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Deutsche MeisterschaftenPara-Leichtathleten erreichen in Leichlingen Weltjahresbestleistungen

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Frau beim Para-Kugelstoßen

Para-Athletin Sandra Färber beim Kugelstoßen.

Die besten Deutschen Para-Leichtathleten messen sich in der Balker Aue und liefern Weltjahresbestleistungen.

„Das ist schön, weil es irgendwie so nahbar wirkt, es wirkt mehr nach Sportfest“, freut sich der Para-Sportler Johannes Floors über die Atmosphäre bei den Deutschen Para-Leichtathletik-Meisterschaften. Diese fanden am Wochenende in der Balker Aue in Leichlingen statt. Es ist tatsächlich außergewöhnlich, dass eine kleine Stadt wie Leichlingen Gastgeberin eines solchen Wettkampfes ist. 

Manfred Schmitz, Leiter der Leichtathletik-Abteilung beim Leichlinger Turnverein (LTV), bezeichnet das Event als „Highlight für die Stadt“. Ursprünglich hätte die Meisterschaft in Erfurt stattfinden sollen, dort habe es aber zu wenig Helferinnen und Helfer gegeben, berichtet er. Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) habe die Veranstaltung dann nach Leverkusen verlegen wollen. Das war allerdings wegen Renovierungen an der Bahn nicht möglich. „So ist diese Situation dann über eine persönliche Schiene entstanden“, erklärt Armin Schmidtke, der für die Öffentlichkeitsarbeit beim LTV zuständig ist. Der Behindertensportverband sei an Manfred Schmitz herangetreten. 

Para-Meisterschaft: Leichlingen wurde durch Zufälle zum Veranstaltungsort

Schmitz war laut eigener Aussage sehr stolz, als er vor vier Monaten erfuhr, dass die besten Para-Sportler Deutschlands in diesem Sommer nach Leichlingen kommen. Und trotzdem sei die Organisation eine Aufgabe gewesen, die das Team mit Ehrfurcht angegangen sei, ergänzt Armin Schmidtke. Der LTV musste die Anlage reinigen, wettkampfspezifischen Sand für den Weitsprung bestellen, die Diskusanlage korrigieren, sich um Sponsoren und Catering bemühen.

Der Bau der Anlage in der Balker Aue in Jahr 2018 sei allerdings glücklicherweise vorbildlich gelaufen, die Stadt habe sich damals von Spezialisten beraten lassen, weshalb die Anlage – im Gegensatz zu vielen anderen – wettkampfkonform sei, wie Manfred Schmitz erklärt. Sie sei damals schon größtenteils barrierefrei gebaut worden. In Vorbereitung auf die Para-Meisterschaften musste so nur noch der Weg zur Diskusanlage gepflastert werden, damit er mit dem Rollstuhl befahrbar ist.  

Von der Trainingsmethodik gibt es keine Unterschiede
Steffi Nerius über das Training eines Para-Sportlers

„Es ist viel Empathie notwendig, um als Mensch ohne Handicap einen Wettkampf für Menschen mit Handicap zu organisieren“, berichtet Armin Schmidtke. Schließlich fehlt in der Gesellschaft vielfach immer noch die Sensibilität für Beeinträchtigungen. Um diesbezüglich zukünftig eine Veränderung anzustoßen, veranstaltete der LTV am vergangenen Freitagmorgen ein Mitmachprogramm für Grundschulen aus Leichlingen und der Umgebung. Hier konnten die Kinder die Perspektive wechseln und zum Beispiel einen Parcours im Rollstuhl testen oder Prothesenschuhe ausprobieren. Schmitz und Schmidtke erzählen, dass sie durch die Organisation des Wettkampfes auch selbst ihren Horizont erweitern konnten.

Markus Rehm beim Weitsprung.

Der siebenfache Weltmeister Markus Rehm beim Weitsprung.

„Ich habe zum Beispiel gelernt, dass eine Bein-Prothese 7000 Euro kostet und Sportler teilweise drei im Jahr brauchen“, sagt Armin Schmidtke. Steffi Nerius, die Para-Weitsprung-Weltrekordler Markus Rehm trainiert, erklärt später, dass Prothesen auch noch deutlich teurer sein könnten. Außerdem würden einige Para-Athleten ihre Prothesen im Training und bei Wettkämpfen so stark beanspruchen, dass diese schnell verschleißen und ersetzt werden müssten.

