In ihrem neuen Buch „Luft zum Leben“ präsentiert Helga Schubert Texte und Geschichte aus 65 Jahren.
Psychologin und AutorinHelga Schuberts literarische Karriere im Wandel der politischen Verhältnisse

Helga Schubert zum Buch „Luft zum Leben“
Copyright: Eddy Zimmermann/Rabauke Filmproduktion
„Die offene Gesellschaft schützt, so meinte ich damals, uns alle davor, zu Tätern zu werden, weil es ans Licht kommen kann, wenn wir betrogen und verheimlicht haben. Und sie schützt uns davor, Opfer zu werden. Wir können uns wehren.“ Diese Form der offenen Gesellschaft erlebt die Autorin Helga Schubert erst seit 1989. In ihrer neuen Sammlung von Texten aus den Jahren 1960 bis 2025 berichtet sie vor allem von der Erfahrung als Bürgerin der DDR. Der bezeichnende Titel des Buches: „Luft zum Leben“.
„Das Schuldgefühl, meinen Sohn einem Leben in einer Diktatur ausgeliefert zu haben, war groß – und ich habe, wieder wie Millionen meiner Generation, versucht, mich selbst und ihn zu schützen“, schreibt sie an anderer Stelle. Die heute 85-Jährige erzählt, wie sie vor dem Mauerbau durch Studium, einen zögerlichen Ehemann, die Geburt des Kindes den Absprung in den Westen verpasste: „...dann umzingelte uns nachts der Stacheldraht am 13. August 1961. Und es war zu spät.“
Psychologin und Autorin
Schubert arbeitete als Psychologin und schrieb nebenbei, später wechselte die Gewichtung. Ihr Gewinn beim Bachmann-Preis 2020 im Alter von 80 Jahren und ihr Buch „Der heutige Tag“, in dem sie das Leben mit ihrem 2025 gestorbenen und an Demenz erkrankten Ehemann beschreibt, brachten sie ins literarische Rampenlicht.
„Luft zum Leben“ liest sich nun wie ein aus losen Fäden geknüpftes Lebensbild. Sie lässt die Gedanken wandern, Abzweigungen nehmen, Volten schlagen. Die Sprünge sind oft weit, nicht immer kann man folgen. Aber das ist auch nicht unbedingt notwendig.
Thema Abtreibung
Da geht es zunächst um sehr Privates, sowohl sie selbst als auch ihr Sohn sind ungeplant. „Und wir beiden Ungewollten, mein Sohn und ich, wurden schließlich doch geboren, werden geliebt und freuen uns unseres Lebens“ schreibt sie etwa in einer Reflexion zum Thema Abtreibung, dem sie ambivalent gegenübersteht. Kriminalisieren von Schwangeren und Ärzten sei allerdings keine Lösung, das Nein müsse respektiert werden, aber ebenso Verhütung kostenlos und gesundheitlich verträglich sein und „das Ja zum Zurweltbringen“ erleichtert werden.
Die Grundvoraussetzungen seien für Frauen in der DDR (wo Abtreibungen erlaubt waren) besser gewesen, die Gleichberechtigung zumindest Gesetz. Doch in der praktischen Umsetzung hätten sich die Männer dann doch als Bremsklötze für den beruflichen oder auch politischen Aufstieg erwiesen.
Skurrile Verbote
Und natürlich erweist sich das Regime als Bremsklotz für die literarische Karriere auf ziemlich bizarre Art und Weise im Fall von Helga Schubert. Da wird die Veröffentlichung des Buchs „Das verbotene Zimmer“ zwar in der DDR verboten, „alles sei mit einer dunklen Folie überzogen“, so die Begründung. Aber im westdeutschen Luchterhand-Verlag dürfe es erscheinen, die Deviseneinnahmen zieht das Urheberrechtsbüro ein und zahlt es Schubert „1:1 in der DDR-Währung“ aus.
Im nächsten Schritt darf sie den westdeutschen Fallada-Preis nicht annehmen als Gegenleistung wird der Druck des Buches im Osten in Aussicht gestellt und das Resultat (in dem drei Geschichten fehlten) mit dem dortigen Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet. „Genau genommen hätte man verrückt werden können.“
Umgang mit den Tätern
Selbstredend wurde sie aufgrund ihrer Texte und ihrer Verbindungen zu kritischen Zirkeln von der Stasi überwacht. Doch neben dem wortgetreuen Abdruck von Berichten über sie, macht sich Schubert Gedanken darüber, wie sie nach dem Ende der DDR mit solchen Menschen umgehen könnte. Müsse man zwischen „totalitärem System und Tatbeteiligtem unterscheiden“? „Gibt es die Wandlung vom Saulus zum Paulus? Man lebt sicher glücklicher und mehr in der Gegenwart, wenn man diese Wandlung für möglich hält.“
Und so mahnt sie, dass Demokratie und freie Gesellschaft unbedingt geschützt und erhalten bleiben mögen. Denn: „Das Schlimmste an der Diktatur ist die Humorlosigkeit. Sie bekämpft Witze über die Herrschenden, schreibt die Wortwahl vor, plötzlich darf man von einem auf den anderen Tag den Krieg nicht mehr Krieg nennen, sie hasst das Doppeldeutige, die Ambivalenz, schließlich die menschliche Realität.“
Schwarz oder rosa?
Doch es gibt auch amüsante Passagen: Der Unterschied zwischen DDR-Frau und Westfrau liege darin, dass, wenn sie einen schwarzen Pullover haben möchten, es aber keinen gibt, Folgendes passiere: „Die Westfrau kauft keinen, aber wir kaufen aus Mitleid nicht nur mit der Verkäuferin den rosafarbenen Pullover. Zu Hause werden wir ihn schwarz färben. Das macht uns so liebenswert.“
Liebenswert und vor allem sanft, aber dennoch beharrlich, wie Wasser, dessen steter Tropfen den Stein höhlt - so blickt diese alterskluge Schriftstellerin auf das Leben.
Helga Schubert: Luft zum Leben. Geschichten vom Übergang. dtv Verlag, 288 S., 24 Euro.
