Auf dem Roncalliplatz rüstet Patti Smith mit Appellen für schwere Zeiten, die noch kommen mögen.
Patti SmithEinsatz für erreichte Ziele, die wieder in Gefahr geraten

Rockmusikerin Patti Smith.
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Das musste man sich 1975 als Frau erst mal trauen: Van Morrisons Balz-Klassiker „Gloria“ krallen, ihm die sechs Minuten lange, lyrisch-freizügige Schilderung einer heißen lesbischen Affäre überstülpen und dann noch die religiösen Obertöne des Namens „in excelsis deo“ offen ansprechen. „Jesus died for somebody’s sins – but not mine“ lauten die ersten Zeilen, die Patti Smith mit dünner, gleichwohl selbstbewusster Stimme auf ihrem Debut „Horses“ zu den Klängen ihrer wackeligen Garagen-Band sang. Um dann gleich noch summarisch sämtliche „rules and regulations“ in die Tonne zu kloppen.
Lebensbejahend
„Gloria“ funktionierte toll vor 50 Jahren, es war tanzbar, roh und unbehauen, ein frühes Manifest der heraufdämmernden Punk-Bewegung gegen das Spießertum an sich und die erschlaffte Hippie-Bewegung im Besonderen. Ein Schlüsselstück für den rebellischen Teil der damaligen Jugend, die nach neuen Helden und Ausdrucksmöglichkeiten suchte.
Entsprechend begeistert wurde es von den vielen gesetzteren Herrschaften im Publikum begrüßt, als es als Zugabe bei Smith„ Konzert auf dem Roncalliplatz erklang. Wobei die 78 Jahre junge Sängerin das Stück mit einer Art Rückzieher angekündigt hatte: Es sei nicht als Ausdruck mangelnden Respekts vor der „Great Cathedral“ in ihrem Rücken zu verstehen. Sie beendet das Lied gar mit der verkürzten Wiederholung der Anfangszeile: „Jesus died for somebody’s sins.“
Steht da eine reuige Sünderin, leistet eine frühere Bilderstürmerin Abbitte, die gern allerorten als „Punk-Omi“ umarmt wird? Ganz so einfach ist es nicht mit Patti Smith, die zwar den Stil der räudigen New Yorker Underground-Musikszene übernommen hatte, aber nicht den Nihilismus der frühen Punks. Als Lyrikerin stand sie von Anfang an in der Tradition von Beat Poeten wie Ginsberg, Kerouac oder Burroughs: anti-materialistisch, lebensbejahend bis zum Überschwang, immer offen für spirituelle Erfahrungen - überwiegend außerhalb der Institution Kirche.
Ankämpfen gegen Dunkelheit
So ist auch die Rezitation „Spell“, Smith’ „Fußnote“ zu Allen Ginsbergs „Howl“, ein Schlüsselmoment des Konzerts: „The soul is holy, the skin is holy, the tongue and cock and asshole holy.“ Auf dem Roncalliplatz kommen neue Eintragungen in die Liste des „Heiligen“ hinzu: Köln zum Beispiel, das Richter-Fenster des Doms, aber auch Israel, die Geiseln und die Kinder im Gaza-Streifen sind heilig.
Doch es geht auch düster: In ihrer Einleitung zu „Ghost Dance“ beklagt sie den Umgang der „neuen Regierung“ mit den indigen Völkern Amerikas, den mangelnden Respekt, die Missachtung ihrer Rechte. Sie singt Dylans „Man in a long Black Coat“, in dem Prediger die menschliche Seele als niederträchtig und verkommen bezeichnen und der Mann in dem langen Mantel Menschen verführt, vom rechten Weg abbringt. Mit dem Mann sei der Teufel gemeint, hatte Dylan einst verraten.
Patti Smith nennt keine Namen, sie ist vor allem damit beschäftigt, gegen die Dunkelheit anzukämpfen, sie scherzt mit dem Publikum, sie winkt und lacht, erinnert dabei in ihrer verwaschenen Jeans und mit dem langen ungebändigten Haar ein wenig an ein Hippie-Mädchen, das Blumen in Gewehrläufe steckt. Immer wieder die lauten Appelle ans Publikum: „Ihr habt die Macht“, „fühlt eure Kreativität“, „Fühlt eure Freiheit“. Es wirkt wie eine Zurüstung für schwere Zeiten, die noch kommen mögen.
Eine gewisse Altersmilde
Wie ein unermüdlicher Einsatz für erreichte Ziele, die nun wieder in Gefahr geraten. Kein Rückzieher also, eher ist hier und da eine gewisse Altersmilde zu spüren. Leider betrifft das auch die Musik. „Redondo Beach“, „Dancing Barefoot“, „Because the Night“ – den rhythmischen und schnellen Songs fehlt meist der Druck. Deutlich besser läuft’s bei langsamen, beschwörenden Stücken wie „Pissing in a River“, „Ghost Dance“, oder dem Dylan-Cover.
Und „Beneath the Southern Cross“, einst für ihren Gatten Fred „Sonic“ Smith geschrieben, widmet sie dem jüngst verstorbenen Black Sabbath-Sänger „Ozzy“. Der kam aus einer ganz anderen Ecke, aber egal: Altersmilde halt.
Im Herbst, das kündigte sie auf dem Roncalli-Platz an, wird Patti Smith zum 50. Geburtstag ihrer Debut-LP „Horses“ erneut auf Tournee gehen und das Album vollständig spielen. Dabei sind dann einige Musiker aus der Original-Besetzung ihrer Band.