Mit „Line Of Thought“ bespielt Tony Cragg erstmals alle Pavillons seines Parks – ein Highlight für Kunstfans in Wuppertal.
Tony Cragg in Wuppertal„Line Of Thought“ im Skulpturenpark Waldfrieden

Wuppertal: Ein Ausstellungsbesucher schaut sich im Skulpturenpark das Werk „Hardliner“ von Tony Cragg an.
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Tony Cragg war noch jung und richtete seine erste große Einzelausstellung in der renommierten Whitechapel Art Gallery in London ein. Schnell merkte er bei den Vorbereitungen, dass die Räume viel größer waren als erwartet und seine Werke sich darin zu verlieren drohten. Zwei Wochen lang zog er wie ein Wahnsinniger von morgens bis abends durch die Stadt auf der Suche nach Plastikmüll, aus dem er damals seine bunten Mosaike auf dem Boden und an den Wänden legte. 1981 war das. Heute hat der Turnerpreisträger keinerlei Probleme mehr, selbst die größten Flächen zu bespielen. Seit gestern sind seine Werke im 14 Hektar großen Skulpturenpark Waldfrieden zu sehen.
Ein einzigartiger Skulpturenpark in Wuppertal
2006 erwarb die Foundation des deutsch-britischen Künstlers den Park des verstorbenen Chemieunternehmers Kurt Herberts (19011989), der sich Ende der 1940er Jahre vom Malerarchitekten Franz Krause (18971979) hoch über den Dächern von Wuppertal eine Villa nach anthroposophischen Vorstellungen hatte errichten lassen. Seit 2008 zeigt Cragg dort neben eigenen Arbeiten regelmäßig Sonderausstellungen. Eduardo Chillida, Mario Merz und Jean Dubuffet waren ebenso schon zu Gast wie Stephan Balkenhol, Anish Kapoor oder Markus Lüpertz.
Große Einzelausstellung „Line Of Thought“
Jetzt bespielt der 76-jährige Tony Cragg mit der großen Einzelschau „Line Of Thought“ zum ersten Mal selbst alle drei Ausstellungs-Pavillons seines Skulpturenparks, der zu den weltweit größten Künstlermussen zählt. Im idyllischen Café Podest lassen sich nicht nur warme Speisen oder hausgemachter Kuchen genießen, sondern wer Glück hat, begegnet beim Rundgang durch den zauberhaften Garten auch gleich noch dem darin angesiedelten Damwild.
Tony Cragg: Lebensweg eines bedeutenden Bildhauers
Seit 1977 lebt der 1949 in Liverpool geborene Tony Cragg, der zu den bedeutendsten Bildhauern der Gegenwart zählt, in Wuppertal, wo er sein Atelier in einer Jugendstilfabrik hat. Im benachbarten Düsseldorf unterrichtete er an der Kunstakademie, deren Rektor er von 2009 bis 2013 war. „Er ist ein echter Neuwuppertaler, wie man hier zu sagen pflegt“, merkte der ehemalige Direktor des Von-der Heydt-Museums Gerhard Finckh 2016 verschmitzt an, als er in seinem Haus die große Retrospektive des Briten eröffnete.

Wuppertal: Der Künstler Tony Cragg spricht im Skulpturenpark.
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Schon als Kind sammelte Tony Cragg mit seinem Bruder Fossilien. Nach seinem Kunststudium streifte er mit dem Landart-Künstler Richard Long umher und trug Strandgut und Alltagsmüll zusammen, aus denen er Collagen und Mosaike legte. Er gab so den weggeworfenen Gegenständen ihre Würde zurück.
Hinterfragung linearer Konzepte in der Kunst
Lineare Konzepte stellt er bis heute in Frage. Sie seien in der Moderne nicht mehr zu halten. Genauso wenig wie eine einheitliche Perspektive. Cragg versucht durch Multiplikation und Variation eine eindeutige Haltung zu überwinden. Das ist bei seinen frühen Collagen aus Plastikmüll nicht anders als bei seinen so einzigartigen, von seinem Landsmann Henry Moore inspirierten biomorphen Skulpturen, die man heute mit seinem Namen verbindet.

Wuppertal: Die Skulptur „Lost in Thought“
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Die aktuelle Ausstellung im Skulpturenpark zeigt Werke der vergangenen zehn Jahre und darüber hinaus „Schlüsselelemente“ seiner Schaffensperioden, wie Tony Cragg selbst sagt, die er nach „Lust und Laune“ zusammengestellt habe. Der Künstler ist sein eigener Kurator. Kein Problem bei einem Heimspiel.
Großskulpturen und filigrane Kunstwerke im Dialog
Während in der oberen Halle Großskulpturen wie „Industrial Nature“ (2023) oder „Lost In Thought“ (2019) zu sehen sind, die gefertigt aus Aluminium, Holz oder Bronze den Kontrast zwischen Natur und Technik auf verblüffende Weise zur Schau stellen, zeigt Tony Cragg in der mittleren Ausstellungshalle Arbeiten unterschiedlicher Werkgruppen.

Der Künstler Tony Cragg steht neben seiner Skulptur „Stand“.
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Am auffälligsten ist das 1999 entstandene „Congregation“ (deutsch: Versammlung oder Zusammenkunft), eine Installation, die ein durch eine Unzahl von Metallhaken entfremdetes, mit Schrott beladenes Holzboot zeigt.
Faszination der Transparenz und Farbe in kleinen Skulpturen
Filigraner geht es in der unteren Halle zu, wo Cragg neben 200 Zeichnungen Kleinplastiken zeigt, die er seit 2009 in Zusammenarbeit mit dem Berengo Studio in Murano geschaffen hat. Auf zauberhafte Weise bricht sich in diesen mal transparenten, mal farbigen Wesen das Licht. Von seinem 17. bis 19. Lebensjahr arbeitete Cragg als Techniker in einem Chemielabor.

Der Künstler Tony Cragg steht vor der Skulptur „Industrial Nature“.
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Von der Naturwissenschaft kommend weiß dieser Alchimist unter den Bildhauern, dass jede organische Einheit nur Schein ist und sich aus unzähligen kleinen Teilchen zusammensetzt, die ständig in Bewegung sind. Diese Energie fängt er in jeder seiner Skulpturen ein.
Bis 1. Januar 2026, geöffnet Di bis So 11-18 Uhr. Skulpturenpark Waldfrieden, Hirschstraße 12, Wuppertal.