Eine drastische Neuinterpretation von Richard Strauss’ „Frau ohne Schatten“ kassiert an der Oper Bonn Bravos und jede Menge Buhs.
Kontroverse OperninszenierungPeter Konwitschnys Neuinterpretation von „Die Frau ohne Schatten“ spaltet das Publikum in Bonn

Die Frau ohne Schatten Richard Strauss Oper Bonn
Copyright: Matthias Jung
Der Palast – ein Garagenhof. Der Kaiser – ein Gangsterboss. Die Färberei – eine Fruchtbarkeitsklinik. Das Ende – gar nicht mehr so happy. Die Frau ohne Schatten – bleibt weiterhin ohne. Das Publikum – teils empört, teils entzückt. Nach zweieinhalb Stunden tobt der Zuschauerraum der Oper Bonn mit Buhs und Bravos wie selten, sodass der eine oder andere auf der Bühne am Premierenabend schmunzelt.
Die Neuproduktion von Richard Strauss’ „Die Frau ohne Schatten“ trägt den Untertitel „Versuch einer Annäherung“, um den Verdacht der Werktreue gar nicht erst aufkommen zu lassen. Regisseur Peter Konwitschny und Dramaturgin Bettina Bartz sind mit einem eisernen Besen durch die Partitur gegangen. Vom dritten Aufzug bleiben in nur Fragmente, wodurch die reine Spieldauer von den kanonischen 3 ¼ Stunden auf etwas über zwei zusammenschnurrt.
Frauenfeindliche Passagen gestrichen
Hugo von Hofmannsthals Geschichte ist die zweier Frauen ohne Kinder, hier Schatten genannt. Die Kaiserin aus dem Reich der Feen ist unter Druck, ein Kind zu bekommen - denn gelingt es ihr nicht, wird der Kaiser zu Stein. Zusammen mit ihrer Amme versucht sie, in der Welt der Menschen eine Frau zu finden, der sie die Gebärfähigkeit abkaufen können. Hier treffen sie auf die Färberin, die sich in einer Zwangsehe bewusst gegen Kinder entschieden hat. Doch der Handel wird nicht einfach.
In Bonn wurde einige der heute als frauenfeindlich wahrgenommenen Passagen der Oper ausgekehrt, sodass die Produktion, so sagte Konwitschny verschmitzt in Interviews vorab, „nun auch männerfeindlich ist“.
Internationale Ko-Produktion
Die Oper Bonn setzt damit die bestehende Zusammenarbeit mit der Tokyo Nikikai Opera Foundation fort, dort war Konwitschnys Inszenierung mit lokaler Besetzung bereits 2024 zu sehen (ebenfalls mit vielen Buhs).
Und auch das Teatro Real in Madrid ist im Boot, dorthin wird die Inszenierung weiterfegen. Die Kernfrage des Werks bleibt: Müssen Partnerschaft, Kind und Kinderwunsch die zentralen Themen im Leben einer Frau sein?
Innere Konflikte der Titelpartie
Sopranistin Anne-Fleur Werner zeigt ihre Kaiserin als eine, die mit der Frage furchtbar ringt, sich quält und barmt. Sie legt die inneren Konflikte in ihr Spiel, zeigt sich verletzlich, offen, kaum bekleidet, schutzlos. Aber sie darf auch Wut zeigen und große Lust beim Sex mit Färber. Werner beweist bei ihrer starken Darstellung auch Mut zur Hässlichkeit und legt auch gesanglich alle Gefühle, die sie zeigt, in die schwere Partie, eine wirklich beeindruckende Leistung.
Ihr Kaiser ist Tenor Aaron Cawley, ein gewalttätiger Geck, dessen Standard-Reaktion auf einfach alles der Griff zur Pistole ist. Falke ist eine Bordsteinschwalbe und seine Geliebte, „Falke mein Falke“ gelingt ihm dennoch hochemotional, wiederum mit Gewaltausbrüchen.
Rustikales Färberpaar
Rustikaler dagegen tritt das Färberpaar als schluffiger Fruchtbarkeitsarzt und vergleichsweise derbe Gattin (Aile Asszonyi) auf, mit Klamauk und Ehestreit. Bariton Giorgios Kanaris singt die großen, schweren Passagen vor allem aus dem Bett heraus. Die Figur der Amme (Ruxandra Donose) ist gegen diese beiden Paare eher blass. Die Ausstattung von Johannes Leiacker dient der Verortung des Spiels.
Generalmusikdirektor Dirk Kaftan findet mit dem Beethoven Orchester einen kontrastreichen Strauss-Klang, der auf die expressionistischen Elemente der Partitur reflektiert, lässt aber gerade die Cello- und Violinsoli in voller Wärme erklingen und fügt die Kanten gerade zum letzten Drittel hin zu einem wuchtigen Gesamtbild zusammen.
Reihenfolge auf den Kopf gestellt
Richard-Strauss-Verehrer und Fans der Werktreue mussten bei diesem Abend also ganz stark sein, denn Regisseur Peter Konwitschny hat nicht nur gekürzt und die Figuren umgedeutet, sondern auch Szenenfolgen geändert, die Arie des Barak zerschlagen, Gesprochenes hinzugefügt. Die Märchenwelt ist entzaubert, die menschliche Gegenwart zeigt sich als bizarre Version ihrer selbst. In sich sind die Weiterentwicklung des Stücks und die Figurenführung sehr schlüssig, auch musikalisch funktioniert die Fortschreibung.
Der Buh-Sturm am Ende und die schon nach der Pause gelichteten Reihen verrieten, dass es manchem weiterhin grundsätzlich ein Graus ist, wenn das Regietheater das Liebgewonnene mit eigenen Ideen überschreibt, verändert, anpasst, in Teilen niederreißt. Genau dafür aber steht Peter Konwitschny mit seinem Lebenswerk, und es wäre geradezu eine schlechte Konwitschny-Produktion, wenn niemand empört wäre - auch wenn seine Theatermittel sämtlich erprobt und bekannt sind.
Neues Ende
Am Ende, das nicht das traditionelle Ende ist, sondern eine Szene aus dem zweiten Akt, zeigt sich: Die kinderlose Single-Frau ist eine Leidende und bekommt auch heute noch den Katzentisch der Gesellschaft oder wird einfach weggeballert, während die Männer an der großen Tafel selbstherrlich konsumieren und dann fröhlich von dannen ziehen, auch wenn sie nicht mal auf eigenen Beinen stehen können.
Insofern bleibt alles beim Alten – und das ist es, was die Buhs verdient hätte. Außerhalb des Theaters.
160 Minuten (inkl. Pause), wieder am 29.11., 19.12. und 16.1., jeweils 19.30 Uhr, sowie am 28.12., 4. und 11.1., jeweils 18 Uhr.
