AboAbonnieren

Interview

Oper „INES“ in Köln
Wie klingt Musik nach dem Atomgau?

Lesezeit 4 Minuten
Komponist und Dirigent Ondřej Adámek im  Staatenhaus.

Komponist und Dirigent Ondřej Adámek im Staatenhaus.

Ondrej Adámek im Gespräch über seine Oper „INES“, die nach der Skala zur Festlegung von Störfällen benannt ist.

Für François-Xavier Roth springt der tschechische Komponist Ondřej Adámek ein und dirigiert seine Oper „INES“ nun selbst. Jan Sting sprach mit dem 45-Jährigen über eine berührende Liebesgeschichte nach der Atomkatastrophe.

Sie erzählen eine starke, antike Liebesgeschichte neu. Wie entstand die Idee, Orpheus und Euridice in der Welt nach einer Atomkatastrophe anzusiedeln?

Die Idee stammt von Katharina Schmitt, der Autorin des Librettos. Wir haben viel diskutiert, und uns interessierte unter anderem, einen Blick auf Orpheus zu werfen. Warum dreht er sich um, warum schaut er zurück? Euridice stirbt, und Orpheus kann nicht mit ihr in das Reich des Todes. Sie ist leicht, ihre Seele fliegt, und er kann nicht mit.

Monteverdi und Gluck haben diese Liebesgeschichte beschrieben, was erwartet uns bei „INES“?

Katharina arbeitet viel mit Licht, Schatten, Bestrahlung und Dunkelheit. Wir haben uns von Menschen inspirieren lassen, die den klinischen Tod überlebt haben. Der Tod wird laut, dynamisch, aber auch harmonisch. Wir haben unterschiedliche Stellen und Etappen, gehen durch bis zu einem besonderen Licht.

Wie klingt dieses Licht?

Ganz hoch, sehr scharf – damit man sich an etwas sehr Scharfes erinnert, was schneidet. Ich habe mir in Filmen sehr genau angeschaut, wie sich ein riesiger Atompilz entwickelt. Erst besteht eine sehr konzentrierte Energie, die aufsteigt und sich anschließend verbreitet.

Und die Stimmen der Sängerinnen und Sänger verändern sich?

Ich suchte lange erst einmal die Vokallinie – nach ihrem Rhythmus, Geschwindigkeit und Klang der natürlichen Sprache. Ich suchte nach einem Weg, wie es möglich ist, so viel wie möglich zu singen, denn darum geht es ja in einer Oper. Die Solisten Kathrin Zukowski und Hagen Matzeit haben mir sehr dabei geholfen, wie das stimmtechnisch umsetzbar ist. Euridice spricht erst ganz normal. Aber nach der Bestrahlung geht es über zu Belcanto, hinein ins Trauma. Orpheus kommt im fünften Bild ins Museum, wo Euridice gearbeitet hat. Er will ihre Stimme hören. Und er hört sie in veränderter Form, wie man sie sich vielleicht vorstellen könnte.

Sie erfinden immer wieder Instrumente neu, was passiert in Ihrer Oper?

Die zweite Geigen-Gruppe ist verstimmt in Achtel-Tönen und spielt fast nur leere Saiten und Flageolett. Sie ordnen wir um das Publikum herum an.

Wie war es für Sie kurzfristig als Dirigent der Oper einzuspringen?

Das war anders als gedacht, und die Situation ist für mich jetzt neu. Aber ich schaffe das, weil ich Erfahrung mit großen Ensembles, Chor und Solisten habe.

Haben Sie sich innerlich von den Ängsten vor einer Atomkatastrophe distanzieren können? Regelmäßig erfahren wir, was Putin gerade wieder zu dem Thema provoziert.

Das Libretto war vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine fertig. Es ist kein politischer Stoff, es geht auch nicht um Hiroshima und Nagasaki und die Bomben Little Boy und Fat Man, die allein in Hiroshima 300 000 Menschen in den Tod rissen. Es geht mehr um die offenen Fragen. Was passiert mit dem Müll aus der Atomenergie?

Stehen dafür 2400 Säcke im Saal?

Diese stehen symbolisch für den Müll nach dem Reaktorunfall in Fukushima, der von Arbeitslosen weggeräumt wurde.

Und welche Rolle spielen in der Handlung die Mädchen von Hiroshima?

Sie schrieben einen Brief an den Piloten, der die Bombe abwarf. Es ist sehr berührend, denn sie wurden verletzt, aber haben ihm einen aufmunternden Brief geschrieben. Er hatte psychische Probleme. Wir haben uns entschieden, Jazzlieder dazu zu machen.

Katharina Schmitt erklärte, dass für ihre Generation der Unfall in Tschernobyl sehr prägend war.

Für uns in Osteuropa war das prägend; eher absurd wie das ganze Leben. Fukushima hat mich später sehr stark bewegt.

Gibt es in Ihrer Oper „INES“ auch eine hoffnungsfrohe Perspektive?

Euridices Tod ist ein Weg zum Licht, und Orpheus' Treue zu ihr ist schön. Das ist sehr harmonisch.


Ausgehend von der INES-Skala, die zur Festlegung von Störfällen in Kernkraftwerken gilt (International Nuclear and Radiological Event Scale), entwickeln der Komponist Ondřej Adámek und die Librettistin und Regisseurin Katharina Schmitt mit „INES“ in ihrer zweiten gemeinsamen Arbeit ein Musiktheaterstück am Ende des Anthropozäns. O (Orpheus) wird von unbändiger Trauer erfüllt, denn seine Geliebte E (Euridice) ist tot. Er kann sie nicht mehr hören, sich nicht mehr an ihr Gesicht erinnern und will am liebsten selbst zum Schatten werden.

Die Uraufführung ist am 16. Juni, 18 Uhr im Staatenhaus in Saal drei. Weitere Aufführungen am 26. und 28. Juni, 19.30 Uhr, am 30. Juni um 16 Uhr, und am 3. Juli um 19.30 Uhr.