Wenn der Vater ein rechter Attentäter istKölner Autorin Traudl Bünger schreibt Buch über Geheimnisse ihrer Familie

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Die Autorin Traudl Bünger

Erzählt eine sehr persönliche Geschichte: Autorin Traudl Bünger.

Traudl Büngers Vater wurde 1979 angeklagt, als junger Mann Anfang der 1960er Jahre an Bombenattentaten in Italien beteiligt gewesen zu sein.

Familiengeheimnisse — dabei geht es oft um Affären, uneheliche Kinder, verschwiegene Adoptionen oder um Verwandte, zu denen der Kontakt abgebrochen wurde oder die sich aus dem Staub gemacht haben. Das Geheimnis, über das in Traudl Büngers Familie beharrlich geschwiegen wurde, nimmt sich dagegen umso schwerwiegender aus: Ihr Vater Heinrich Bünger wurde 1979 angeklagt, als junger Mann Anfang der 1960er Jahre an Bombenattentaten in Italien beteiligt gewesen zu sein. Bis zu seinem Tod im November 2016 hat er nicht darüber gesprochen, Fragen zu diesem Thema schlicht ignoriert.

2019 begibt sich Traudl Bünger, die lange zum Programmteam der lit.Cologne gehörte, auf eine Spurensuche: Sie durchforstet Archive in ganz Deutschland, liest 60.000 Seiten Akten, spricht mit Zeitzeugen, Experten und dem Zwillingsbruder ihres Vaters. Und so entstand aus den verschiedenen Quellen das Bild, wie es dazu kam, dass Heinrich Bünger sich so sehr radikalisierte und auf fatale Weise im Südtirolkonflikt engagierte. Das Resultat liegt nun in Buchform vor: „Eisernes Schweigen“.

Akten im Behördenschungel

Die Gebrüder Bünger, Jahrgang 1935, aufgewachsen in Hitler-Deutschland, schließen sich während des Studiums Burschenschaften an und verstricken sich auf diesem Wege in den Netzwerken ehemaliger Nazis und neuer Rechter.

„Eigentlich hat mein Vater genau das getan, was die BRD in dieser Zeit tat: die Sünden der Vergangenheit weit weggeschoben und sich auf eine strahlende Zukunft konzentriert. Nur mit dem Unterschied, dass mein Vater wenig hielt von der unantastbaren Würde des Menschen, dem Grundsatz der Verfassung, auf dessen Basis sich sein Land gerade neu erfand“, schreibt Bünger. „Aber ich kann nicht bestreiten, dass ein Teil von mir sich gewünscht hat, dass mein Onkel und mein Vater keine konsequenten Holocaustleugner waren, sondern nur in irgendetwas hineingestolpert sind.“

Denn eins führt zum anderen, und die beiden jungen Männer beteiligen sich an Bombenattentaten in italienischen Städten, die der Forderung nach der Selbstständigkeit Südtirols explosiven Nachdruck verleihen. Es soll dabei nur Sachschaden entstehen. Doch die Zeitzünder, die Traudl Büngers Vater baut, aktivieren die Bomben nicht nachts, sondern vormittags. Dabei kommt ein Mann ums Leben, Weitere werden verletzt. „Er wollte niemanden töten. Und hat es dennoch getan“, hält seine Tochter fest.

Wer sich als Erster bewegt, hat verloren

Erst 17 Jahre später werden Heinrich Bünger und seine Komplizen dafür in Deutschland vor Gericht stehen. Wie es zu dieser immensen Zeitverzögerung kommt, liest sich bisweilen wie ein Thriller, mit Spannungselementen wie einem politisch motivierten Schauprozess gegen einen der Mittäter in der damaligen DDR oder einer Flucht nach Namibia, wo sich Traudl Büngers Onkel Fritz jahrelang mehr oder minder versteckt hält.

Es ist auch eine Geschichte aus dem deutschen Föderal- und Behördendschungel: Akten, die monatelang nicht weitergegeben werden oder Ewigkeiten brauchen, um von A nach B zu gelangen. Vorgänge, die zwischen Ämtern hin- und hergeschoben werden — der Witz vom Beamtenmikado kommt beim Lesen in den Sinn: Wer sich als Erster bewegt, hat verloren. „Es ist zynisch, aber die Stasi-Unterlagen sind die reine Freude. Keine fallen gelassenen Handlungsstränge, keine verzögerten Ermittlungen quer über Grenzen von Bundesländern hinweg“, stellt Bünger fest.

