Kölner PhilharmonieSopranistin Sarah Aristidou singt im Ligeti-Experiment

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Die Sopranistin Sarah Aristidou singt Ligeti in der Kölner Philharmonie.

Die Sopranistin Sarah Aristidou singt Ligeti in der Kölner Philharmonie.

Der Komponist György Ligeti wäre im Mai 100 Jahre alt geworden. Sarah Aristidou singt nächsten Donnerstag in der Philharmonie die Hauptrolle in seinen „Mysteries of the Macabre“, begleitet vom WDR-Sinfonieorchester. Jan Sting sprach mit der französisch-zypriotischen Sopranistin.

Ligetis „Mysteries oft the Macabre“ scheinen so verrückt und quirlig, dabei droht die Welt unterzugehen. Für Sie als Sängerin dürfte es Schwerstarbeit sein. Wie eignen Sie sich die Musik und Interaktion mit viel Geschrei an?

Die „Mysteries“ sind eine Miniaturausgabe aus Ligetis Oper „Le grand Macabre“. Es gibt nur Textfragmente in einer Nonsenssprache. Damit habe ich angefangen. Dann erst kam die Arbeit mit den Noten und Rhythmen. Da muss man sehr viel Ruhe bewahren und meditativ herangehen. Am Ende fügt sich aber alles zusammen, wenn man mit Präzision in Körper und Kopf dabei ist, aber auch loslässt.

Welche Funktion übernehmen Sie in der Rolle als Gepopo, Chef der Geheimpolizei?

Vom ersten Moment an geht der Blick in alle Richtungen. Ich habe viel Moderne Musik gemacht und gehe mit sehr viel Respekt an dieses Stück. Takt für Takt habe ich geschaut, was genau da gerade passiert, bei den anderen, im Orchester. Sobald jemand wackelt, fällt es auseinander. Das schafft zusätzlichen Druck.

Wie nähern Sie sich der Rolle eines solchen Scheusals wie Gepopo?

Tatsächlich habe ich noch nie jemanden verkörpern müssen, der so furchtbare Taten begeht. Ich werde jetzt nicht mit einer Trauma-Arbeit beginnen, um zu verstehen, warum die Person geworden ist, wie sie ist. Der Name ist eine Anspielung auf Gestapo, die Politische Polizei. Die Botschaft der Inszenierung ist in diesem Fall vor allem, was er da gerade ankündigt. Er spricht vom Ende der Welt, vom Untergang des Planeten. Das Orchester hört ihm aber nicht zu. Dabei wird Gepopo immer aufgeregter und hilfloser. Darauf konzentriere ich mich.

Was gibt Ihnen das künstlerisch?

Das Stück ist ja nur vordergründig als Slapstick zu verstehen. Es bring viele schlaflose Nächte. Aber auch große Lust und positive Aufregung. Eine große Herausforderung. Wenn ich übe, denke ich, dass es technisch nicht schwierig ist. Es klingt verrückt, aber es bleibt im Rahmen der stimmlichen Möglichkeiten. Dafür können sich andere Dinge entfalten: Emotionen, Interaktion mit den Orchestermusikern – das bereichert ungemein. Es gibt eine riesige Wucht an Energie. Dabei muss man immer schauen, dass nicht auf einmal die Pferde mit einem durchgehen.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie Moderne Musik wegen des frischen Blicks so sehr mögen. Niemand sagt, wie man das interpretieren soll.

Nun, in dem Fall der „Mysteries“ ist das schwierig, weil die kanadische Sopranistin Barbara Hannigan, eine Ligeti-Spezialistin, schon verschiedentlich eine Vorstellung gab, wie es klingen soll. Sie tritt einmal in Latexuniform, dann als Go-Go-Girl auf. Ja, und ich habe für das Konzert auch schon ein Kostüm, das mir bei der Rolle ungemein hilft, ich verrate aber noch nichts (lacht).

