Neuer Roman: In „Für immer seh ich dich wieder“ verarbeitet der Autor Yannic Han Biao Federer den Tod seines Sohnes.
Neuer RomanAutor Yannic Han Biao Federer über den Tod seines Sohnes

Zu Hause in Köln-Kalk: der preisgekrönte Yannic Han Biao Federer.
Copyright: Bettina Engel-Albustin/Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste
Sein Name ist Gustav Tian Ming. Er hat nie geatmet, seine Eltern haben nie die Farbe seiner Augen gesehen. Durch eine Komplikation wurde er tot geboren. Sein Vater, der Kölner Autor Yannic Han Biao Federer, hat über die traumatische Erfahrung ein Buch geschrieben. Mit „Für immer seh ich dich wieder“ setzt der 39-Jährige seinem Sohn ein literarisches Denkmal. Das berührt, zu Tränen rührt und vor allem auf den ersten Seiten so sehr unter die Haut geht, dass man sich fragt, ob man weiterlesen kann.
Denn auch wenn es ein literarischer Text ist, so hat Federer die Ich-Form gewählt, nennt sich, seine Freundin, viele Menschen in seinem persönlichen Umfeld mit Namen. Am Anfang habe er „die Sicherheit einer Fiktionsebene gesucht“ erzählt er im Gespräch mit der Rundschau. „Irgendwann habe ich gemerkt, diese Sicherheitsebene kann dieses Buch nicht haben, wenn ich Gustav gerecht werden möchte.“
Der Entstehungsprozess fing früh an, für den Autor erschreckend früh: „Ich habe immerzu diese Literaturstimme im Ohr, die beschreibt, was passiert, es ist wie ein Radio hinter der Schläfe, das quasselt und schwatzt, als wäre das hier Recherche, als wäre das hier für einen Text ...“, schreibt er im Buch.
Wir stecken das irgendwie weg, alles. Ich weiß nur nicht, wohin.
Doch schnell entschließt er sich, unterstützt von seiner Freundin, die Erlebnisse aufzuschreiben. Gemeinsam haben sie versucht, sich an jedes Detail zu erinnern, diese ersten Tage minuziös aufzuarbeiten. Das wurde zum einen ein Trauerritual. „Aber es kam auch aus dem Impuls heraus, von der wenigen Zeit, die wir mit unserem Sohn hatten, möglichst alles aufzubewahren, um nichts zu vergessen“, erklärt Federer.
Nach und nach wurde aus dem Text für Gustav ein Buch. „Irgendwann haben wir gemerkt, dass der Text sich verselbstständigt, insofern, als dass er Dinge beschreibt, die über den kleinen, engen, privaten Rahmen hinausgehen.“
Das erste Drittel umfasst den Zeitraum zwischen der nächtlichen Fahrt ins Krankenhaus und der Fahrt nach Hause drei Tage später. Auf die Diagnose folgen eine Notoperation und zwei Tage, an denen Yannic und Charlotte sich von ihrem Sohn verabschieden können. Das tote Kind wird den jungen Eltern immer wieder gebracht. Sie können Gusti, wie den Sohn nennen, immer wieder anschauen, berühren, im Arm halten, mit ihm Zeit verbringen, mit ihm sprechen. „Ich habe Angst, irgendetwas zu vergessen, irgendetwas Wichtiges, Entscheidendes, das nur sagbar ist, solange ich ihn vor mir sehe, das Näschen in die Schulter geschmiegt, aber später nicht mehr, an seinem Grab.“
Nach zwei Tagen verlassen die beiden das Krankenhaus, müssen sich dem Alltag stellen, die Beerdigung organisieren, mit Menschen über ihren toten Sohn kommunizieren. Und auch als Paar gemeinsam einen Weg finden.
Erst als er über seinen Sohn gesprochen habe, hörte er plötzlich viele solcher oder ähnlicher Geschichten, auch im engsten Umfeld. Er habe sich gefragt: „Warum höre ich sie erst jetzt?“ Und festgestellt: „Die Gefahr, das Risiko, das mit einer Schwangerschaft einhergeht, wird irgendwie ein bisschen weggekuschelt. Und es kommt erst langsam im Diskurs an, dass Geburt eben nicht nur rosarot und plüschig ist.“
Erst wenn es erzählt wird, immer wieder erzählt wird, kann es Erinnerung werden.
Das „enorme Problem“, das viele Menschen gehabt hätten, mit ihnen umzugehen, habe ihm gezeigt, „dass unsere Gesellschaft nicht sonderlich gut darauf eingerichtet ist, dass Menschen trauern“, auch er selber sei „nicht so wahnsinnig gut darin gewesen, zu kondolieren oder mit trauernden Menschen umzugehen“.
Deshalb ging er in beruflichen Situationen sehr offen damit um, beschloss, etwa Absagen für Lesungen oder Veranstaltungen nicht „nebulös“ zu halten mit Floskeln wie „aus persönlichen Gründen“. Er habe seinen Sohn nicht „abstrahieren“ wollen. „Meine Trauer ist ein Ausdruck von Liebe. Die Momente, in denen mir Gustav sehr nahe ist und ich womöglich sogar weine, sind schöne Momente, Momente der Nähe und der Wärme. Wenn mir das genommen wäre, wäre ich ärmer.“
So seien zwar einerseits sehr schöne E-Mail-Wechsel entstanden. „Das tatsächlich Belastendste war aber, wenn mein Gegenüber quasi zusammengebröselt ist und ich ihm dann wieder aufhelfen musste.“
Das tatsächlich Belastendste war aber, wenn mein Gegenüber quasi zusammengebröselt ist und ich ihm dann wieder aufhelfen musste.
Oft hätte es auch immer wieder Situationen gegeben, „in denen uns suggeriert wurde: Ihr probiert es doch noch mal, und wenn es dann klappt, wird alles wieder gut. Das hat mich, hat uns unglaublich gestört.“ Als könnte ein Kind das andere ersetzen. „Dieser konkrete Mensch kommt nicht wieder, egal, wie viele Kinder hinterherkommen.“
Ist es Schicksal oder Zufall: Zweieinhalb Wochen, bevor das Buch erscheint, sind Yannic Han Biao Federer und seine Freundin noch einmal Eltern geworden, diesmal von einer Tochter. Zum Interview kommt Federer ganz leicht verspätet, es musste noch einmal eine Windel gewechselt werden. Und so werden beide Kinder seine nächsten Wochen und Monate bestimmen. „Auch wenn dieses Buch irgendwann lange zurückliegt, möchte ich meinen Sohn nicht ad acta legen und sagen, ‚Genug der Trauer, auf zu schönen neuen Dingen’.“
Und auch die Tochter habe ihren großen Bruder verloren und solle „durchs Leben gehen in dem Bewusstsein, dass es da jemanden gibt und zu dem sie hoffentlich auch eine Verbindung hat“.
Autor:Yannic Han Biao Federer: Für immer seh ich dich wieder. Roman, Suhrkamp Nova, 184 S., 20 Euro.
Lesungen:15. Mai, Literaturhaus Köln; 28. Mai, Literaturhaus Bonn; 10. Juli, Stadtbibliothek Köln