In der Bundeskunsthalle beschäftigt sich die neue Ausstellung mit Albernheit und Enthusiasmus in der Kunst. Gezeigt werden 100 Werke von der Renaissance bis in die Gegenwart.
Neue Ausstellung „Ernsthaft?!“Selten so gelacht in der Bundeskunsthalle in Bonn

Bundeskunsthalle Ausstellung „Ernsthaft“ Bonn
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Unter Fanfaren und Trommelwirbeln fragt ein Sprecher mit pathetischem Vibrato in der Stimme: „Meine Freunde, werden eure Herzen diese Geschichte von Grabschändern aus dem All aushalten?“ Dann trudelt ein Ufo unbeholfen auf den Friedhof herab, kommt eine Verstorbene mit entrücktem Blick und blutigen Fingern hinter der billigen Kulisse hervor. So beginnt Ed Woods Film „Plan 9 from outer space“ – und es wird nicht besser. Ob Wood wirklich so schlecht war, wie ihm nachgesagt wird, kann man heute kaum noch feststellen. Denn er ist schlicht Kult, und da ist das Attribut „Schlechtester Regisseur aller Zeiten“ eher Ritterschlag als vernichtend.
Das ist in wenigen Worten die Wirkungsgeschichte von Ed Wood (1924-1978), ein Regisseur etlicher B-Movies, der gerne Frauenkleider und Angora-Unterwäsche getragen haben soll und mit „Plan 9 from outer space“ (1959), so das Ergebnis einer Umfrage, den „schlechtesten Film, der je gemacht wurde“, gedreht hat. Ein absolut bizarrer, wahnsinnig lustiger Science-Fiction-Film mit Horrorstar Bela Lugosi. Tim Burton hat Ed Wood mit Johnny Depp in der Hauptrolle 1994 ein Denkmal gesetzt.
In der aktuellen Ausstellung der Bundeskunsthalle liefert Wood quasi die DNA: So bezieht sich die Eingangssequenz der Schau, ein von Gabriel Lester mit viel Ironie inszeniertes Spiegelkabinett, auf Woods Film „Glen or Glenda“, bei dem es um Crossdressing und Transvestismus geht. Etwas später in der Schau lädt ein Kino zur Ed-Wood-Hitparade ein. Überhaupt fungiert der „Schlechteste Regisseur aller Zeiten“ immer wieder als Stichwortgeber der Ausstellung, in der es um die Peinlichkeit und das Groteske in der Kunst der Renaissance bis in die Gegenwart geht. Der genaue Titel der Schau lautet „Ernsthaft?! Albernheit und Enthusiasmus in der Kunst“.
„Enthusiastische Peinlichkeit“
Die Kuratoren Jörg Heiser und Cristina Ricuperto bringen den Schlüsselbegriff der „enthusiastischen Peinlichkeit“ ins Spiel: „Das Gefühl oder die Haltung enthusiastischer Peinlichkeit ist zweifellos mit einer Vorstellung humorvoller Unbeschwertheit verbunden – aber ebenso sehr mit einem Gefühl ernsthafter Hartnäckigkeit, allen Widrigkeiten zum Trotz.“
Ironie und Satire seien ebenso Bestandteil wie der Durchhaltewille, den Status der Peinlichkeit auszuhalten und fortzuführen. Warnung: Nicht alles, was abgrundtief schlecht und peinlich ist, erfüllt gleichzeitig das Gütesiegel der „enthusiastischen Peinlichkeit“ und qualifiziert sich für die Bonner Schau.
Die startet mit besagtem Spiegelkabinett, eine Anspielung auf den ersten Luna Park, der 1903 auf Coney Island eröffnet wurde, die Urmutter aller Vergnügungsparks. Einen solchen betritt man sogleich: Adrien Rovero hat ein schrilles Rummel-Szenario mit rot-weiß geringelten Säulen geschaffen, an dessen Stirnseite groß „Welcome to the Shitshow!“ steht. Gegen Ende des Parcours heißt es dann „Welcome to the Idiot’s Club“. Die „Shitshow“ wird von einem wilden, wuseligen Panorama unterschiedlichster Beiträge bespielt.