Ligeti müsste Ihnen liegen, wenn er sich selbst mit dem Hanns-Guck-in-die-Luft aus dem Stuwwelpeter verglich.

Ich bin von Geburt an etwas stur und widerständig. Wenn ich das speziell auf das Stück beziehe, ist Ligeti in meinen Augen eine wahnsinnig humorvolle, aber auch sehr ernste und ehrliche Person. Ich finde es faszinierend, wie er es schafft, eine so ernste Botschaft und letztendlich die Angst vor dem Tod mit so viel Distanz, Leichtigkeit und Humor in der Musik zu verkörpern. Und was für Tonfarben er einsetzt. Wunderbar.

„Le grande Macabre“ spielt in einer Landschaft im düsteren Breughelland. Sehen Sie Bezüge zur Gegenwart?

Nicht, dass ich denke, das Ende der Welt ist da. Aber wir stoßen an unsere Grenzen. Die ganze Gesellschaft soll sich in Frage stellen. Das ist auch unsere Botschaft. Gepopo mag verrückt und panisch sein und Verfolgungsängste haben. Aber er kündigt etwas Reales an. Und wenn man den Zustand unseres Planeten sieht – das Rennen hinter der Zeit, immer dieses effizienter sein, immer mehr produzieren, Erfolg haben – uns fehlt die Intuition, das Sorgfältige. Man kann es auch weibliche Energie nennen. Diese Energie tragen wir alle in uns. Was auf dem Planeten passiert, ist nur ein Spiegel, was in der Gesellschaft und letztlich in uns geschieht. Jeder Wechsel fängt in uns an.

György Ligeti, Karlheinz Stockhausen, der jüngst verstorbene Friedrich Cerha. Was macht sie alle aus?

Die Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs waren noch nah. Ich kann mir vorstellen, dass sie sich neu definieren, eine Möglichkeit des Überlebens finden mussten. Und ich glaube, sie hatten dabei mehr Austausch untereinander als wir es heute haben. Sie waren sich bewusst, dass sich etwas ändern muss. In der Gesellschaft, in der sie sich nicht zurechtfanden, haben sie einen Weg gefunden, wie sie sich ausdrücken konnten.

Was würden Sie GyörgyLigeti zum 100. Geburtstag wünschen?

Weiterhin auf seine Stimme zu hören, der er immer vertraut hat. Weiterhin mit sich selbst in Verbindung zu bleiben. Denn dadurch hat er uns unglaubliche Stücke geschenkt und ein kleines bisschen die Welt verändert.

Am 28. Mai wäre György Ligeti, einer der bedeutendsten Komponisten der Neuen Musik , 100 Jahre alt geworden. Der WDR stellt ihn in seinem Philharmonie-Konzert am 23. März, 19 Uhr im „Ligeti-Experiment“ im Rahmen der deutschlandweiten ARD-Woche der Musik in den Fokus.

Das WDR Sinfonieorchester begleitet Ligeti und seine Weggefährten – mit Sandmalerei und Videokunst. Sarah Aristidou (Sopran) wird vom WDR Sinfonieorchester unter Roderick Cox in drei Arien aus der Oper „Le Grand Macabre“ (1974–77) begleitet. Die Fassung für Koloratursopran oder Solotrompete in C und Kammerorchester richtet Elgar Howarth unter dem Titel „Mysteries of the Macabre“ ein. Ligeti, der auch im Kölner Studio für Elektronische Musik wirkte, schrieb zudem das Stück „Lontano für großes Orchester“ und das Concert Românesc für Orchester. Zudem wird Béla Bartóks Konzertsuite „Der wunderbare Mandarin“ gespielt.

Clocks and Clouds (1972–73) für 12-stimmigen Frauenchor und Orchester von György Ligeti sind am 28. April, 20 Uhr in der Philharmonie beim Festival Acht Brücken zu hören. (jan)

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