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Nora wird zum ModepüppchenSchauspiel Köln zeigt Henrik Ibsens Emanzipationsdrama

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Szene mit Nora (Sophia Burtscher), Helmer (Peter Miklusz, l.) und Justus Maier.

Köln – Als „Tragödien auf dem Plüschsofa“ hat Theaterkenner Georg Hensel die Dramen von Henrik Ibsen tituliert. Doch im Depot von Schauspiel Köln fehlt bürgerliches Mobiliar zunächst völlig. Stattdessen: Kameras, Neonbatterien, Models, die über eine weiße, mit aufgeklebter Blutlache versehene Spielfläche laufen. „Nora“ erlebt in Robert Borgmanns Bearbeitung, Bühnenbild und Regie eine krasse Milieu-Transplantation.

Torvald Helmer verdient seine Brötchen hier nicht als Bankier, sondern als Werbe-Profi, genauer: „Creative Director“, der die Kampagnen der exklusivsten Modemarken inszeniert. Und Sophia Burtscher, als Gattin Nora selbst gertenschlank, Laufsteg-tauglich und dauernd fotografiert, trägt über weite Teil des Abends eine fleischfarbene Hülle, die jede Kurve des quasi nackten Körpers betont. Schon klar, sie ist ein Schmuckstück, eine Trophäe im Puppenheim des Herrn Helmer.

Ibsens Texte spielen eine Nebenrolle

Den verkörpert Peter Miklusz mit Nerd-Brille, Zottelhaar und Schlabberlook als zappeligen Macho, hinter dessen nervöser Energie kaum getarnter Jähzorn lauert. Ein aufgeblasener Wichtigtuer, dem die Titelheldin anfangs eine Plapperwut hart an der Hysteriegrenze entgegensetzt. Nora – eine affektierte Egozentrikerin? Auf jeden Fall kommt Borgmanns Update der Vorlage gleich zu Beginn auf den Nullpunkt dieser Ehe und damit in eine Zone psychologischer Stagnation.

Ibsens Texte (in der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel) spielen dabei eher eine Nebenrolle, denn diese Fassung legt den Jargon der digitalen Moderne darüber. Man ist „open minded“, die schwangere Nora hat „happy pregnant pictures“ gepostet, und der Wert von Personen wird an der Börse der „Klicks“ und „Likes“ notiert. Alles so schön hohl hier. Da passt es gut, dass Krogstad, der Schurke der Vorlage, zum Influencer (Alexander Angeletta) mutiert. Der hat Nora in der erpresserischen Hand, weil sie mit einem gefälschten Schuldschein den rettenden Italien-Urlaub ihre Burn-out-geschädigten Gatten finanziert und dies verschwiegen hatte.

Ein Loch im Zentrum des Abends

Die reine Plot-Verpflanzung gelingt hier noch am überzeugendsten, jedenfalls besser als die plakativ demaskierenden Charakterskizzen. Burtschers überspannte Nora hat die Erziehung ihrer roboterhaften Kinder an Zuzanna (Kristin Steffen) delegiert und wird offenbar von keinerlei Hausarbeit behelligt. Da fragt man sich, warum sie angesichts längst umgewerteter Geschlechterrollen das von Helmer verlangte Geld nicht selbst verdient… Weil sich Ibsens Kernkonflikt unterwegs verflüchtigt hat, gähnt im Zentrum des kurzen Abends ein Loch, das nun szenische Einfälle kaschieren müssen.

Da kommt das Plüschsofa doch noch zum Einsatz, wenn nicht gerade ein Motorrad oder ein Tierkadaver-Modell in die gute Stube geschoben wird – Letzteres womöglich als Reminiszenz an die düsteren Bildwelten von Francis Bacon.

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Noras Jugendfreundin Kristine (Katharina Schmalenberg) wandelt sich unterdessen per Schönheits-OP von der Schreckschraube zur aparten Partie und darf dank Bettina Werners Kostüm-Ideen auch als aufgeplusterter Federball erscheinen. Und dass der moribunde Hausfreund Alexander (Séan McDonagh) seine Abschiedsrunde auf hohen Hacken absolviert, dient wohl auch nur der Erhöhung des Schrillfaktors.

Kurz vor Schluss, wenn das emanzipierte Modepüppchen seinem „Besitzer“ kündigt, gelingt noch ein großes Bild: Da wird Helmer von seinen zombiehaften Models umgerempelt, windet sich schließlich greinend und nackt am Boden, während ihm die Gattin im Mantel das Zeugnis der toten Ehe ausstellt. Mehr ist es dann aber auch nicht: ein sch eiterndes Paar wie so viele andere. Einhelliger Beifall.

90 Minuten ohne Pause. Nächste Termine von „Nora“: 6.11., 4.12. und 12.12., jeweils 19.30 Uhr, 22.11., 18 Uhr, und 13.12., 16 Uhr. Karten-Telefon: (0221) 221 28 400.