Das Museum Ludwig präsentiert die zeitgenössische Kunst in seiner Sammlung neu. Dieses Mal dreht sich alles um das Thema Zeit.
Museum Ludwig in KölnSchau „Über den Wert der Zeit“ zeigt Sammlung in neuem Licht

Robert Rauschenbergs "Soundings" in der Ausstellung 'Über den Wert der Zeit". Neupräsentation der Sammlung zeitgenössischer Kunst.
Copyright: Thomas Brill
Ein tumultartiger Gruß aus den wilden 68-er Jahren ploppt auf, wenn der Besucher der neu präsentierten zeitgenössischen Kunst im Museum Ludwig was sehen will. Erst durch Singen, Rufen, Klatschen springt ein Licht hinter der Spiegelwand an, die der amerikanische Pop-Art-Künstler Robert Rauschenberg (1925 – 2008) installierte.
Durch Ausstellung surfen
Seine „Soundings“ (1968) reagieren auf die Interaktionen der Betrachter. Hinter dem spiegelnden Plexiglas sind Stühle aus unterschiedlichsten Perspektiven als Fotos und real zu sehen. Wie die Bestuhlung für ein bevorstehendes – oder aber auch vergangenes Fest.
Das Werk ist seit 1976 im Fundus des Ludwig. Vieles, was unter dem Titel „Über den Wert der Zeit“ im Untergeschoss des Museums ausgestellt ist, ist neu, oder nie gezeigt worden. „Engel der Geschichte“ „Einmal durch die Ausstellung zu surfen“, empfiehlt Kuratorin Barbara Engelbach. Denn auch wenn der Museumsbesucher im Schnitt nur 25 Sekunden vor einem Werk innehält, „ist das die gemessene, nicht die erfahrene Zeit“, heißt es im Begleittext.
In manchem kleinen Kabinett mag man aber durchaus länger verweilen. Bei Asimina Paradissa zum Beispiel, die 1966 aus Griechenland nach Deutschland kam, um bei der Fotofirma Olympia in Wilhelmshaven am Fließband zu arbeiten – später erzählte die Fotografin in ihren Arbeiten die Geschichte der Migration.
In der Ausstellung sind Momentaufnahmen zu sehen, die die Kolleginnen im Wohnheim der Fabrik aufnahmen. Selten, dass damals nicht die Männer am Auslöser waren. Aber die hatten zum Wohnheim nun einmal generell keinen Zutritt. Die Ausgelassenheit auf den Bildern spricht für sich.
Engel der Geschichte
Von Paul Klee stammte die kleine Zeichnung eines Engels (Angelus novus), die der Philosoph Walter Benjamin immer bei sich trug. Auch in Gefangenschaft 1940 im französischen Internierungslager Vernuche in Varennes-Vauzelles, als er den Begriff des „Engels der Geschichte“ prägte und damit das Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft darstellte – ein Denkbild für kritische Geschichtsschreibung.
„In Zeiten, in denen wir denken, dass wir den Überblick verlieren, können wir trotzdem innehalten, uns einen Ausschnitt anschauen. Es ist möglich, Erkenntnis zu gewinnen und in die Zukunft zu gehen“, gibt sich Engelbach optimistisch. Direktor Yilmaz Dziewior versteht die Neupräsentation der Sammlung als den geeigneten Ort dafür.
„Es ist Barbara Engelbach gelungen, die Werke produktiv zum Sprechen zu bringen.“ Der „Wert der Zeit“ bildet die Klammer. Dabei gibt es durchaus Statements, die skeptisch gegenüber dem Fortschrittsgedanken sind. Künstlerin Guan Xiao (1983 in Chongqing, China geboren) stellt in ihrer Installation „The Documentary: Geocentric Punkcutre“ von 2014 die Zeitwahrnehmung des Internets in Frage. Vergangenes erscheint dort oft als gegenwärtig.
Lubaina Himid (1954 in Sansibar-Stadt geboren) greift in „Le Rodeur: Die Kajüte“ von 2017 ein besonders perfides Kapitel der Sklaverei auf. 1819 brach auf dem französischen Schiff Le Rodeur eine Augenkrankheit aus, die auf die hygienisch katastrophalen Zustände zurückzuführen war. Viele der 160 zur Ware herabgewürdigten Sklaven wurden über Bord geworfen und später als Versicherungsfall geltend gemacht.
Die Szene, die Himid darstellt, ist ein Gegenbild: Ein schwarzer Koch ist zu sehen, der in der Kajüte Kuchen anbietet, neben einem Musiker, der volkstümlich unterhält. „Durch ihre untypische Kleidung wird die Zeitzone aufgehoben, Vergangenheit wird zur Gegenwart“, sagt Engelbach.
Rasselndes Bügeleisen
Oscar Murillo (1986 in Kolumbien geboren) platziert lebensgroße Puppen auf einer Tribüne. Seine „effigies“ sind Stellvertreter für seine Freunde in seiner Geburtsstadt La Paila, die einer Süßwarenfabrik unter prekären Bedingungen arbeiten.
„Außer Sichtweite“ (2020) heißt das Werk, das Cameron Rowland (1988 in Philadelphia geboren) zeigt. Es sind zwei „Sklavenbügeleisen“ aus dem 19. Jahrhundert. Im Griff ist eine Rassel eingebaut, die im Plantagenhaus gut zu hören war. Wenn die Sklavin außer Sichtweite war, signalisierte das Geräusch dem Herren, dass sie ununterbrochen arbeitete. Frühe Werke von Maria Eichhorn (1962 in Bamberg geboren), die im vergangenen Jahr den Deutschen Pavillon der Biennale in Venedig gestaltete, sind in der Schau zu sehen. Sowie der vom Museum Ludwig erworbene Raum von Anne Imhof (1978 in Gießen geboren), Teil der Performance „Faust“ im Deutschen Pavillon im Jahr 2017: Graue Becken-Skulpturen ohne Wasseranschlüsse aber Schläuchen, in denen der Fluss der Zeit versiegt zu sein scheint.
Alle zwei Jahre zeigt das Museum Ludwig Gegenwartskunst aus seiner Sammlung in einer neuen Präsentation. Diesmal geht es um das Verständnis von Zeit und die Frage, in welcher Form Künstlerinnen und Künstler das aufgreifen. (jan) Bis 31. August 2025, Di bis So 10 – 18 Uhr. Heinrich-Böll Platz.