„Höhere Wesen befehlen“ heißt die Ausstellung, mit der das Museum Morsbroich in Leverkusen ein zentrales Thema im Frühwerk des 2010 in Köln verstorbenen Malers und Fotografen würdigt.
Frühwerk des KünstlersMuseum Morsbroich zeigt „Sigmar Polke. Höhere Wesen befehlen“

Christof Kohlhöfer fotografierte Polke als Palme.
Copyright: The Estate of Sigmar Polke, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Mit den Schuhen knöcheltief im Wasser zu stehen, ist nichts Ungewöhnliches. Aber wenn die Füße von wabernden Schlangengurken umkreist werden, dann ist das schon seltsam. „Sigmar Polke. Höhere Wesen befehlen“ heißt die Ausstellung, mit der das Museum Morsbroich in Leverkusen ein zentrales Thema im Frühwerk des 2010 in Köln verstorbenen Malers und Fotografen würdigt. Ein „Enfant terrible“, der in Happenings hinterfragte, überzeichnete, an populäre Geisterfotografie ebenso anknüpfte wie an den Über-Künstler Pablo Picasso.
Mit Witz geht er in den 1960er Jahren an die Entmystifizierung der Kunst. Als Fotograf begibt er sich in den 1970er Jahren auf den „Hippie Trail“ nach Afghanistan und Pakistan. Land und Leute hält er im Bild fest, wird dabei aber nicht folkloristisch, sondern ist mittendrin — beim Kampf mit Hunden und Bären, den die Männergesellschaft auf dem Erdhügel verfolgt – oder er begleitet sie in die Opiumhöhle, erhält Einblicke, die ein Fotograf erhält, wenn er nahbar ist.
Polke sah seine Umwelt stets als feinsinniger Beobachter
Die Künstlichkeit der Bilder hielt er fest, distanzierte sich aber zeitgleich von seinen Impressionen, denen die Begeisterung für die Lebens- und Verhaltensweisen der Porträtierten anzumerken ist. Denn dort, in der pakistanischen Stadt Quetta, entstanden intime Einblicke. Einige Jahre später bearbeitete er die Fotos mit Chemikalien, belichtete sie über und doppelt, verkratzte und retuschierte wiederum mit chemischen Substanzen.
Die Bilder im Graphischen Kabinett des Museums zeigen, dass Polke seine Umwelt stets als feinsinniger Beobachter sah. Ein zerborstenes Glas — womöglich an einer Bushaltestelle – spiegelt den Straßenverkehr. Unkonventionell auf Ringbucheinlagen gezeichnete Gegenstände wie der „Apparat zum Schwängern der Luft“ nehmen alles Bedeutungsschwere aufs Korn. Aber auch feine Wesen zeichnete er. Sein Lehrer, Gerhard Hoehme, gehörte zu den lyrischen Vertretern der Informalmalerei, malte und verschnürte Engelwesen auf Damastservietten, die etwas Transzendentes vermitteln. Im Projekt „Höhere Wesen befehlen“ von 1968 gibt es eine Anleitung in Frakturschrift, die erst einmal an Lehrbücher des Bildungsbürgertums erinnern, um inhaltlich völlig vor den Kopf zu stoßen. Aus dem Zollstock, aus Brot oder Watte formt Polke Palmen – Sinnbild der Sehnsuchtswelt der Wirtschaftswunderjahre – schließlich reüssiert er selbst als Palme.
Ausgangspunkt der Ausstellung ist die Wiederaufführung des Films von Christoph Kohlhöfer und Sigmar Polke, der 1969 in Morsbroich im Rahmen der Ausstellung „Konzeption/Conception“ entstand. Im Filmraum rauschen die Bilder – unter anderem mit den Gurken – nicht nur so vorbei. Sie machen stutzig und zeigen, dass Giganten wie Leonardo da Vinci auch viel mit der Pose zu tun haben. Eine solche nimmt Polke ein. Ein Vorbild ist Surrealist Salvador Dalí, den Polke im Bild festhält. Verspielt ist die Herangehensweise, immer wieder werden die Bilder – mitunter mit alchemistischen Methoden – bearbeitet. Aber es sind nicht durchweg Ansichten zum Schmunzeln. Klar, indem Polke Fotos über den Fotokopierer zog, war das verzerrte Ergebnis ein Gag. Aber die Grausamkeit der Szene lässt das Lachen im Halse stecken. Zwei Männer mit Maschinengewehr stehen neben einem dritten, der eine Person durchsucht.
Biennale in Venedig
Im Nachkriegsdeutschland demontierte der Künstler traditionelle Mythen, seine alchemistischen Fotometarmorphosen, die er 1986 für den Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig schuf, veränderten sich im Wandel von Temperatur und Feuchtigkeit – mittels Silbernitraten, mit denen er Anfang der 1980er Jahre in der Malerei fotochemische Prozesse anstieß. Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Von diesen Bildern lässt sich keiner so schnell verführen. Vielmehr sind es gespenstische Impressionen und rätselhafte Phänomene, die er im Nazibau festhält. Kunsthistoriker Dirk Stemmler bezeichnete Polkes Herangehensweise als „Zwiegespräch mit magischem Schatten“, er zeige sich als Teil der Szenerie.
Bis 25. Februar, Di. bis So., 11 –17 Uhr, Gustav-Heinemann-Str. 80, Leverkusen.
Zur Person
1941 wird Sigmar Polke im Oels im heutigen Polen geboren. Nach der Vertreibung der Familie 1945 aus Niederschlesien nach ThüringeThüringenese 1953 aus der DDR weiter nach West-Berlin und zog schließlich nach Düsseldorf. Von 1959 bis 1960 absolvierte Polke eine Glasmale-Lehre in Kaiserswerth. 1961 nahm er ein Studium bei Gerhard Hoehme und Karl Otto Götz an der Kunstakademie Düsseldorf auf, das er 1967 beendete. 1963. ndete er zusammen mit Gerhard Richter und Konrad Lueg den Kapitalistischen Realismus, einen Kunststil, der in der Konzeption und Realisation der Aktion „Leben mit Pop – Eine Demonstration für den Kapitalistischen Realismus“ ihren Anfang nahm. 1978 siedelte er nach Köln über. In den Jahren 1980 bis 1981 unternahm Polke Reisen nach Südostasien, Papua-Neuguinea und Australien. (EB)