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Theater Bonn„Und alle so still“ – ein Aufschrei im Flüsterton

4 min
Schein und Sein in der Werkstatt: Imke Siebert als Influencerin Elin in „Und alle so still"

Schein und Sein in der Werkstatt: Imke Siebert als Influencerin Elin in "Und alle so still"

Am Theater Bonn feierte Mareike Fallwickls Bestseller „Und alle so still“ seine Premiere. 

Elin ist unruhig. Sitzen die Haare gut? Und der kurze Rock? Sind ihre Beine richtig positioniert? Hektisch zupft sie an ihrer Kleidung herum, verschränkt die Arme, streicht Strähnen aus ihrem Gesicht. Alles muss stimmen, die ideale Inszenierung für ihre 1,2 Millionen Follower auf Instagram. „Hi Leute“, flötet sie und preist sogleich einen neuen Werbedeal an. Grüne Säfte, gesunde Morgenroutine, klimpernde Wimpern und rosige Wangen – vor der Handykamera scheint sie das (vermeintlich) perfekte Leben zu führen.

Alles nur Fassade

Doch all das ist, wie könnte es anders sein, nur eine Fassade. Elin hasst dieses System. Und je mehr Menschen ihr in den sozialen Medien folgen, desto boshafter werden die Kommentare, die sie täglich liest. Sobald sie offline geht, gefriert ihr Blick. Lange hält sie das nicht mehr aus.

Um Überforderung, Wut und strukturelle Ungerechtigkeit kreist der Roman „Und alle so still“ von Mareike Fallwickl, der im vergangenen Jahr erschien und wochenlang auf der Bestsellerliste stand. In einer Bühnenfassung von Laura Ollech (Regie) und Susanne Röskens (Dramaturgie) feierte er nun seine Premiere am Theater Bonn. Auf der Werkstattbühne entfaltete sich eine Inszenierung, die den Zeitgeist trifft.

Bereits im Vorfeld waren alle weiteren Vorstellungen bis Januar ausverkauft. Die literarische Vorlage des Stücks stammt von der österreichischen Autorin Mareike Fallwickl, die sich mit Romanen wie „Das Licht ist hier viel heller“ oder „Die Wut, die bleibt“ als unnachgiebige feministische Stimme etabliert hat.

In „Und alle so still“ denkt sie einen „ultimativen Streik“ durch: Frauen legen ihre bezahlte und unbezahlte Sorgearbeit nieder, treten in einen stillen Protest, der schließlich zum Zusammenbruch der Gesellschaft führt. Es ist ein Szenario, das seit Erscheinen des Romans begeistert gelesen und ebenso hitzig diskutiert wird. Die Bonner Premiere strafft, verändert und ergänzt den vielstimmigen Text, changiert dabei zwischen Ernsthaftigkeit und Unterhaltung.

Von der Influencerin zur Aktivistin

Im Mittelpunkt stehen Elin (Imke Siebert), die sich allmählich von der Influencerin zur Aktivistin wandelt, Ruth (Ursula Grossenbacher), die als Pflegekraft bis zur Erschöpfung arbeitet, sowie Nuri (als Gast: Till Krüger), der sich zwischen drei Nebenjobs aufreibt und falsche Männlichkeitsideale anprangert. Eindringlich und in wechselnden Rollen spielen sich Siebert, Grossenbacher und Krüger durch diese Belastung. Sie sind erbost und aufbrausend, entkräftet und zerbrechlich, dann wieder zart und liebevoll im Umgang miteinander.

Eingebettet ist ihr alltäglicher Kampf in eine Architektur aus betongrauen Rundbögen (Ausstattung: Djamilja Brandt). Wie Säulen eines ungerechten Systems ragen sie hinauf, fungieren als Klinikflur, Straße oder Club. Einkaufswagen werden zu mobilen Bühnenelementen: erst Requisit für Elins Social-Media-Auftritte, dann Bar im blauen Stroboskoplicht, später Krankenbett unter roten Alarmleuchten. Grau und Grün dominieren diese Welt – als Farben der Sorgearbeit, Pflege und vielleicht auch einer leisen Hoffnung auf Veränderung, die sich langsam ihren Weg bahnt.

Es fallen Sätze wie: „Frauen sollen sich das Kümmern nicht abgewöhnen, Männer sollen damit anfangen.“ Doch wie Gleichberechtigung funktioniert, haben längst nicht alle verstanden. Auf einem Konzert faselt ein Besucher von Mutterschaft als singulärer Bestimmung einer Frau. Wären sie unzufrieden mit ihrem Leben, „würden sie doch protestieren“, sagt er. Und so kommt es dann ja auch. Allerdings: Je größer dieser Protest wird, desto schwerer tut sich der Abend, die Dynamik räumlich und körperlich erfahrbar zu machen.

Drei-Personen-Inszenierung

Die Frauen, die im Roman zu Zehntausenden aufbegehren, erscheinen auf der Bühne nur vereinzelt als Projektion im Hintergrund. Natürlich, das liegt an den Umständen einer Drei-Personen-Inszenierung, die Teile der Handlung über weite Strecken in Monologen erzählt. Der Ausnahmezustand, den Fallwickls Vorlage so erschütternd skizziert, verliert dadurch seine Intensität, große Emotionen übertragen sich kaum. Stattdessen entsteht auf der Bühne eine anekdotische Aneinanderreihung struktureller Missstände: prekäres Arbeiten, Care-Krise, Sexismus, Rassismus.

Die Wucht des Romans erreicht der Abend nicht, die Dringlichkeit seiner Themen stellt er dennoch unübersehbar in den Raum. Spürbar entsteht im jungen und weiblichen Publikum ein kollektives Gefühl von: Wir kennen das alles, diesen Frust, diese Verzweiflung und die Resignation. Wie schreibt es Fallwickl doch selbst: Die Wut, die bleibt – und entlädt sich am Ende dieser Premiere in Jubelrufen und Standing Ovations.

100 Minuten, die nächsten Aufführungen sind bis Januar ausverkauft. www.theater-bonn.de