichen Menschen eben diese Frage gestellt hat: Was macht Judesein aus? Und: Hat das Bedeutung für mich? „Ich habe gemerkt, dass Judesein in Israel doch sehr anders ist“, sagt Cohn-Bendit. Auch deshalb wolle er dort „nie leben“. Reisen nach Israel und Gespräche dort seien aber immer lebendig und spannend, faszinierend und traurig zugleich. „Ich bin hinterher immer fix und foxi.“

Im Gespräch mit Liberalen, Orthodoxen und Immigranten in Israel

In der Tat: Die Gespräche sind spannend, denn Cohn-Bendit trifft sehr unterschiedliche Menschen. Liberale und Orthodoxe, Siedler und Friedensaktivisten, europäische und äthiopische Immigranten, eine Rabbinerin, einen früheren Militär- und Geheimdienstchef. Sehr unterschiedliche Meinungen stehen nebeneinander. Cohn-Bendit hört aufmerksam zu, fragt nach, widerspricht oder lässt die Aussagen stehen, wie sie sind. Manchmal sieht man ich geradezu denken und denkt unwillkürlich mit.

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Die Regie des Films liegt in der Hand von Cohn-Bendits Stiefsohn Niko Apel; auch sein Bruder Gabriel ist im Film zu sehen, ebenso wie sein Sohn Bela, der zwar kein Jude ist, aber sich im jüdischen Sportverein TuS Maccabi Frankfurt als Jugendtrainer engagiert. Sind der Film und das Judesein also auch ein Familienprojekt? „Ja, naja“, sagt Cohn-Bendit und zögert. Familiär präsent sei das Thema schon, sagt er, gerade jetzt, wo schon die nächste Generation heranwächst.

Aber nicht als Konflikt, auch nicht als Familienerbe, zumal seine Frau Ingrid Apel keine Jüdin sei, sondern in aller Freiheit. „Wer Jude sein will, soll es sein, wer nicht will, nicht.“ Nur er selbst kann und will sich dem nicht mehr entziehen.

Daniel Cohn-Bendits neuer Film „Wir sind alle deutsche Juden“ läuft am Montagabend um 23.35 Uhr im Ersten und ist bereits seit dem 8. Oktober in der ARD Mediathek verfügbar.

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