Regisseur Martin Laberenz bringt Erich Kästners „Fabian“ auf die Bühne des Bonner Schauspiels.
Schauspiel BonnKästners „Fabian“ als Seifenoper der goldenen Zwanziger

Am Abgrund: Christian Czeremnych (l.), Sören Wunderlich in „Fabian“ am Schauspiel Bonn.
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Da steht er nun am Abgrund und vor dem Scherbenhaufen seiner wissenschaftlichen Karriere. Seine Habilitationsschrift sei abgelehnt worden, sagt Stephan Labude, „das hält mein Ehrgeiz nicht aus, das bricht meinem Kopf das Herz und meinem Herzen das Genick“. Labude setzt sich den Revolver an die Schläfe und drückt ab.
Im Cocktailkleid zum Amt
Der leblose Körper gleitet in einen Trichter, der die Bühne von Oliver Helf dominiert und neben einem Cocktailwagen und mehreren Sitzgelegenheiten das einzige Requisit für sieben Schauspieler ist, die sich an diesem Krater zweieinhalb Stunden im Bonner Schauspiel abarbeiten werden. Höllenschlund und Liebesnest, Rutschbahn und Rampe ins Nichts: Sie werden in dieser Zirkusarena alles geben.
Der Tanz auf dem Vulkan, Absturz in den Krater und Wiederauferstehung inbegriffen, wird zum Leitmotiv von Martin Laberenz' Bonner Inszenierung. Und das wunderbare Ensemble nimmt diesen Spielplatz leidenschaftlich an. Grundlage ist Erich Kästners Roman „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“, der 1931 in einer zensierten Fassung auf den Markt kam, 1933 – Vorwurf: „Pornografie“ – auf dem Scheiterhaufen der Nazis landete und erst 2013 ungekürzt erschien.
Eine düstere, bittere, satirische Collage der gar nicht so goldenen Zwanziger Jahre, die mit einer herrlich pointierten Sprache den moralischen Verfall mit dem Zerfall der prekären Weimarer Demokratie synchronisiert.
Laberenz aber zieht leider den politischen Stecker, siedelt das Stück eigentlich nur noch kostüm- und frisurtechnisch – Fransenkleidchen auf den Hüften, Wasserwelle auf dem Kopf (Kostüme: Adriana Braga Pretzki) – in den Zwanzigern an. Hinweise auf Obdachlosigkeit und Massenarbeitslosigkeit bleiben vage, zumal die Opfer in Abendanzug und Cocktailrobe zum Amt gehen.
Im Spinnennetz
Die Schießerei zwischen zwei Männern gerinnt zur Sensationsmeldung. Es wird viel getrunken, philosophiert, und Sex ist ein großes Thema. „Die Liebe ist ein Zeitvertreib. Man nimmt dazu den Unterleib“, schreibt Kästner.
Bei Irene Moll klingt das so: Mit ihrem Gatten hat sie einen Deal ausgehandelt, wonach sie sich mit seinem Einverständnis mit anderen Männern treffen darf. Dem Gatten „wuchs sozusagen mein Unterleib über den Kopf“, sagt sie. Sophie Basse spielt den Vamp leidenschaftlich und mit viel Sinn für Komik.
Fabian, in allen Facetten fesselnd gespielt von Christian Czeremnych, ist das zappelnde Opfer in Irenes Spinnennetz. Fräulein Kulp (herrlich verrucht: Imke Siebert, die wie die übrigen Schauspieler auch andere Figuren übernimmt) und Frau Sommer, Inhaberin des Puffs in der Schlüterstraße (mit komödiantischer Verve gespielt von Jacob Z. Eckstein, der auch später als Weckherlin ein zerknirschtes Geständnis vorträgt) sind weitere Protagonisten des Nachtlebens.
Sozialer Absturz
Ergreifend verkörpert Ursula Grossenbacher die Erfinderin, die von ihrem sozialen Absturz erzählt, herzzerreißend rekapituliert der von Sören Wunderlich atemberaubend gespielte Labude seinen letzten Besuch in Hamburg, als er seine Freundin in flagranti mit einem anderen Mann erwischt.
Es geht zu wie in einer Seifenoper der Zwanziger, an deren Ende Fabian und Cornelia Battenberg (sehr vielseitig: Lena Geyer) sich am Rand des Abgrundes tief und verliebt in die Augen schauen und picknicken. Ein Showdown wie im Groschenroman.
Wieder: 28., 30.9. Info: www.theater-bonn.de