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Oper „Die tote Stadt“ in Köln„Wir lieben alles, was nicht flach und langweilig ist“

Lesezeit 4 Minuten
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Ausrine Stundyte und Burkhard Fritz

Köln – „Das passiert in einem Sängerleben nicht so oft, dass man solche Sachen machen darf. Und diese Musik hat mich – zudem nach achtmonatiger Musikpause – einfach zerrissen; sie ist so intensiv und schwelgerisch, dass sie mich komplett aufsaugt.“ Wer da so schwärmt, heißt Burkhard Fritz, beruflich Heldentenor und als Paul Protagonist in der Neuinszenierung von Korngolds Oper „Die tote Stadt“ im Kölner StaatenHaus. „Solche Sachen“ betreffen den Termin am 4.12.2020: Auf den Tag 100 Jahre nach der Uraufführung in Köln geht eine neue Version dieses Geniewurfes des damals erst 23-jährigen Wiener Wunderknaben Erich Wolfgang Korngold über die aktuelle Bühne, Corona-bedingt als Live-Stream. Wir sprachen mit „Paul“ und mit „Marie“, jetzt interpretiert von der litauischen Sopranistin Ausrine Stundyte – ein Weltstar mit Kölner Vergangenheit.

„Köln ist meine zweite Heimat“, erzählt die Sängerin über ihren Start 2003 am Rhein, „hier war ich unheimlich glücklich. Es war der Sprung ins kalte Wasser, von der Hochschule in Leipzig volle Kanne in die tollsten Partien.“ Nach fünf Jahren eroberte sie die internationalen Opernbühnen, oft mit Werken des 20. Jahrhunderts bis zur „Salome“ an der Berliner Staatsoper.

Vom Zaungast bis Ehrenloge

Schon „Written on Skin“ kann am Dienstag, den 1. Dezember 2020 um 19.30 Uhr ausschließlich als Stream gesehen und gehört werden.  Benjamin Lazar führt Regie, François-Xavier Roth dirigiert das von  George Benjamin komponierte Werk. Unter https://www.oper.koeln.de/streaming  sind die Ticket-Kategorien zu sehen. Die Preisskala reicht von Null („Zaungast“) bis zu 350 Euro („Ehrenloge“). Da Bild und Ton in allen Kategorien gleich sind, gilt das Prinzip: Man zahlt (per Kreditkarte oder Sofort-Überweisung) so viel, wie einem der Abend wert ist. Unter derselben Adresse bucht man „Die tote Stadt“ am 4.12., 19.30 Uhr. Die Links gelten nur zu den angegebenen Zeiten und nicht „on demand“. (EB)

„Das war keine bewusste Wahl, das hat sich so ergeben“ erläutert die Sopranistin.  „Aber daraus hat sich eine gegenseitige Liebe entwickelt. Mein Timbre passt nicht unbedingt ins italienische Fach, da ist die modernere Musik offener für andere Stimmen. Auch schauspielerisch interessiert mich das viel mehr, man kann sich besser austoben.“ Mit Blick auf ihren Bühnenpartner Fritz ergänzt sie: „Wir sind beide gerne verrückt und lieben alles, was nicht flach und langweilig ist. Das ist unsere Sache.“

Dabei hatte Fritz „ja eigentlich Medizin studiert und das Singen mit privatem Unterricht als Hobby betrachtet und nie als Beruf in Betracht gezogen. Aber nach einigen kleinen Rollen als Gast an der Hamburger Musikhochschule habe ich in der Medizin pausiert. Nach meinem Erst-Engagement bin ich nie mehr zurückgegangen und hatte entschieden, dass dies meine Welt ist.“

Einen erfolgreichen Weg beschritten

Und sein Weg verlief mehr als erfolgreich, ebenfalls bis zur Staatsoper Berlin. „Wenn das Wagnerfach erreicht ist, folgt die Schublade für deutsche Tenöre - in der man scheitert oder immer weiter aufsteigt, weil es im Heldenfach, also etwa für Wagners Siegfried, nicht so viele gibt.“ Hilft der Mediziner-Hintergrund dem Sänger? „Ich wäre natürlich auch Hals Nasen Ohren-Art geworden, da kenne ich mich ja gut aus.“ Aktuell sind Stimmartisten unter den Musikern besonders betroffen. Dazu der Heldentenor: „Bei Virenangst hätte ich auch keine Kinder haben dürfen.

Man darf sich von einer solchen Angst nicht diktieren lassen.“  Der Kampf gegen überdimensionierte Orchester und satte Tuttiklänge erfordert höchste Fitness. Stundyte: „Ich habe großen Respekt vor dieser anstrengenden Partie, ich hatte auch mehr Striche erhofft – es gleicht einem Marathon, vor dem ich sogar ein bisschen Angst habe, jedes Mal.“

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Sie spielt im Stück die junge Tänzerin Marietta, die in Pauls Erinnerung mit seiner früh verstorbenen und abgöttisch geliebten Ehefrau Marie verschmilzt. „Ich sehe Marie eher als eine fiktive Traumfigur, nicht als reale Figur“, meint die Sopranistin. „Das macht vieles möglich.“ Doch was kann uns das Stück, das ja im Wien des Sigmund Freud entstanden ist, heute sagen? Fritz: „Paul könnte jetzt leben, ein Mensch, der über seine Trauer den Bezug zur Realität verloren hat. Das kann man immer spielen.“

Der Tenor, der jetzt in Köln seinen fünften Paul gibt und damit ein erstaunlich erprobter Spezialist für diese relativ selten gesungene Rolle ist, spricht über Korngold-Klänge beinahe wie ein Abhängiger: „Es ist Musik mit Sog und Schönheit an der Grenze der Tonalität, man spürt die Zeit, der Erste Weltkrieg nicht weit. Musik, die trotzdem oder deshalb musikalisch so reich ist, dass ich da gern immer wieder eintauchen will.“ Fritz entdeckt hier Qualitäten eines Hitchcock-Films, Crime und Albtraum im psychodelischen Genre: Da passt das Streaming-Format perfekt.

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