Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Oper im StaatenhausSo lief die Premiere von Wagners „Fliegendem Holländer“ in Köln

Lesezeit 3 Minuten
Der Holländer (James Rutherford) und Senta (Ingela Brimberg).

Der Holländer (James Rutherford) und Senta (Ingela Brimbeg).

Die Premiere von Richard Wagners „Fliegendem Holländer“ erhielt im Staatenhaus brandenden Applaus. Die moderne Inszenierung ist in der Zeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs angesiedelt.

So sehen heute Schatztruhen aus: Rostig, zerschrammt und verbeult. Enge Kammern aus Stahl bedruckt mit Ziffern und Logos – in weltweiter Serie produzierte Container eben. Ihr größter Reiz liegt wohl im unbekannten Inhalt. Stapelweise werden sie auf bombastischen Schiffen zu den großen Umschlagplätzen gebracht – oder sie havarieren.

In diese Industriewelt taucht Benjamin Lazar nun mit seiner Inszenierung von Richard Wagners Romantischer Oper „Der Fliegende Holländer“ ein. Dabei verortet er in das Osteuropa der 1990er Jahre. Die Sowjetunion zerfällt gerade. In der Schatzkiste liegen Waffen. Das alles fokussiert sich aufs Containerschiff.

Orchester im Maschinenraum

Der über die Meere irrende, verfluchte Holländer (gediegen: James Rutherford) spaziert aus einer Kiste, seine Retterin Erlöserin, Senta (mitreißend: Ingela Brimberg) aus einer anderen. Was an dieser Produktion so gelungen ist, ist die Schlichtheit der Bilder: Nackte Neonröhren und vergitterte Kellerleuchten werfen ein dumpfes Licht an Bord.

Pultleuchten lassen Einblicke in den „Maschinenraum“ erhaschen, in dem das Gürzenich-Orchester unter der Leitung von François-Xavier Roth fast zweieinhalb Stunden in drei Aufzügen höchst agil ohne Unterlass spielt: Liebeslieder, Stürmisches, Tragisches – immer wohl ausbalanciert, die Solisten aufmerksam, mitunter zu zurückhaltend begleitend, auch bei hohem Seegang.

Der Chor (Leitung Rustam Samedov) brilliert auf der Brücke des Schiffs. In seinem Rollendebüt begeisterte SeungJick Kim, und für Bühne und Kostüm bekam Adeline Caron vom brandenden Schlussapplaus auch etwas ab.

Dass Lazar die Oper in den östlichen Kontext setzt, der Chor mit slawischen Trachten den Karneval feiert, ist überhaupt nicht aus der Welt gegriffen. Vom lettischen Riga flüchtete Wagner per Schiff 1839 vor seinen Gläubigern nach England. Die Matrosengesänge inspirierten ihn dabei.

Puppe unter der Plane

Slawische Bräuche und Feste sind in der neuen Inszenierung fester Bestandteil. Eine riesige Puppe liegt unter der Plastikplane auf der Bühne im Staatenhaus, die zum Ende der Butterwoche „Masleniza“ verbrannt werden soll. Damit endet die Fastenzeit, aber auch zur Erinnerung an die Unverheirateten, den Bund fürs Leben zu schließen, dienten die Bräuche der Masleniza-Woche.

Seinen Holländer legte Wagner so sagen- und mythen umwoben an, dass er in seiner Wahrnehmung über die Zeiten hinweg aktuell ist. Zuvor hatte Heinrich Heine an das Seemannsgarn in den „Memoiren des Herren von Schnabelewopski“ (1874) angeknüpft, an die Sage vom Kapitän, der durch einen Fluch dazu verdammt worden ist, bis zum jüngsten Tag mit seinem Gespensterschiff auf dem Meer umherzuirren, ohne in einen Hafen einlaufen oder Erlösung im Tod finden zu können. Einzig durch die Liebe einer Frau lässt sich der Fluch brechen. „Die Moral des Stückes ist für die Frauen, dass sie sich in Acht nehmen müssen, keinen Fliegenden Holländer zu heiraten“, bilanzierte Heine.

Strenge Amme

Entsprechend streng ist Sentas Amme Mary (erfurchtgebietend: Dalia Schaechter) dahinter her, dass sich die Tochter des Seemanns Daland (Neuzugang Karl-Heinz Lehner erweist sich als Gewinn) nicht in das Abbild des Holländers verguckt. Aber Senta möchte unbedingt die Erwählte sein, das muss ihr Verlobter Erik (anrührend: Maximilian Schmitt) schmerzvoll erfahren.

Für Dramaturgin Svenja Gottsmann steht fest, dass sie „rauswill aus dem Biedermeier, dem Mief.“ Ob es die richtige Entscheidung war, dem Holländer bedingungslos zu folgen? Über weite Teile der Oper hält Senta Rückschau, spaziert unbemerkt im Bühnengeschehen, als habe sie eine Tarnkappe auf. Ein gelungener Kniff.


Auf einen Blick

Das Stück: Richard Wagner erzählt als Komponist und Librettist die Sage vom Kapitän, der bis zum jüngsten Tag verflucht ist, auf dem Meer zu bleiben, es sei denn, die liebende Frau erlöst ihn. Alle sieben Jahre darf er an Land auf Suche gehen.

Die Musik: Romantische Oper in drei Aufzügen, die zwischen stürmisch und innig changieren.

Die Regie: Benjamin Lazar ist konsequent modern, wirft Fragen zum Verbleib des Schiffs Sowjetunion auf. (jan)