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Monteverdis Oper in Köln„Krönung der Poppea“ brilliert mit Emotionen und toller Bühnenshow

Lesezeit 4 Minuten
Monteverdi Die Kröning der Poppea Oper Köln Premiere Mai 2024

Bedrohlich schwingt das Rohr wie ein Pendel über all den intriganten Liebesränken.

Die Inszenierung von Claudio Monteverdis „Krönung der Poppea“ im Staatenhaus bietet drei Stunden voller Dramatik und Emotionalität mit einer unverwechselbaren Interpretation von Liebe und Macht.

Sabine Weber Köln Von Claudio Monteverdis „Krönung der Poppea“ (1643) sind nur die Gesangsstimmen und ihre Basslinien überliefert. Dennoch steckt darin der Zündstoff einer Sex and Crime Story, wie zuletzt 2010 an der Kölner Oper in einer spektakulären Inszenierung im Gerling-Konzert zu erleben war und aktuell im Staatenhaus.

Es ist immer wieder verblüffend, wie diese Partitur einen überwältigenden dreistündigen Liebesschmerz-Vollrausch entfesselt. In Monologen wie interagierenden Dialogen – Chor gibt es nicht – wird enttäuschte, verzweifelte und instrumentalisierte Liebe in allen Facetten verhandelt und durchexerziert, aber auch durch den Kakao gezogen.

Der römische Tyrannenkaiser Nero ist Poppea verfallen, entledigt sich der rechtmäßigen Kaiserin und des mahnenden Philosophen Seneca, und erhebt Poppea zur Kaiserin an seiner Seite. Doch schon im Prolog gibt es den ersten Schlagabtausch. Für die Allegorie der Fortuna steigt Drusilla (Maria Koroleva) in den Ring. „Du bist am Ende“, schleudert sie der Tugend ins Gesicht, verkörpert von der später verstoßenen Kaiserin Ottavia (Adriana Bastidas-Gamboa).


Das Stück: In seiner letzten Oper „L'Incoronazione di Poppea“ verlässt Claudio Monteverdi den Schutzraum der Mythologie und stellt Erotik als Triebfeder der Macht dar.

Die Regie: Ted Huffman, einer der besten Regisseure derzeit, versammelt das gesamte Ensemble omnipräsent auf einer fast leeren Bühne und lässt die Charaktere sehr heutig und wie aus dem Stegreif spielen.

Das Ensemble: Viele Rollen sind aus dem Kölner Ensemble besetzt und nur mit Interpreten ergänzt, die sich schon in der ersten Produktion in Aix-en-Provence bewährt haben. (web)


Amor (Camille Poul) im roten Satin-Anzug (Kostüme: Astrid Klein) bringt die über der leeren Bühne hängende gigantische Röhre, halb hell, halb dunkel, für die Köpfe gefährlich zum Pendeln und Schwingen (Bühne: Johannes Schütz). Liebe, das stellt die Regie von Anfang an klar, hat das Sagen, aber ist gefährlich!

Die Inszenierung von Ted Huffman, auf dem Festival in Aix-en-Provence 2022 gefeiert und weiter gereist, hat für ihre fünfte Produktion in Köln Interpreten der Erstaufführung dabei.

Countertenor Jake Arditi bringt nicht nur das gefährliche Aufflackern von Neros Willkür in wilden Koloraturen aber auch dessen hingebungsvolle Verliebtheit perfekt zum Ausdruck und spielt mit entblößtem Oberkörper über Smokinghose, wenn er kein Goldjackett trägt, den stürmischen Draufgänger. Counter Paul-Antoine Bénos-Dijan als verlassener Ottone in Schuljungen-Uniform, muss dafür leiden. Ihn hat Poppea klar abserviert. Sie will an die Macht, also gehört sie Nero. Er klagt einmal an der Rampe direkt ins Publikum.

Drusilla muss sich später im kecken Badekostüm gegen Komplottvorwürfe verteidigen, geht aber mit Ottone allzu gern ins Exil. Elsa Benoit als Poppea steht die Unterwäsche oder das leicht geschürztes Negligé-Kleid atemberaubend gut, spielt sie doch unentwegt ihre Erotik aus, einmal auch in einem flotten Dreier!

Um Politik geht es also nicht, auch wenn zwei Soldaten (Laurence Kilsby und Armando Elizondo) eine kopflose Regierung und Aufstände in den Provinzen anprangern.

Eine der ersten Travestierollen der Operngeschichte ist Analtra oder die Amme, die John Heuzenroeder aus dem Ensemble mal in Zitronengelb mit Blondperücke oder in Bluse und Omarock unglaublich witzig gibt, über seine Rolle sogar reflektiert und sich obszön an sämtliche Jungs ranmacht, die auf dem Boden durcheinanderwirbeln. Danach singt Heuzenroeder das Wiegenlied für Poppea ganz im Falsett. Er bekommt am Ende zurecht großen Applaus.

Das elfköpfige Ensemble steht und sitzt omnipräsent in einem hinten weißen vorne schwarzen Raum auf die Bühne. Jeder hört mal zu, sitzt auf der Bank, versteinert auf Stühlen, reagiert und tritt nach vorn, um Ansichten, Wünsche, Verzweiflung oder Hass vorzutragen. Auch beim Liebesspiel sind alle dabei. Die Handlung wirkt wie aus dem Moment erfunden.

Der musikalische Leiter Georges Petrou, seit 2022 künstlerischer Leiter der Göttinger Händelfestspiele, hat für die über weite Strecken rezitativisch angelegten Teile ein üppig besetztes Continuo bestellt. Barockharfe, zwei Theorben, eine Gambe, Violoncello, Cembalo, Orgelpositiv sowie ein schnarrendes Renaissance-Regal klingeln etwas viel, schematisch und bringen seltsame Überleitungen. Die Basslinien sind nicht deutlich genug.

Monteverdi wertet nicht

Das gestotterte „Addio Roma“ der zum Exil verurteilten und verzweifelten Ottavia klappert im Graben nach. Die Musiker des Gürzenich-Orchesters liefern die Ritornelle, meist beschwingte Zwischenmusiken, mit großer Verve. Blockflöten ergänzen das Klangbild.

Die amoralische Oper der Frühgeschichte ist so aktuell, weil Monteverdi nicht wertet, sondern ungemein direkt darstellt. Stimmungsumschwünge sind Programm, wobei die atemberaubende Madrigalszene mit den chromatischen Stimmeinsätzen beim Tod von Seneca auf frühere Zeiten verweist, und das Schlussduett „Pur ti miro“ mit Nero und Poppea eines der wirkungsvollsten bis auf den heutigen Tag ist – auch wenn es möglicherweise nicht von Monteverdi stammt. Beim Abschlusskuss geht das Licht aus! Danach tosendes Donnern und Beifall-Trampeln.

Drei Stunden, weitere Termine: 9., 12., 15., 18., 20., 22., 24., 29. und 30. Mai, diverse Uhrzeiten.