Wie kann man Hassan helfen?Nuran David Calis erzählt in „Exil“ von den Schicksalen Geflüchteter

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Eine Szene aus „Exil“.

Gefangen in der Wartehalle (v.l.): Oleksii Dorychevskyi, Kristin Steffen, Stefko Hanushevsky, Ismail Deniz und Michaela Steiger.

Wie in Stücken „Die Lücke“ und „Mölln 92/22“ setzt sich Regisseur Nuran David Calis auch in „Exil“ mit dem weiten Feld der Migration auseinander.  

„Wie man Hassan wohl helfen kann?“, denkt eine Zuschauerin laut nach der Premiere von Nuran David Calis neuem Stück „Exil“ des Schauspiels. Und sie reagiert damit auf den sicher bewegendsten Moment dieses Abends im Depot 2.

Live zugeschaltet via Skype erzählt der junge schwule Mann aus Uganda seine Geschichte: Er flieht aus seinem Heimatland, weil dort homosexuelle Handlungen strafbar sind, über Kenia in die Türkei. Von dort versucht er mehrmals übers Meer nach Griechenland zu fliehen, wird immer wieder aufgegriffen und landet im Gefängnis, wo er – weil er schwarz ist – geschlagen wird. Jedes Mal wird er nach einigen Tagen entlassen, mit der Auflage, die Türkei in Richtung seiner alten Heimat zu verlassen.

Der vierte Versuch, nach Griechenland zu kommen, gelingt. Nun sitzt er in einem Flüchtlingscamp auf der Insel Samos und wartet auf sein Anhörungsverfahren. Nach seinen Wünschen für die Zukunft befragt, strahlt er in die Kamera: „Ich möchte Menschen helfen, die in einer ähnlichen Situation sind wie ich.“

Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling

Dass es davon reichlich gibt, hat Nuran David Calis in den vorhergehenden 90 Minuten gezeigt. Aber auch, dass Flüchtling nicht gleich Flüchtling ist. Wie auch in anderen Arbeiten am Schauspiel Köln wie „Die Lücke“ oder „Mölln 92/22“ arbeitet der Regisseur und Autor mit Schauspielern und „Betroffenen“. Oleksii Dorychevskyi ist beides.

Seine dramatische Schilderung, wie er zusammen mit seiner Frau und dem gemeinsamen Baby aus Kiew über Polen nach Berlin flüchtet, gerät deshalb so intensiv, dass beim Zuschauen kaum nachzuvollziehen ist: Berichtet er von Selbsterlebtem oder handelt es sich bei seinen Monologen um den Bericht eines anderen? Eigentlich will er kurz nach Kriegsbeginn nur Frau und Kind zum Bahnhof bringen, damit die zwei sich bei den Schwiegereltern auf dem Land in Sicherheit bringen können.

Doch dann bittet seine Frau ihn auf dem Bahnsteig, doch mitzukommen. Und er steigt ohne Gepäck, ohne Fahrkarte, mit in den Zug. Was wie eine Szene aus einem Hollywood-Drama klingt, ist wirklich so passiert. Als eine Art Bestätigung lässt Calis Oleksiis Ehefrau Alina in einem Einspieler ihre Sicht der Erlebnisse erzählen – nüchtern, abgeklärt, bewegend.

Mühlen der deutschen Verwaltung mahlen langsam

In weiteren Videos berichten andere Geflüchtete aus dem Irak, dem Iran, Syrien oder Burundi davon, wie es sich anfühlt, seine Heimat verlassen zu müssen, aber auch nie ganz mit ihr abschließen zu können. Oder wie schwer es ist, andernorts neu anzufangen – und wie schwer es einem an diesem neuen Ort oft gemacht wird. Bei Vielem schüttelt man nur verständnislos mit dem Kopf nach dem Motto „Und das in Deutschland?“.

Was Hamado aus Burundi von seinen Erlebnissen rund um seinen Asylantrag erzählt, kann hingegen jeder nachvollziehen, der sich zum Beispiel mit einem Gutachter auseinandersetzen musste, der eine Erwerbsminderungsrente bewilligen soll. Die Mühlen der deutschen Verwaltung mahlen nicht nur langsam, die Funktion des Mahlwerks ist für die Betroffenen meistens nicht nachvollziehbar.

In einem Geviert, das von mannshohen Plexiglasscheiben begrenzt ist und an eine Wartehalle erinnert, platziert Calis das Schauspielensemble, zu dem neben Oleksii Dorychevskyi Stefko Hanushevsky, Kristin Steffen, Ismail Deniz und Michaela Steiger gehören. Sie kommentieren, übersetzen, liefern Fakten.

Stefko Hanushevsky erzählt die Geschichte seiner Großeltern, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Ukraine nach Deutschland flohen. Hier harrten sie fünf Jahre lang aus, in der Hoffnung, zurückkehren zu können – bis sie irgendwann erkennen mussten, dass dies nicht möglich ist.

Damit dieser Abend nicht vollends zur Doppelstunde in den Fächern Ethik oder Gesellschaftskunde wird, lässt der Regisseur das Ensemble Tier- und Strumpfmasken aufsetzen, einige Texte aus einem separatem, wie vernebeltem Raum sprechen.

Das übliche Instrumentarium aus der Regie-Werkzeugkiste, das aber der erschreckenden Wirklichkeit nicht Paroli bieten kann. Was bloß aus Hassan wird?

105 Minuten, ohne Pause. Wieder am 27. und 29.1, 10. und 14.2., jeweils 20 Uhr.

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