Die Leserschaft nimmt sie mit auf eine Reise auf die dunkle Seite ihrer Familiengeschichte — wortwörtlich. Denn die Chronologie der Recherche bestimmt den Rhythmus des Buches. Es geht vor und zurück in der Zeit, mal zum einen, mal zum anderen Archiv und immer mal wieder zum gesprächs-, aber nicht bußbereiten Onkel, der seinen Zwillingsbruder überlebt hat. Bei der Vielzahl von Namen, Orten, Daten kann man leicht ins Schleudern geraten, ein Glossar mit einer Liste der wichtigsten Personen wäre hilfreich. Im Zuge der Recherche kommt die Autorin ihrem Vater zwar auf die Schliche, was das Attentat betrifft. Doch bei aller Liebe und Zuneigung, die sie nach wie vor für ihn hegt, hatte sie es zuvor schon nicht leicht mit ihm. „Wenn ich Kinder mit Migrationshintergrund zu meinem Geburtstag einladen wollte, gab mein Vater mir eine Quote vor. Eigentlich fast erstaunlich, dass sie bei zwei und nicht bei null lag.“

Holocaust-Lüge aufgetischt

Und schon mit acht Jahren bekam sie eine unglaubliche Holocaust-Lüge aufgetischt: „Keine sechs Millionen seien getötet worden, vielleicht ein paar Tausend“, habe ihr Vater ihr erzählt. „Und auch nur in einer absoluten Notlage: Als die übermächtigen Feinde über Deutschland hergefallen sind, kam es zu Nahrungsmittelknappheit. Man habe sich entscheiden müssen, wen man ernähren wolle: die Brüder und Schwestern oder die Fremden. Da habe man sich für das eigene Volk entschieden und den Juden einen höflichen Brief geschrieben, mit der Bitte, das Land zu verlassen. Ich weiß noch, dass ich das mit dem ,höflich' gut fand. Nur denjenigen, die der Bitte nicht nachgekommen seien, habe man einen völlig schmerzfreien Tod in der Gaskammer bereitet.“

An dieser und vielen anderen Stellen offenbart sich jedoch: Während das Buch um den Vater kreist, bleibt Büngers Mutter praktisch unsichtbar. Sie taucht an hin und wieder auf, nur in einer Passage beschreibt ihre Tochter sie als das moralische Gegengewicht zum Vater. Doch wie sie genau zu seinen Ansichten und seinen Taten steht, wie sie die Verhaftungen und den Prozess erlebt hat, bleibt ein Familiengeheimnis.

Traudl Bünger: Eisernes Schweigen. Das Attentat meines Vaters – eine deutsche Familiengeschichte. Kiepenheuer und Witsch, 384 S. 24 Euro.

Am 17. April, 19.30 Uhr stellt Traudl Bünger ihr Buch im Kölner Literaturhaus vor.

In der ARD-Mediathek findet sich auch der Podcast „Eisernes Schweigen. Über das Attentat meines Vaters“.


Der Südtirol-Konflikt

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das deutschsprachige Südtirol durch Italien annektiert, es folgte ein Verbot der deutschen Sprache im Schulunterricht und in öffentlichen Einrichtungen. Als Hitler Mussolini verspricht, dass Südtirol ein Teil Italiens bliebe, betrachten das viele als Verrat. Ab Mitte der 50er Jahre versuchten Separatisten mit Bombenattentaten die Loslösung zu erzwingen. Unterstützung erhielten sie dabei unter anderem auch von Heinrich und Fritz Bünger. Später fand man über diplomatische Lösungen eine Befriedung des Konfliktes, und der Landesteil gehört zu den wohlhabendsten Italiens. (EB)


Zur Person

Geboren wurde Traudl Bünger 1975 in Siegburg. Lange Jahre arbeitete sie für die lit.Cologne, die lit.Ruhr und die phil.Cologne und konzipierte Themenabende. Unter anderem verfasste sie mit Roger Willemsen der Text „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Die Weltgeschichte der Lüge“. Willemsen und Dieter Hildebrandt präsentierten ihn auf der lit.cologne 2007. (EB)

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