Auf der Lit.Cologne wird Karina Sainz Borgo ihren zweiten Roman „Das dritte Land“ vorstellen. Mittlerweile lebt die aus Venezuela stammende Autorin in Spanien.
Friedhof des ElendsKarina Sainz Borgo stellt auf der Lit.Cologne ihren neuen Roman vor

Autorin Karina Sainz Borgo.
Copyright: S. Fischer Verlag
„Ich heiße Angustias Romero und möchte meine Kinder begraben.“ Mehr will die junge Frau eigentlich gar nicht. Zusammen mit ihrem Mann und den zu früh geborenen Zwillingen hat sie sich auf den beschwerlichen Weg zur Grenze zwischen Venezuela und Kolumbien gemacht. Geplant als Reise in ein besseres Leben, die die Babys nicht überleben. Getrieben von einer nicht näher beschriebenen „Pest“, die das Gedächtnis angreift und möglicherweise schon Angustias Ehemann befallen hat.
„Das dritte Land“ heißt der neue Roman von Karina Sainz Borgo – und dieses dritte Land ist ein Friedhof, auf dem Visitación Salazar all jene beerdigt, für die der Weg in eine glückliche Zukunft im zwischenstaatlichen Nirgendwo endet. „Ringsum sah man nichts als Disteln und Ödland voller Müll, den die Ziegen fraßen, als wäre es Gras.“
Für die Flüchtlinge ist Visitación eine Heilige, die mit Zement und ihrer Schaufel inmitten der Trost- und Ausweglosigkeit Funken der Hoffnung schlägt. Für all diejenigen, die vom Elend profitieren, ist sie der Todfeind.
Den Toten muss man all das zurückgeben, was ihnen der Tod in wenigen Stunden raubt.
Für Angustias hingegen macht das Weitergehen keinen Sinn mehr: Ihre Jungen sind tot, ihr Mann ist verschwunden: „Mich interessiert nur, so nah wie möglich bei der Erinnerung an die Kinder zu sein, die ich geliebt hatte und die nicht lang genug gelebt hatten, damit ich es ihnen sagen konnte.“ So wird sie Visitacións rechte Hand, und gemeinsam setzen sich die beiden Frauen, so lange es geht, gegen die kriminellen Machenschaften der Männer um sie herum zur Wehr.
Alcides Abundio, der reichste Mann vor Ort, ist einer von ihnen. Macht und Geld sind geerbt. Die Gegend ist von jeher gesetzlos, Abundios Familie hatte schon immer auch Gesetzeshüter und Bürgermeister in der Hand.
Schleuser führen ihm nun die Flüchtlinge zu, die er an die marodierende Guerilla verschachert – so dass sie im Mohnanbau malochen müssen. Babys werden verkauft und zu Kämpfern großgezogen. „Schreiben lernen sie nicht, aber übers Sterben wussten sie alles.“
Die Hähne krähten orientierungslos. Sie riefen nicht den Tag herbei, sie verscheuchten nur den Tod.
Doch auch die Flüchtlinge zeigen untereinander keine Gnade. Jeder und jede ist auf der Suche nach einem oder einer, der oder die vielleicht noch etwas schwächer ist als man selbst. Frauen verkaufen ihre Haare für den Gegenwert einer Packung Reis, und die Frauen, die ihre Körper verkaufen, „flüsterten, als könnte man ihnen noch die Worte klauen“. Man stiehlt voneinander, wo es nur geht – immer in der Hoffnung, mit dem Diebesgut etwas Geld, etwas zu essen zu ergattern. Von dem Karton, in dem Angustias die Leichen ihrer kleinen Söhne transportiert, lässt eine Frau nur ab, nachdem sie dessen Inhalt entdeckt hat. Auch wenn schon überall Schrecken herrscht, gibt es immer noch einen Schrecken mehr, der erstarren lässt.
Erschütternd schonungslos geht Karina Sainz Borgo zu Werke. Ihre Sprache verquickt Nüchternheit mit Poesie, ihre Geschichte gönnt den Figuren keine Gnade. Und wenn es manchmal so aussieht, als siege die Gerechtigkeit, schlägt die Realität umso brutaler zu. Eben noch glaubte der Bürgermeister, die Geschicke zu seinen Gunsten lenken zu können, ist er im nächsten Moment schon mit seiner Familie auf der Flucht vor dem allmächtigen Paten, dessen Unmut er erregt hat. „So waren die Dinge in den Bergen. Seelen und Lebende vermischten sich in einem nebulösen Vorhang zu einem Bataillon von Unglückseligen, die dazu dienten, die Neugierigen fernzuhalten und die Henker zu decken.“
Karina Sainz Borgo: Das dritte Land. Roman, aus dem Spanischen von Angelica Ammar. S. Fischer, 320 S., 24 Euro.
Auf der lit.Cologne stellt die Autorin ihr Buch am 9.3., 19 Uhr, mit Paul Ingendaay und Eva Mattes im Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (Kämmergasse 22) vor.
