TheaterkritikThomas Jonigks intensive Bühnenfassung von „Gegen den Hass“

In Aktion (v.l.): Justus Meier, Kristin Steffen, Jörg Ratjen und Stefko Hanushevsky.
Copyright: Thomas Aurin
- 2016 veröffentlichte Carolin Emcke einen Aufsatz über die Frage, warum Menschen hassen.
- Thomas Jonigk brachte das Sachbuch auf die Bühne des Depot 2.
- Kein leichtes Unterfangen, doch am Ende gab es starken Applaus.
Köln – 2016 fragte sich Carolin Emcke in einem philosophischen Essay, warum Menschen hassen. Das Buch erschien parallel zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an die heute 52-Jährige, wurde ein Bestseller. Nun brachte Thomas Jonigk nach „Rückkehr nach Reims“ am Samstag erneut ein Sachbuch auf die Bühne des Depot 2. Kein leichtes Unterfangen, das aber über weite Strecken gelingt – nicht zuletzt dank des Einsatzes der fünf Darsteller Jörg Ratjen, Stefko Hanushevsky, Kristin Steffen, Justus Meier und Julius Ferdinand Brauer, die (fast) alles dafür tun, die Textmasse gut bekömmlich zu servieren.
Hauptproblem des Abends ist die Krux des Buches: Um die Wurzel des Hasses zu ergründen, setzt sich die Autorin nur intellektuell und aus der Distanz mit jenen auseinander, von denen er ausgeht. Sie kommen im vor Anaphern strotzenden und Ausrufezeichen schwitzenden Text nicht zu Wort. Sie seien getragen von einer „Sorge“, „die sich nicht befragen lässt, die ausblendet, was ihr widerspricht“. Mit denen kann man nicht reden? Bleiben wir also unter uns, in der Sachbuchabteilung einer guten Buchhandlung oder im Depot 2?
Textfassung klug gekürzt
Aber dort setzt Jonigk in seiner klug gekürzten Textfassung auf die stärksten Momente der Vorlage: die Beschreibung zweier Internet-Videos. Das eine zeigt, wie vier weiße US-Polizisten den Schwarzen Eric Garner niederringen, der später an den Folgen des Würgegriffs stirbt. Eine Schilderung, die unter die Haut geht und der Jörg Ratjens packende Darstellung eine weitere Dimension verleiht. Keine Frage, hier handelten weiße Polizisten jenseits des Erlaubten oder überhaupt Angebrachten, laut Emcke gelenkt von einem tiefsitzenden jahrhundertealtem Rassismus. Auch wenn Garners biografische Details – er wäre durchaus als „polizeibekannt“ zu bezeichnen gewesen – ausgeblendet werden, er war ein Opfer, ein unnötiges dazu.
Ebenso die syrischen Flüchtlinge, die im sächsischen Clausnitz von einem „Wir sind das Volk“-skandierenden Pulk am Verlassen eines Busses und Betreten einer Unterkunft gehindert werden – und weder anwesende Gaffer noch Polizisten stehen den gerade mal sieben Menschen im Bus zur Seite. Und Justus Meier fragt mit Emckes Worten „Was sehen sie nur? Was sehen sie anders als ich?“ – und spricht damit aus, was selbstverständlich sein müsste. Natürlich ist nicht jeder Flüchtling ohne Fehl und Tadel, natürlich hat die Politik für diesen Themenkomplex immer noch keine Lösungen parat. Aber wer stellt sicht brüllend um einen Bus? Menschen, so Emckes Schlussfolgerung, die vor allem durch das Internet überzeugt wurden, dass eine Gesellschaft homogen zu sein habe.
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Um sich dem Predigenden des Textes zu entziehen, setzen die Akteure alle darstellerische Kraft ein. Jonigk unterstützt sie mit verschiedenen Szenerien. Sie sind mal im Bestattungsinstitut, mal im Museum, in dem Szenen des Eric-Garner-Videos und ein Bild der unseligen Kölner Silversternacht als großformatige Gemälde präsentiert werden. Eine bewegliche weiße Wand (Bühne: Lisa Däßler) rückt uns bedrohlich nah auf die Pelle und verfügt über Türen, die mal boulevardesk, mal zornig zum Einsatz kommen. Schließlich müssen die Akteure sich dem Hass wie einer Umweltkatastrophe stellen. Ach, könnte man das eine wie das andere beenden, in dem man wie Justus Meier einfach den Stecker zieht. Starker Applaus des Premierenpublikums.
105 Minuten. Wieder am 24.9., 1., 10., 16.10., jeweils 20 Uhr