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Marija Aljochina bei der lit.cologneAls Pussy Riot einen verzweifelten Schrei erklingen ließ

3 min
Die Aktivistin trägt schwarz und hat einen Laptop auf dem Schoß. Neben ihr das Buch Political Girl. Im Hintergrund ein Banner der lit.cologne.

Marija Aljochina las bei der lit.cologne aus ihrem Buch „Political Girl “

Marija Aljochina musste ihrer russischen Heimat den Rücken kehren. In der lit.cologne stellte sie ihr Buch „Political Girl“ vor.

Kurz bevor Wladimir Putin im Jahre 2012 zum Präsidenten gewählt wird, verurteilte ein Gericht Marija Wladimirowna Aljochina und andere Mitstreiterinnen von Pussy Riot zu zwei Jahren Gefängnis.

Der Grund war „ein verzweifelter Schrei“, wie sie es in ihrem Buch „Political Girl“ beschreibt: Die Gesichter von den ikonisch bunten Sturmhauben verdeckt, hatten die Aktivistinnen in der Erlöserkirche in Moskau das Punk-Gebet „Jungfrau Maria, verjage Putin“ vorgetragen. Nun, über ein Jahrzehnt nach der Aktion, nach weiteren Protesten zur Verhaftung von Alexej Nawalny und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, stellte Marija Aljochina für die lit.cologne ihr Buch im Comedia Theater in Köln vor.

lit.Cologne: Pussy Riot Aktivistin erzählt von ihrer Haft in Russland

Auf ihrem gelben Handy liest sie die Passagen von „Political Girl“ auf Englisch. Die deutsche Übersetzung trägt Sonia Mikich vor, ehemalige Chefredakteurin des WDR und Moderatorin der Lesung. Währenddessen sitzt Aljochina mit dem Laptop auf dem Schoß, spielt ein Video vom ikonischen Auftritt in der Erlöserkirche ab, nimmt einen Zug von ihrem pinken Vape und lässt Rauch aufsteigen. Der Multimedia-Künstler Eric Breitenbach improvisiert die dazu passenden Klänge: Gespenstische, in die Länge gezogene Töne, die dann mit Beats eine Struktur bekommen. Zwischendurch ein Satz von Queen-Sänger Freddie Mercury: „I Want to Break Free“.

Marija Aljochina erzählt von ihrer Haft, von Gesprächen mit Wachleuten, die sie zum Teil für sich gewinnen kann, von einem Hausarrest mit einer Fußfessel, der noch unerträglicher zu sein scheint als die Zeit im Gefängnis. Und dann von ihrer spektakulären Flucht aus Russland, verkleidet als Essenslieferantin.

Sowjetische Dissidenten inspirierten die Aktivistin aus Russland

Mittlerweile lebt Marija Aljochina mit ihrer Lebensgefährtin in Island. Doch woher nimmt ein Mensch den Mut, gegen ein diktatorisches Regime zu protestieren? Sie erzählt, sie habe schon als Kind sechsmal die Schule wechseln müssen, weil sie Fragen stellte.

Auch die Memoiren sowjetischer Dissidenten aus den 70ern hätten sie inspiriert. Die Gefangenen seien damals in den Hungerstreik gegangen, weil die Metallstreben ihrer Liegen bewusst so weit auseinanderlagen, dass jede Nacht zur Tortur wurde. Eine Person sei im Hungerstreik gestorben. Daraufhin seien die Abstände zwischen den Streben verkürzt worden. „Wenn du in diesem Bett schläfst, wirst du daran denken, dass Leute dafür gekämpft haben, selbst diesen Teil deines Gefängnislebens zu verbessern.“

Pussy Riot ließ Regenbogenflaggen auf russischen Gebäuden wehen

Später spielt sie ein Video ab, in dem eine Gruppe Aktivisten den Obersten Gerichtshof und die Präsidialversammlung mit Regenbogenflaggen schmücken. Nach dem Untergang der Sowjetunion sei es Russland nicht gelungen, sich selbst neu zu erschaffen. Putins Antwort auf diese ungelösten Konflikt ist die Wiederherstellung der Sowjetunion und der Hass gegen einen „Westen aus Regenbogenflaggen, Schwulenparaden und Männern in Tangas.“

Deswegen hätten die Ukrainer und russische Aktivisten bei Ausbruch des Krieges auch in den Westen geschaut, wie Marija Aljochina erklärt. „Es ist ein hybrider Krieg von Putin gegen den Westen – inklusive euch.“ Das Sowjetreich umspannte schließlich auch große Teile Europas. „Auch Ost-Berlin hat mal zur Sowjetunion gehört“, sagt sie.

Auf die Frage, was sie von den Regierungen oder der EU also erwarte, sagt sie kurz und knapp: „Hört auf, zutiefst besorgt zu sein und handelt.“ Und was können Bürgerinnen und Bürger tun? „Schreibt Postkarten. Man muss keine Regierung sein, um das zu tun.“ Auf der Seite der NGO Memorial könne man die Namen politischer Häftlinge finden und ihnen schreiben. Im Gefängnis, das einem immer die gleiche trübe Sicht bietet, sei es wundervoll, mal einen Wasserfall sehen zu können.