Mittelmaß ist für ihn der Anfang vom Ende: Skandalkünstler Jonathan Meese eckt mit seiner Kunst und seiner Meinung an. Im Interview erklärt er, warum er einen „Keinparteienstaat“ gut fände und die Menschen wieder mehr Spaß haben sollten.
Skandalkünstler Jonathan Meese„Es gibt gerade so viel Negativismus, der muss weg“

Jonathan Meese in seinem Atelier im Stadtteil Prenzlauer Berg.
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Jonathan Meese, geboren in Tokio, aufgewachsen in Ahrensburg, ist einer der erfolgreichsten deutschen Künstler der Gegenwart. Gern rebelliert er gegen die Realität und setzt sich in seiner Kunst mit negativen Figuren der Zeitgeschichte auseinander. Oft provoziert er dabei. Als er bei einer Performance den Hitlergruß machte, brachte ihn das vor Gericht. Er wurde freigesprochen – ein „Sieg der Kunstfreiheit“, sagte seine Verteidigerin. Während des Videointerviews sieht man im Hintergrund eines seiner riesigen Bilder. Kurz hält der Wahlberliner auch seine CD „Gesamtklärwerk Deutschland“ hoch, die er als Meese x Hell mit DJ Hell aufgenommen hat. In dem Song „Dr. Deutschland“ fordert Jonathan Meese: „Macht Deutschland klein und macht es wieder groß.“ Musikalisch lehnen sich die Stücke an Kraftwerk an. In zwei Liedern singt Brigitte Meese, die Mutter des 55-Jährigen. Sie lässt es sich nicht nehmen, im Berliner Atelier ihres Sohnes in die Kamera zu winken. Die beiden sind unzertrennlich.
Ihr Album heißt „Gesamtklärwerk Deutschland“. Glauben Sie, dass unser Land eine gründliche Reinigung braucht?
Deutschland muss auf jeden Fall geklärt werden. Es gibt gerade so viel Negativismus, der muss weg. Die Politik hat sich ad absurdum geführt. Wir müssen eine Kraft dagegensetzen, die uns wirklich vorwärtsbringt. Das ist die Kunst, das sind Liebe, Respekt, Freundschaft und Familie.
Würden Sie gern die AfD abschaffen?
Das gesamte Parteiensystem ist ausgereizt, es hetzt die Leute nur gegeneinander auf. Wir haben den Mehrparteienstaat, wir hatten den Einparteienstaat – hat alles nicht funktioniert. Warum probieren wir nicht mal den Keinparteienstaat aus? Ich glaube, wir werden von unseren nostalgischen Vorstellungen, dass es noch Parteien gäbe, die die Welt retten könnten, an der Nase herumgeführt. Wohin wir kommen, wenn irgendwelche machtgierigen Politiker meinen, sie könnten alles besser machen, sehen wir gerade überall. Sie verbessern die Dinge nur für eine bestimmte Klientel, auf Kosten anderer. Das kann es nicht sein. Wir müssen wieder spielerisch mit uns und unserer Zukunft umgehen.
Was heißt das konkret?
Wir müssen an unserer eigenen Kraft arbeiten. Viele Menschen sind müde, ausgelaugt, traurig, verbittert. Ich habe das Gefühl: Alle sind Timm Thaler geworden, alle haben ihr Lachen verkauft. Das Lächeln muss zurück auf die Gesichter gezaubert werden. Das können Politiker aber nicht mehr. Sie produzieren bloß Chaos, Willkür und wahnsinnig viele Opfer.
Selbst wenn in unserer Gesellschaft Liebe und Empathie regieren würden, würde es Autokraten wie Trump oder Putin geben.