Nerius trainiert den mehrfachen Paralympics-Sieger seit 16 Jahren. Die ehemalige Speerwurfweltmeisterin berichtet, dass sie sich auch selbst in diesen Jahren mit ihrem Athleten im Training weiterentwickelt habe. „Ich habe mich mit Markus an die Weitsprungtechnik herangetastet und da ist man natürlich stolz drauf“, sagt sie, schließlich kommt sie aus dem Speerwurf. Das Training im Para-Sport unterscheide sich zum klassischen Leistungssport lediglich hinsichtlich der individuelleren Anpassung. „Von der Trainingsmethodik gibt es keine Unterschiede. Man muss aber individuell schauen, welches Handicap der Athlet hat und das Training dann anpassen“, so Nerius. 

Die 52-Jährige ist besonders stolz auf die Kontinuität ihres Athleten. „Markus probiert alles und sagt dann entweder es klappt oder es klappt nicht, aber dieser Wille, immer weiter zu springen, das ist faszinierend, wie man sich in jedem Wettkampf so motivieren kann“, sagt sie. Der Weltrekord, den Markus Rehm aufgestellt hat, liegt bei einer Weite von 8,72 Metern. Am Wochenende liefert er beachtliche 8,31 Meter, über die er sich dennoch ärgert. Als Rehm und seine Mitstreiter an diesem Freitagnachmittag antreten, kommt auch das Publikum auf der Tribüne in Meisterschaftsstimmung und feuert die Athleten klatschend und jubelnd an. 

100-Meter-Lauf auf der Anlage in der Balker Aue.

100-Meter-Lauf auf der Anlage in der Balker Aue.

Diese gemeinschaftliche, sportliche Stimmung zwischen allen Anwesenden nehmen auch die Athleten besonders positiv wahr, wie unter anderen Johannes Floors sie lobt. Er ist auch von der Organisation in Leichlingen begeistert. „Mit dem Verein hier in Leichlingen haben wir jemanden gefunden, der super viel Herzblut einbringt, eine gute Anlage und gute Bedingungen zur Verfügung stellt, der Zeitplan läuft immer pünktlich ab, alle geben sich Mühe. Dann macht es super viel Spaß, hier anzutreten“, freut sich Floors, der bei den Paralympics im vergangenen Jahr über 400 Meter Selber gewann.

Die Ränge auf der Tribüne wirken zwar erst einmal spärlich besetzt, Floors erklärt aber, dass für einen Leichtathletik-Wettkampf im Para-Sport doch recht viele zugucken würden. „Leichtathletik-Wettkämpfe sind in Deutschland auch nicht gut besucht, hier ist der Fußball sehr präsent, alle anderen Sportarten haben weniger Andrang“, so der 30-Jährige. Zugleich wünscht er sich aber auch für die Zukunft, dass der Para-Sport „noch mehr in den Fokus rückt, präsenter wird, sich mehr Leute für den Sport begeistern.“ 

Die Meisterschaft ist laut Floors eine Leistungsüberprüfung, eine Möglichkeit für die Sportlerinnen und Sportler, Qualifikationsnormen zu erfüllen. Und das schafft das deutsche Team an diesem Wochenende auch. Die Athletinnen und Athleten präsentieren, dass sie in guter Form sind. Johannes Floors stellt sowohl über 100 Meter mit einer Zeit von 10,60 Sekunden als auch über 200 Meter – hier braucht er trotz Gegenwindes nur 20,84 Sekunden – jeweils eine Weltjahresbestzeit auf.

Letzteres bringt ihm zudem den deutschen Meistertitel ein. Insgesamt werden außerdem gleich vier WM-Normen erfüllt – von Felix Streng und Irmgard Bensusan im Sprint, Tim Linke im Speerwurf und Katrin Müller-Rottgardt im Weitsprung. Streng läuft im Finale einen Europarekord von 10,63 Sekunden, Bensusan erzielt, ebenfalls auf 100 Metern, eine Zeit von 13,82 Sekunden. Tim Linke bringt seinen Speer auf eine Weite von 33,17 Metern. Im Weitsprung erfüllt Müller-Rottgardt ebenfalls die Norm mit einem Ergebnis von 5,24 Metern. Das Team zeigt damit eine vielversprechende Form, wie sie auch für die Weltmeisterschaft im September in Indien gefragt sein wird.