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Schauspiel KölnRené Benkos Aufstieg und Fall als mitreißender Wirtschaftskrimi

5 min
„Aufstieg und Fall des Herrn René Benko“ von und mit Calle Fuhr.

Autor und Regisseur Calle Fuhr (r.) hat sich auf die Spuren von René Benko begeben. 

Interessantes Premieren-Doppel am Schauspiel Köln mit den Abenden „Aufstieg und Fall des Herrn René Benko“ und „Genesis“.

Und ein weiteres Premierenwochenende am Schauspiel Köln haben der neue Intendant Kay Voges und sein Team gestemmt. Auf dem Programm: zwei Köln-Premieren von Abenden aus Wien respektive Berlin.

Erster Abend: „Aufstieg und Fall des Herrn René Benko“

Calle Fuhr ist Haus-Autor des Schauspiels und verantwortet den Bereich „Theater und Journalismus“. Und genau das ist auch das Stück „Aufstieg und Fall des Herrn René Benko“, das 2024 am Volkstheater Wien Premiere feierte: journalistisches Theater und theatraler Journalismus.

90 Minuten lang arbeitet sich Fuhr durch die Biografie des späteren Galeria-Aufkäufers, präsentiert dessen Stationen vom Schulabbrecher über Immobilienmogul bis hin zum Untersuchungshäftling. Es geht um funktionierende Netzwerke aus Politikern und Industriellen, um aufgewertete Häuser, ein unüberschaubares Firmengeflecht und ausgebuffte Tricksereien mit Finanzen - bis die Immobilienblase platzt und Insolvenz angemeldet werden muss. Anfang 2025 wird Benko festgenommen: Verdacht auf Betrug und Korruption sowie Verdunkelungsgefahr.

Zusammenarbeit mit „Dossier“

Zusammen mit „Dossier“ hat Calle Fuhr Berge von Informationen zusammengetragen, sich vom Team der österreichischen Rechercheplattform erklären lassen, bis er das verstanden habe, erzählt Fuhr und übernimmt nun die Aufgabe, es dem Publikum zu erklären. Und das macht er exzellent.

Anderthalb Stunden lang lauscht man ihm gebannt, wie er die komplizierten Konstrukte auseinanderdröselt und in konsumierbarer Form auf die Bühne bringt. Zur Unterhaltung schlüpft er in die Rolle seines alten Mathelehrers, lässt verschiedene Kollegen munter in einem Einspielfilm agieren (darunter Kay Voges als ruppiger Bauarbeiter) und brilliert mit einem Hütchen-Spiel, bei dem man sich fragt, bei welchem Zauberer er wohl in die Lehre gegangen ist.

Allerbeste Unterhaltung

Die Zeit vergeht im Handumdrehen, da ist kein Blick auf die Uhr nötig. Fuhr, energiegeladen wie ein charmanter Motivationstrainer, macht aus dem Wirtschaftskrimi allerbeste Unterhaltung. Aber ist das Theater? Schon allein, weil es in einem Theater stattfindet?

Ist das Stück nur eine weitere Dokumentation über Benko und seine Machenschaften (laut Fuhr gab es bereits zwölf)? Oder doch eine moderne Variante der Shakespearschen Historiendramen, in denen dieser Aufstieg und Fall von Königen behandelte?

Politische Konsequenzen?

Was vielleicht fehlt, ist ein Moment der Überhöhung, der Allgemeingültigkeit. Fuhr bleibt bei den Fakten (und hat damit schon reichlich zu tun) und verabschiedet das Publikum mit einer Botschaft, die vielleicht Motivation war, dieses Projekt überhaupt anzugehen: eine Forderung nach politischen Konsequenzen in Form von Gesetzen, sodass solche Konstrukte wie die von Benko rechtlich nicht mehr möglich sind, beziehungsweise dass ihnen rechtzeitig ein Riegel vorgeschoben werden kann.

