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lit.Cologne-AbendAutorin Arundhati Roy präsentiert ihr neues Buch

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Autorin Arundhati Roy auf dem lit.Cologne-Abend in der Kölner Flora.

Autorin Arundhati Roy auf dem lit.Cologne-Abend in der Kölner Flora.

Auf dem lit.Cologne-Abend in der Kölner Flora stellte die preisgekrönte Autorin Arundhati Roy stellte ihr neues Buch vor.

Im Grunde ist der Titel der deutschen Übersetzung, „Meine Zuflucht und mein Sturm“, falsch gewählt. „Schon früh habe ich aufgehört, Schutz von ihr zu erwarten“, erzählt Arundhati Roy, die in dem Erinnerungsbuch die komplizierte Beziehung zu ihrer Mutter Mary Roy beschreibt, ihrer Gesprächspartnerin Jagoda Marinić auf dem lit.Cologne-Abend in der Flora. Da ist der englische Originaltitel „Mother Mary Comes to Me“ wohl zutreffender. Denn als die Tochter nach dem Tod der Mutter im September 2022 mit der Arbeit an dem Buch begann, passierten seltsame Dinge, ein Deckenventilator fiel herab, ein Wasserrohr platzte, ein Taxifahrer verlor seine Schlüssel: „Ich hatte das Gefühl, dass sie anwesend ist.“

Ironisch lesen muss man aber auch diesen Originaltitel, ein Zitat aus dem Beatles-Song „Let it be“. Denn die darin besungene Mother Mary ist weise und spendet Trost, doch damit hatte die selbstherrliche Mary Roy so gar nichts am Hut. Zumindest wenn es um ihre eigenen Kinder ging. Die Schauspielerin Therese Hämer liest einfühlsam eine längere Passage vor, in der die Mutter unter anderem als zügellos, unberechenbar, gewalttätig, hinterhältig und ruchlos bezeichnet wird. Sohn und Tochter leben in ständiger Angst vor ihren Tobsuchtsanfällen, sie zerschlägt auch mal ein Lineal auf dem Jungen, quält ihre Tochter noch auf dem Sterbebett mit Erzählungen von erfolglosen Abtreibungsversuchen.

Auf der anderen Seite ist Mary Roy eine visionäre Pädagogin und Schulgründerin, setzt sich für liberale Erziehungsmethoden ein und kämpft vor Gericht unerschrocken für Verbesserungen im Erbrecht, das Frauen stark benachteiligte. Was der Tochter so sehr imponiert, dass sie trotz aller Demütigungen, aller Willkür von „Liebe“ zu ihrer Mutter spricht. Auch als Erwachsene habe sie bei Auseinandersetzungen stets „die Waffen niedergelegt“, ihrer Mutter nicht ernsthaft widersprochen, bestätigt Arundhati Roy der erstaunten Jagoda Marinić.

Arundhati Roy.

Arundhati Roy.

Es heißt, eine Familie werde zerstört, wenn sie einen Schriftsteller in ihren Reihen hat. Das war bei mir kein Problem, die Familie war schon zerstört.
Arundhati Roy, Autorin

Podcasterin Marinić lobt den „an Shakespeare“ erinnernden Versuch, eine Figur mit all ihren Stärken und Schwächen darzustellen, als „Naturgewalt“ gleichsam. Doch Roy weist auch auf andere Aspekte hin: „In Indien werden Frauen vergöttert, wenn sie Mutter geworden sind, vor allem wenn sie einen Sohn geboren haben, den sie vergöttern.“ Ihre Mutter habe sich dieser „Falle“ entzogen, auch weil ihre Ehe eine Enttäuschung war und der Vater der Kinder früh verschwand. Weil sie die traditionellen Rollenbilder zurückwies, habe sie eine Freiheit erlangt, die ihr den rückhaltlosen Kampf für ihre politischen Ziele ermöglichte. Frei in jeder Hinsicht, „anarchisch“, nennt Arundhati Roy das und bewundert sie dafür. Die Mutter bot keine Zuflucht, ihre Haltung konnte immerhin als Vorbild dienen.

Dass die sehr nützlich und bitter nötig war, wird im Buch deutlich, wenn die Tochter ihren eigenen Werdegang darstellt. Chauvinismus gegenüber Frauen wird im Indien der 1970er Jahre offen ausgelebt, mit Übergriffigkeiten ist ständig zu rechnen. Aber mit ihrer Renitenz, ihrem Selbstverständnis als freier Frau und nicht zuletzt dem „Spirit“ des RocknRoll im Rücken genießt Arundhati Roy die Leichtigkeit des Seins, studiert Architektur, kifft viel, verkauft Kuchen in Goa, wohnt in Bruchbuden, lernt die Liebe ihres Lebens kennen, arbeitet als Schauspielerin und Drehbuchautorin. Dann wird sie mit dem Roman „Der Gott der kleinen Dinge“ 1997 zur weltweit gefeierten Schriftstellerin, die sich auch mit ihrem Engagement gegen Hindunationalismus, Kastenwesen und Staudammprojekte einen Namen macht.

„Meine Zuflucht und mein Sturm“ ist trotz einiger schwer erträglicher Details aus der Beziehung zwischen Mutter und Tochter ein mitreißendes, berührendes und vor allem humorvolles Buch geworden. Auch in der Flora wirkt Arundhati Roy durchaus heiter, gelöst, wenn sie über ihre Mutter spricht. Ob es wirklich so einfach ist?, fragt sich der Zuschauer. „Lesen Sie das Buch wie einen Roman“, fordert uns die Autorin auf. Am Ende singt der ganze Saal „Let it be“.


Neues Buch: „Meine Zuflucht und mein Sturm“, erschienen im S. Fischer-Verlag, S. 368, 26 Euro.