Richard Nixon in Picassos „Guernica“
Kreatives Chaos ist ein Kennzeichen dieser Schau, es gibt unendlich viel zu lachen. Jim Shaws riesige frei stehende Prospekte der Arbeit „I Dreamt I was Taller than Jonathan Borowsky“ dominieren den Raum. Die an Karnevals-Mottowagen (die Ausstellung startet am 11.11.!) erinnernden kulissenhaften Darstellungen kombinieren bizarre Themen, lassen etwa eine Karikatur von Richard Nixon auf Picassos „Guernica“-Bild treffen, das seltsam bewegt und entstellt erscheint. Woanders wird das vierte Album von Led Zeppelin einer tiefgreifenden Analyse unterzogen. Oder ein riesiger Neutronenbomben-Staubsauger reinigt die Menschheit von allen Bürokraten. In einer fantastischen Fotoserie zeichnet Kiluanji Kia Henda den letzten Tag des afrikanischen Diktators Mussunda N‘zombo nach: Der wie ein Operetten-Häuptling mit kurzer Hose in einem Diorama mit Antilopen posierende Potentat nimmt ein böses Ende.
Auf der Empore, beruhigt sich die Lage etwas: Ein hochinteressanter Exkurs in die Historie der enthusiastischen Peinlichkeit schlägt einen Bogen von Renaissance und Barock bis Dada, lässt Pieter Bruegel d.Ä., George Grosz, Marcel Duchamp, Hanna Höch, Sturtevant und verschiedene Prinzhorn-Künstler zu Wort kommen. Ein hochkarätig besetzter Diskurs.
Mit Bildern von James Ensor, ziemlich peinlichen Selbstreflexionen des älteren Giorgio de Chirico, der Pornopfeife von René Magritte im Kapitel „Das moderne Museum“ und im folgenden Abschnitt, in dem Minimal Art und Konzeptkunst selbstironisch mit sich selbst ins Gericht gehen, hält die Schau das beachtlich hohe Niveau. Mit einem subversiven Zungenschlag, denn stets wird der gerade herrschende Zeitgeist als lächerliche Attitüde entlarvt.
Triumphzug des schlechten Geschmacks
Dann dreht sich das Blatt und die Trashkultur übernimmt: In einem Kino, das dem Pariser Avantgarde-Mekka „Studio 28“ nachempfunden ist, sieht man Filmausschnitte von Ed Wood. Ein Triumphzug des schlechten Geschmacks. In der benachbarten Abteilung lernen wir den Begriff Camp kennen. Camp hat im Englischen unter anderem die Bedeutung „affektiert“ oder „kitschig“. Man erlebt das wilde, queere Fitness-Ballett im Video von Brice Dellsperger, eine grelle Staubsauger-Oper mit einem Dyson als Hauptdarsteller.
Und man kommt schließlich beim Kapitel „Post-Surrealismus, Post-Internet“ an den Punkt, an dem die Realität die inszenierte Peinlichkeit in den Schatten stellt: Stichwort Donald Trump oder Liz Truss, die den Haltbarkeitswettbewerb der „Daily Mail“ gegen einen Eisbergsalat verlor. Mit Henrike Naumanns herrlichem Raum, die Einrichtung eines DDR-Schuhgeschäfts von 1990, ganz in Flieder und Pistazie gehalten, schließt die Schau: Fred Feuerstein trifft Erich Honecker. Selten so gelacht in der Bundeskunsthalle.
Die Ausstellung läuft bis 10. April 2023. Öffnungszeiten: Di 10-19, Mi 10-21, Do bis So 10-19 Uhr. Rahmen- und Vermittlungsprogramm unter www.bundeskunsthalle.de. Das lesenswerte Begleitbuch kostet 35 Euro. Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt, reist weiter nach Hamburg in die Deichtorhallen und in die Halle für Kunst in Graz.