Will man am Theater eine Lehrstunde, einen Vortrag über kriminalistisches Stück Zeitgeschichte? So lange man dabei so gut unterhalten und informiert wird wie von Calle Fuhr, spricht erst einmal nichts dagegen. Und die Relevanz der Themen lässt sich daran ablesen, dass laut Fuhr ein Anwalt im Publikum saß, um sich für einen Klienten den Abend anzusehen.

Es bleibt spannend, wie sich die Reihe „Theater und Journalismus“ weiterentwickelt und ob der Zeigefinger nicht doch irgendwann zu erhoben sein könnte.

Zweiter Abend: „Genesis“

Bastian Reiber ist Schauspieler und Regisseur, der in der zweiten Hälfte der Spielzeit mit dem Don Quijote-Stück „¿Qué Passa En La Mancha?“ sein Regiedebüt in Köln geben wird. Zur Einstimmung hat Kay Voges nun „Genesis“ ins Programm genommen, mit dem Reiber 2023 an der Berliner Schaubühne Premiere feierte.

Ein Schauspieler (Bastian Reiber) steht auf der Bühne und stellt fest, dass das Haus voll, er aber im falschen Stück ist. Sicherlich der Alptraum eines jeden Bühnenmenschen, vergleich mit dem nächtlichen Grusel von uns Nicht-Akteuren in einer Prüfung zu sitzen, für die wir nicht gelernt haben.

Baustelle statt Bühne

Und so versucht der Mann auf der Bühne, das Beste aus der misslichen Situation zu machen. Eine Dreiviertelstunde lang erkundet er die Situation: Die Wände sind weiß, es stehen Kisten, eine Schubkarre und Malerutensilien herum - um dann ein Modell des Bühnenbildes zu finden und festzustellen, dass er sich auf einer Baustelle befindet.

Der Akteur parliert sich von Hölzchen zu Stöckchen, nimmt Beruhigungstropfen und kämpft gegen eine Armada von Besenstielen. Da versucht einer seiner Unsicherheit Herr zu werden und wir dürfen ihm beim Scheitern zuschauen. Herrlich.

Später gesellt sich ein meist wortkarger Schlagzeuger (Thomas Witte) hinzu, dessen Soli mal Störwerk, mal treibender Rhythmus sind.

Definitionen von Gott

Nach 45 Minuten gibt es einen Bruch: Das Wort „Gott“ erscheint auf einer Leinwand und inspiriert den Schauspieler dazu, im ratternden Stakkato Definitionen von Gott auf die Zuschauer loslässt. Von der Bibel bis zum Islam, von Voltaire bis Joyce, von Hegel und Leibniz bis Nietzsche und Marx und Rimbaud und Descartes.

Beim Zuschauen vergeht einem Hören und Sehen - vor allem das Hören ist ein Problem, da Reiber ohne Mikroport spielt und die Akustik des Depot 2 ihm und uns einen Strich durch die göttliche Rechnung macht.

Essenzielle Fragen

Aber selbst bei exzellentem Sound: Wie soll sich aus diesen Wortkaskaden etwas herauskristallisieren, geschweige denn in Erinnerung bleiben? So kann man diese Passage und das ziemlich schräge Finale (die Überraschung mag man nicht verraten) nur unter absurd abspeichern, um sich essenzielle Fragen erst gar nicht stellen zu müssen: In welchem Stück sollte der Schauspieler eigentlich auftreten? Wo sind seine Kolleginnen und Kollegen? Und warum sind die Zuschauerreihen gefüllt, wenn auf das Bühnenbild noch gar nicht fertig ist?

Ach egal, Bastian Reiber könnte aus dem sprichwörtlichen Telefonbuch einen witzigen Abend machen.

„Aufstieg und Fall des Herrn René Benko“ im Depot 1, 90 Minuten, wieder am 27.10. und 8.11., jeweils 19.30 Uhr, sowie am 9.11., 18 Uhr.

„Genesis“ im Depot 2, 85 Minuten, wieder am 12.10., 19 Uhr (ausverkauft) und am 29.11., 20 Uhr.