„Gibt es einen Markt für Menschen wie mich?“Lorelei Holtmann sitzt im Rollstuhl und wurde in Köln für das Leben auf der Bühne geschult

Lesezeit 4 Minuten
Lorelei Holtmann und Benjamin Höppner sitzen an einem Tisch und sind am Lachen.

Blicken voller Freude in die Zukunft: Lorelei Holtmann und Benjamin Höppner.

Neun Monate lang wurden am Schauspiel Köln im Projekt „Next Generation“ sechs Menschen mit Beeinträchtigung für das Leben auf der Bühne geschult.

Neun Monate lang wurden am Schauspiel Köln im Projekt „Next Generation“ sechs Menschen mit Beeinträchtigung für das Leben auf der Bühne geschult. Zu ihnen gehört Lorelei Holtmann (22), die im Rollstuhl sitzt. Ensemblemitglied Benjamin Höppner bereitet mit dem Sextett nun einen Abend vor, an dem sie zeigen, was sie gelernt haben. Mit Axel Hill sprachen die beiden über Träume und die Realität.

Frau Holtmann, ist ihr Schauspieltraum nach den neun Monaten schon ausgeträumt?

Lorelei Holtmann: Es ist immer die Frage, wie viel man überhaupt träumen darf (lächelt). Ich studiere Jura, jetzt ist die Frage: Mache ich das erstmal zu Ende, um nicht auf Nichts zurückzufallen, wenn es doch nichts wird. Es wollen viele im schauspielerischen Bereich tätig sein, für Menschen mit Behinderung ist es noch schwieriger, sich da durchzusetzen. Und gibt es überhaupt einen Markt für Menschen wie mich? Aber ich versuche, so viel wie möglich mitzunehmen, weil es mir viel gibt, was Jura mir nicht geben kann.

Was beinhaltete das Programm?

Holtmann: Es ist darauf ausgerichtet, uns aufs Vorsprechen an Schauspielschulen vorzubereiten. Zunächst gab es Sprechtraining oder Improvisationsübungen, später haben wir Monologe erarbeitet.

Fühlen Sie sich vorbereitet?

Holtmann: Ich hätte auf jeden Fall Rollen zum Vorsprechen in der Hinterhand: Puck aus dem „Sommernachtstraum“ und ein Text aus Sarah Kanes „Gier“.

Sind Sie auch auf das Schwierigste vorbereitet worden: Absagen?

Holtmann: Wir hatten ein Coaching: Wie gehe ich mit mir auf der Bühne um, mit meiner Behinderung – und auch mit unangenehmen Situationen.

Benjamin Höppner: Das Programm ist so ausgelegt, dass die Gruppe auch zu Vorsprechen begleitet wird – und danach, wenn es eine Absage gibt.

Man braucht ein dickes Fell!

Höppner: Wenn man dann im Beruf ist, braucht man ein noch dickeres Fell. Es ist ein Haifischbecken – selbst wenn man in einem Ensemble ist.

Herr Höppner, wie ist die Entwicklung der Gruppe?

Höppner: Enorm – etwa, was das Selbstverständnis angeht auf der Bühne zu sein. Das ist toll zu sehen.

Brauchen wir mehr gemischte Besetzungen im Theater, Film oder Fernsehen – ohne dass die Behinderung thematisiert wird? Oder sind wir Zuschauer nicht weit genug?

Holtmann: Das glaube ich nicht! Aber es werden Geschichten von Menschen mit Behinderung von Leuten erzählt, die nicht den Zugang oder die Erfahrung haben. Oft wird es so ins Dramatische gezogen, es ist immer alles so schrecklich. Das ist überhaupt nicht meine Lebensrealität. Mein Rollstuhl gibt mir Freiraum und nimmt ihn mir nicht.

Höppner: Die Erzählenden haben sich ganz lange darum gewunden, und deshalb kannten die Zuschauenden das noch nicht. Man muss das Narrativ verändern, indem man das einbaut und als selbstverständlich nimmt. Das wird es auch für die Zuschauenden völlig normal machen – die ja sowieso kein Problem damit haben.

Frau Holtmann, wie ist es für Sie, wenn Sie einen „gehenden“ Menschen sehen, der einen Rollstuhlfahrer spielt? Merken Sie das?

Holtmann: Man merkt es an den Rollstühlen (lacht). Das sind meistens Riesendinger, mit denen man im Alltag nie klarkommen würde. Aber ich habe schon Darstellungen gesehen, mit denen ich mich identifizieren konnte. Am Ende soll derjenige die Rolle spielen, der sie am besten spielen kann.

Höppner: Man müsste dann aber auch die Möglichkeit schaffen, dass Rollstuhlfahrer Hamlet spielen.

Holtmann: Wenn es keine Rolle spielt, ob die beste Freundin der Hauptdarstellerin laufen kann oder nicht, kann das ja auch jemand mit Behinderung spielen.

Herr Höppner, Sie führen beim Abschlussabend zum ersten Mal Regie. Haben Sie Blut geleckt?

Höppner: Es bringt Spaß – auf jeden Fall! Ich habe viel unterrichtet, das ist ja ähnlich. Aber es ist auch noch ein großer Schritt, wenn man dann mit gestandenen Schauspielern arbeitet. Da hätte ich doch großen Respekt vor.

Ist es etwas, was Sie sich für Ihre zukünftige Karriere vorstellen können?

Höppner: Warum nicht! Weil man das, was man selber sonst auf der Bühne macht, in Worte fassen muss. Dann muss man lernen, wie man Menschen mit unterschiedlichen Gemütsarten händelt – und das bringt mir auch unheimlichen Spaß. Ich würde also nicht nein dazu sagen.

Den nächsten Intendanten kennen Sie ja schon...

Höppner: Genau – und da wir so wenig Zeit zur Vorbereitung haben und viele Leute schon ausgebucht sind, wird es sowieso ein stark aus den Mitarbeitenden herauskommendes Interim.

Sie möchten also bleiben!

Höppner: Wir haben noch keine Gespräche geführt. Aber meine Familie ist hier, meine Jungs sind 16 und 13, die kann ich sowieso nicht zu einem Wechsel bringen. Und ich mag Köln sehr. Aber ich bin offen. Was passiert, passiert.


Ein erstes Casting

Bevor die „Next Generation“ am 7. Juni, 18 Uhr im Depot 2 (der Eintritt ist frei) ihren Abschlussabend präsentiert, hatten die Mitglieder ein erstes Casting. Bei Regisseurin Marie Schleef sprachen sie für „Kim Jiyoung, geboren 1982“ vor. Die deutsche Erstaufführung des Stücks der Koreanerin Cho Nam-Joo feiert am 14. Oktober Premiere im Depot 2. (HLL)

Rundschau abonnieren