Schauspiel KölnDer 25-jährige Tristan Linder inszeniert „Gott des Gemetzels“

Lesezeit 4 Minuten
19.01.2023
Köln, NRW
Tristan Linder
Regisseur
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Der junge Regisseur Tristan Linder spricht über seine erste Inszenierung im Depot 1 der Kölner Schauspiels.

Vorgestern Assistent, gestern Student, heute Regisseur:  Tristan Linder bringt „Der Gott des Gemetzels“ auf die Bühne des Depot 1.

Das ist ein Sprung nicht nur ins kalte Wasser, sondern in einen verdammt großen Pool: Bis vor anderthalb Jahren war Tristan Linder Regieassistent am Schauspiel Köln, seitdem studiert er Theaterregie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Als nun Pınar Karabulut ihre Premiere von Kafkas „Prozess“ absagen musste, sprang der 25-Jährige ein: Am Freitag bringt er Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“ auf die Bühne des Depot 1.

Das ist um Faktor 7 größer als jede Location, an der ich bisher etwas inszeniert habe!
Tristan Linder

Dass sich an dieser riesigen Fläche schon erfahrene Regisseurinnen und Regisseure verhoben haben, nötigt ihm Respekt ab. „Das ist um Faktor 7 größer als jede Location, an der ich bisher etwas inszeniert habe!“ Aber: In seiner Zeit am Schauspiel Köln hat er fast nur im Depot 1 assistiert, bei Jürgen Flimm, Ersan Mondtag oder Intendant Stefan Bachmann. „Das waren oft Inszenierungen, die diese Breitbild-Optik ausschöpften. Bei diesen Produktionen habe ich das so erlebt, dass man mit dieser Theatermaschinerie zusammen inszeniert.“

Und so kennt er die Abläufe, weiß, dass man Geduld aufbringen muss, wenn ein Bühnenelement wieder zurück von B nach A bewegt werden muss, weil man eine Szene noch einmal von vorne proben möchte. „Doch ich habe mich von der ersten Bühnenprobe an gar nicht verloren gefühlt, sondern total wohl.“

Denn Tristan Linder kennt die Menschen am Haus – und sie ihn. Früher hat er erlebt, dass manchmal Beschäftigte Regisseurinnen und Regisseure nicht ansprächen und diese umgekehrt nicht immer direkt mit den Gewerken zu tun haben wollten, beziehungsweise bisweilen dieser Eindruck entstehe, erzählt Linder. „Ich finde es angenehm, dass es bei mir nicht ,über Bande“ geht.“ Andererseits: Er müsse noch lernen sich „von Sachen zu lösen, abgeben zu können. Und wir beide, das Haus und ich, müssen diese neue Beziehung noch austarieren.“

„Der Gott des Gemetzels“ ist seit der Uraufführung 2006 zu einem zeitgenössischen Klassiker geworden, wurde in Deutschland landauf, landab gespielt, unter anderem 2012 in Köln. In der Regie von Karin Beier spielten unter anderem Maria Schrader und Anja Laïs. Ein Jahr zuvor hatte es Roman Polanski mit Jodie Foster und Kate Winslet verfilmt.

Ausgeschlagene Zähne

Reza erzählt von zwei gut situierten Ehepaaren, die sich treffen, um darüber zu sprechen, dass ihre Söhne sich geprügelt haben und einem von beiden dabei Zähne ausgeschlagen wurden. Die Situation spitzt sich zu, als sich die zunächst zivilisiert agierenden Protagonisten mehr oder minder an die Gurgel gehen.

„Das Stück ist brillant geschrieben und gut konstruiert. Man wäre ja bei vielem blöd, es nicht zu benutzen.“ Dennoch fragte sich Linder, wo man 2023 etwas herauskitzeln könne und was ihn daran interessiere. „Das Beziehungs- oder Milieubild ist mir ziemlich fremd. Das Highlight war für mich schon beim ersten Lesen die Geschichte von dem Hamster, den einer der Väter heimlich ausgesetzt hat.“

Ausgesetzter Hamster

Linders Idee: „Es passiert so viel auf der Welt, warum macht man da ,Gott des Gemetzels’? Da ist diese Außenwelt, die auf uns in unserem Alltag einprasselt, wo man manchmal versucht ist, sich zu isolieren, oder seine eigenen persönlichen kleinen Scharmützelchen viel mehr gewichtet als geopolitische Zusammenhänge, seien es Kriege oder Klimakrise. Was ist, wenn diese Figuren in ihrer häuslichen Situation, ähnlich wie der Hamster, ,ausgesetzt“ werden?“

Dabei sind viele von Rezas Themen immer noch virulent: Firmen, die Mist bauen und versuchen, das Ganze zu vertuschen. Ehepaare, die nicht klarkommen. Aggressivität unter Kindern. „Aber man merkt beim Lesen, dass es in einer anderen Zeit geschrieben worden ist – nicht vor 100 Jahren, aber schon vor 17 Jahren. Bei manchen Sachen – etwa dem Chauvinismus des Anwalts – sind wir als Gesellschaft weitergekommen. Was nicht heißt, dass diese Sachen schon gelöst sind.“

Wenn erst einmal im Wohnzimmer gekotzt wurde, muss man sich nicht mehr mit einem Kaffee und Kuchen hinsetzen!
Tristan Linder

Doch auch dem „Absurden von Alltagsroutinen“ wollen Linder und das Team nachspüren. „Manchmal hat man ja so Momente, in denen man hinterfragt, was man da gerade macht. Gerade bei Kaffeekränzchen oder Familientreffen, wo fast nur Konvention ist, was man gerade macht. Und dies nicht tut, weil man miteinander Zeit verbringen will, weil man sich gerne hat. Wo bricht der Deckmantel der Freundlichkeit auf? Wo bricht die Absurdität durch, dass man sich ganz anders verhält als sonst?“

Im Stück sicherlich in der Situation, in der sich eine der Figuren mitten im Wohnzimmer übergeben muss – und die Frage ist, ob sie das vielleicht sogar absichtlich macht? „Das ist im Stück wie ein Riss, danach bekommt alles einen anderen Ton. Wenn erst einmal im Wohnzimmer gekotzt wurde, muss man sich nicht mehr mit einem Kaffee und Kuchen hinsetzen!“

Am 27. Januar findet die Premiere im Depot 1 statt. Auf der Bühne stehen Lola Klamroth, Sabine Waibel, Alexander Angeletta und Jörg Ratjen. Die ursprünglich geplante Premiere von „Der Prozess“ wurde in die kommende Spielzeit verschoben. 

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