Das Arp Museum am Rolandseck zeigt in der aktuellen Ausstellung „Sehnsucht nach Utopia“ Werke der Romantik in der Kunstkammer Rau.
Neue SchauDas Arp-Museum zeigt Ikonen der romantischen Liebe

Arp-Museum Rolandseck
Copyright: Carsten Schultz
Unter den kritischen Blicken eines Turteltaubenpaars auf dem Nachbarhaus lässt ein Student aus seinem Dachgeschossfenster einen Liebesbrief herab. Die mutmaßliche Adressatin jedoch ist in ihre Handarbeit vertieft. Allein der dem Klischee nach chronisch neugierigen Gouvernante fällt die Liebesbotschaft von oben auf. Man kann sich gut vorstellen, dass sie sich gleich den Brief schnappen wird.
Von Barden besungen
Das Bild „Der abgefangene Liebesbrief“ zeigt eines der berühmtesten Motive von Carl Spitzweg. Natürlich lässt es sich als rührende, etwas betuliche Beobachtung eines alltäglichen Phänomens deuten: Liebende, die nicht zueinanderfinden. Doch da die Kunst des Biedermeier-Chronisten Spitzweg selten frei von feiner Ironie und Satire ist, bietet sich eine andere Lesart an: Könnte mit dem Bild vielleicht das Phänomen der romantischen Liebe gemeint sein – eine Liebe, die wenig mit unserem heutigen Begriff von „romantisch“ zu tun hat?

Carl Spitzweg: Der abgefangene Liebesbrief, ca. 1860.
Copyright: Privatsammlung, Courtesy: Lempertz Zur Ausstellung Sehnsucht nach Utopia im Arp Museum
Die von Autoren beschworene, von Barden besungene und von Malern hochemotional auf die Leinwand gebrachte Liebe der Romantik sucht ihre Vollendung nicht im Vollzug, sondern in der Tragik des Unerreichbaren. Sie bleibt Sehnsucht, endet nicht selten tödlich und erfüllt sich bestenfalls im Jenseits. „Löse von der Welt mich los“, heißt es in Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“. Isoldes letzte Worte: „ertrinken, versinken, unbewusst – höchste Lust!“ Johann Wolfgang Goethes 1774 veröffentlichter Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ gilt als Initialzündung der romantischen Liebe und wurde im 19. Jahrhundert zum Kultbuch.
Lotte – die mit Albert verheiratet ist – und Werther kommen einander bei der Lektüre des Ossian näher. Im Rausch der Gefühle versucht Werther, den platonischen Charakter ihrer Beziehung – „die Seligkeit einer wahren Freundschaft“ (Lotte) – zu untergraben. Es ist das Ende. Sie zieht sich enttäuscht zurück, er erschießt sich mit Alberts Pistole. Im Entree der vorzüglichen Ausstellung „Sehnsucht nach Utopia.
Morbides Fin de Siècle
Malerei und Skulptur der Romantik“ im Arp Museum Bahnhof Rolandseck liegt eine aufgeschlagene Ausgabe des Werther mit einem Porträt der unglücklichen Lotte. Um diese Ikone der Romantik hat Kuratorin Susanne Blöcker Protagonisten der romantischen Liebe gruppiert: Tristan und Isolde – einmal gezeichnet von Aubrey Beardsley, der den Präraffaeliten nahestand, die sich wiederum in die Zeit der Renaissance zurücksehnten, einmal gemalt von dem Wiener Jugendstilmeister Koloman Moser.
Morbides Fin de Siècle trifft auf eine monumentale Deutung des Themas. Gemälde zu Goethes „Faust I“ und Shakespeares „Was ihr wollt“ begegnen in der Ausstellung Bildern aus dem „wahren“ Leben. John Francis Rigaud malte etwa einen Herzog von Abington mit seiner Familie – zwar als offizielles Porträt, aber eines, das allein durch die Blickwechsel Wärme, Nähe und Zugewandtheit ausstrahlt. Mary Cassatts wunderbares Gemälde „Louise, ihr Kind stillend“ interpretiert das romantische Ideal der guten Mutter sehr warmherzig, während die Porzellanensembles aus Frankenthal eher das Klischee der Idylle feiern.
Dass auch die innigste Liebe erkalten kann, zeigt sehr schön Johann Peter Hasenclevers „Das schmollende Ehepaar“. Blöcker erweitert ihr Romantikpanorama in der Kunstkammer Rau um zwei Aspekte. Die Natur – als Inkarnation des Großen, Überwältigenden oder als Sehnsuchtsort und anspielungsreiche Kulisse wie Projektionsfläche für Emotionen – wird als einer der zentralen Komplexe der Romantik präsentiert.
Wahrsagerinnen und Zauberer
„Traum und Albtraum“ ist das zweite Kapitel überschrieben. Es erweckt einerseits die düstere Romantik der Wahrsagerinnen und Zauberer, der mehr oder weniger fragwürdigen Helden, mit intensiven Bildern zum Leben, andererseits entführt es in die Welt der Märchen. Hier sind wir bereits ganz nah bei den Visionen und Projekten, bei den Fantasien und politischen Utopien, die sich an den Ufern des Rheins manifestierten. Die Rheinromantik feiert sich mit ihren neogotischen Schlösschen, mit dem mythisch aufgeladenen Siebengebirge, dem Panorama mit Nonnenwerth, dem Drachenfels und dem majestätischen Rolandsbogen. Wie eine Illustration von 1880 zeigt, zählte schon damals der Bahnhof Rolandseck zu den Hotspots der Rheinromantik.
Die mit 68 Exponaten gut bestückte Ausstellung wird im Arp Museum in den Räumen der Kunstkammer Rau gezeigt. Sie läuft bis einschließlich 2. November (geöffnet Di bis So 1118 Uhr). Zur Ausstellung ist außerdem ein Katalog erschienen. Das umfangreiche Rahmenprogramm findet sich unter arpmuseum.org. Unter anderen fimdet am 21. Juni, 15 Uhr eine Führung mit Kuratorin Susanne Blöcker statt.