Das sind Auslaufmodelle, sie werden verschwinden. Bis dahin müssen wir Deutschland und Europa mit Liebe füllen. Problemen dürfen wir uns nicht hysterisch widmen, wir sollten sie pragmatisch angehen. Mit Politik, Religion oder Ideologie kommen wir da nicht weiter. Meine Mutter wurde 1929 geboren, sie hat viele Umbrüche miterlebt und dauernd den Satz gehört: „Ach, die Welt geht unter.“ Nein, sie dreht sich weiter. Deswegen müssen wir jenen Menschen, die uns gerade bedrohen, die rote Karte zeigen und das Positive wieder nach vorne bringen.
Wie zum Beispiel die „Fridays for Future“-Bewegung?
Solange Forderungen von Herzen kommen, finde ich das richtig. Gruppierungen sollten aber bitte auf Zwangskollektivierung und Mitläuferei verzichten. Wenn ich plötzlich 1000 griesgrämige Kinder vor mir habe, gruselt es mich. Wollen die später noch verhärmter werden? Sie sollten mal tanzen und Spaß haben. Auch sollte keine Bewegung einen Guru suchen, dann geht es definitiv in die absolut falsche Richtung.
Was halten Sie von Klimaklebern, die teilweise in Museen Vandalismus betrieben haben?
Verschwendete Kraft! Man ist einzeln am stärksten. Schließlich haben wir einzigartige einzelne Gehirne. Die Welt wird meistens durch Einzigartigkeit verändert. Einzelfiguren wie Gandhi werfen plötzlich den Dominostein um, nicht die Massen. Fakt ist: Die Mehrheit hat nicht immer Recht.
Dennoch lässt sich nicht wegdiskutieren, dass Rechtspopulisten Aufwind haben und Fremdenfeindlichkeit zunimmt. Wie gehen Sie damit um?
Dieses Thema sollte sich eigentlich nach 1945 erledigt haben. Man muss diesen Leuten den Wind aus den Segeln nehmen, indem man sagt: „Ihr seid von gestern.“ Am meisten wird es sie ärgern, wenn man ihnen klarmacht, dass sie gestört sind und nur von der Liebe zu sich selbst und zu anderen geheilt werden können. Wer überall Feinde wittert, ist paralysiert von seiner eigenen Angst. Er wird selbst sein größter Feind. Die Lösung ist ganz einfach: Jeder muss bei sich anfangen und sich klären: Wie ist mein Verhältnis zu mir? Zu meinen Nachbarn? Zu meiner Familie? Also: Zunächst einmal Klarschiff zuhause machen. Ich kann mich doch nicht von irgendwelchen Mächten bevormunden lassen. Deutschland braucht keine Bevormundung. Jeder Einzelne hat das Recht, in totaler Freiheit zu leben.
Plädieren Sie für mehr Individualismus?
Um Egozentrik geht es mir definitiv nicht. Jeder kann sein Ding machen, solange das nicht auf Kosten anderer geschieht. Wir dürfen auch die Bedrohlichkeit von Mittelmaß nicht unterschätzen, Mittelmaß ist der Anfang vom Ende. Wenn wir durchschnittliche Gedanken zulassen, können wir nicht weiterleben. Darum ist dieses „Wir wählen das kleinste Übel“ ein ganz schlimmer Spruch. Im Restaurant esse ich doch auch nicht das, was vom Schlechtesten am besten schmeckt. Nein, ich will das Beste vom Besten. Wer als Repräsentation seines Lebens das kleinste Übel an die Macht wählt, hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.
Wie entscheiden Sie denn, wem Sie bei einer Wahl Ihre Stimme geben?
Ich bin nur einmal in meinem Leben mit 18 wählen gegangen, weil meine Mutter das unbedingt wollte. Auf meinem Wahlzettel habe ich jede Partei angekreuzt, damit war er ungültig. Im Konzept des Wählens steckt für mich schon eine Wahrheit: Wenn ich eine Stimme abgebe, habe ich keine mehr. Auch den Stimmzettel in die Urne zu werfen, heißt: Meine Stimme ist tot. Für mich ist das, was Politiker sagen, sowieso nicht bindend. Das Zusammenleben basiert auf Naturgesetzen. Wir brauchen keine Ideologen, die Moral predigen.