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Visionärer BlickHappening-Künstler Wolf Vostell bleibt noch heute aktuell

Lesezeit 4 Minuten
1982 entstand Vostells Collage mit dem Titel Fluxus-Zug, die das Museum Morsbroich in Leverkusen zeigt.

1982 entstand Vostells Collage mit dem Titel Fluxus-Zug, die das Museum Morsbroich in Leverkusen zeigt. 

Der Kölner Wolf Vostell wäre mittlerweile 90 Jahre alt. Was der Fluxuskünstler vor gut einem halben Jahrhundert in seinen Happenings thematisierte - ob Umweltverschmutzung, Krieg oder Medienkonsum -    erscheint heute aktueller denn je. 

Der Kopf verschwindet mal im Karton, mal taucht er ins kleine Planschbecken – Fluxuskünstler Wolf Vostell (1932 bis 1998), Altvater des Happenings, gab Regieanweisungen für scheinbaren Unfug: „Schuhe ausziehen, Lichtschalter betätigen“ – und das im Minutentakt zwischen einer Menge anderer Spontanaktionen.

Umweltschutz

Doch was die vorwiegend zwischen 1930 und 1940 geborenen Teilnehmer seiner Aktionskunst dabei inszenierten, wurde zum Gesprächsstoff, der mit über einem halben Jahrhundert Abstand verblüffend aktuell wirkt. Kreisten die Happenings doch immer um zentrale Themen wie Krieg – damals in Vietnam – Umweltverschmutzung, Autokraten und Möchte-Gern-Herrscher. 

„Die Menschenrechte sind Kunstwerke“ lautet der Titel der Schau, die das Museum Morsbroich Leverkusen derzeit Wolf Vostell widmet. Der Künstler wäre im Herbst 90 Jahre alt geworden, die Quintessenz seiner Happenings hielt er in Collagen oder Videos fest.

Immer auf die Gegenwart bezogen, legte er den Finger in die Wunden der Gesellschaft, verwies schon früh auf den Umweltschutz, kranke Bäume und das Verpesten der Atemluft. Sein Credo: „Wir müssen der Natur dienen, die Natur muss uns nicht dienen“, erklärt er in einem fast schon prophetisch wirkenden Video, das im Filmraum des Schlosses in der Dauerschleife gezeigt wird.

Aus der Agonie heraus

Seine Happenings sollten die Menschen aus den Konzert- und Theatersesseln reißen, aus der Agonie heraus in Aktion bringen, auf dass sie sich nicht mit der „Zwangsernährung durch das Fernsehen“ begnügten. Er wollte den Diskurs fördern, erfuhr aber immer wieder, dass das ein zähes Unterfangen war.

Die Zuschauer als Teilnehmer erhielten Texte, Partituren und Handlungsempfehlungen. Die Wirklichkeit sollte neu und ungewohnt sein. Bei seinem Happening in Ulm 1964 zum Beispiel machte Vostell den Militärflugplatz Leipheim zum Konzertsaal, setzte sein Publikum in die Stuhlreihen auf Betonplatten. Die Reaktionen auf das ohrenbetäubende Kreischen der Düsenjäger zeugten nicht gerade von Wohlgefallen, eher von einem Konzert des Schreckens.

Vostell bezog jeden Betrachter eines Happenings mit ein. Henry Geldzahler vom New Yorker Metropolitan Museum of Art vermutete darin eine „Art von Gruppentherapie“. Die Teilnehmer sollten sich unmittelbar nach der Aktion austauschen. „Das Theater ist auf der Straße“, so lautete der Titel für das erste europäische Happening, das der Kölner Künstler 1958 in Paris umsetzte – und konsequent weiterentwickelte: 50 Aktionen gelebter Kunst folgten bis 1988.

Plakatabrisse

Das Museum Morsbroich greift auf die eigene Sammlung zurück und zeigt sie in der obersten Etage des Leverkusener Barockschlosses. Ab 1954 entstehen die Décollagen, Plakatabrisse, die er auf den Lebensentwurf insgesamt überträgt. Auch die Collage „Miss Vietnam“ (1967) ist zu sehen, die nach dem gleichnamigen Happening entstand, das ein Jahr zuvor auf einem Kölner Schießstand stattfand.

An Dringlichkeit haben die Aktionen von damals nicht verloren. Der Krieg bleibt präsent: Vostell zeichnete eine Bombe im Frauenleib. Mit der Siebdruckserie „Olympia“ bezog er kritisch Position zu den Spielen in München. Tote Soldaten des Vietnamkriegs stehen dabei in Kontrast zur frenetischen Feier olympischer Ideale. Nicht wiederholbar Beklemmend wirkt seine Installation, in der die Autoabgase einer Mercedes-Staatskarosse in den Mund einer Leiche aus Gips strömen.

Kommunikation als Knochenarbeit

Dazu spricht Vostell in die Kamera. Seine Botschaft über den bleischweren Zustand der Welt wirkt visionär vor dem in die Wege geleiteten Verbrennerverbot. Gleichsam thematisiert er die Trauer über die „Erschöpfung des Humanen“. Vostells Happenings waren nicht wiederholbar. Das hätte den Effekt der Irritation und Anregung verwässert, da Reproduktionen nicht mit der gleichen Intensität durchgeführt worden wären, ein Gewöhnungseffekt hätte womöglich eingesetzt.

„Kommunikation ist Knochenarbeit“, folgerte der Künstler , und demonstrierte die Ergebnisse seiner Arbeit im Bild „Fluxus-Zug“ von 1982: Auf schwarzer Spanplatte ist ein grünes Telefon mit Wählscheibe angebracht. Statt des Hörers liegt ein Knochen auf der Gabel, ein Tierschädel ist auf die Sprechmuschel gerichtet. Vostells Kommentar: „Wir können mehr von Tieren lernen, als vom Telefonieren.“

Arbeit mit Karlheinz Stockhausen

1932 wurde Wolf Vostell in Leverkusen Schlebusch geboren. Von 1950 an setzte er erste künstlerische Ideen um, 1953 begann er eine Lithografenlehre und besuchte die Werkkunstschule an der Bergischen Universität in Wuppertal. 1955/1956 besuchte er die Pariser École nationale supérieure des beaux-arts und 1957 die Kunstakademie Düsseldorf. Beeinflusst von der Arbeit Karlheinz Stockhausens im elektronischen Studio des WDR entstanden 1959 elektronische TV-Dé-coll/agen. Damit begann sein Engagement in der Fluxus-Bewegung, die er 1962 mitbegründete. Er lebte in den 60er Jahren in Köln. Pop-Art und Happenings aus dem Geist der Musik prägten seine Arbeit.

Bis Mai, Di bis So, 11 – 17 Uhr, Gustav-Heinemann-Str. 80, Leverkusen