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„Nie einen Kanzler so bewegt erlebt“Merz kämpft bei Rede in Synagoge mit den Tränen – und bekommt viel Lob

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Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bei seiner Rede beim Festakt zur Wiederherstellung der Synagoge Reichenbachstraße in München. (Archivbild)

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bei seiner Rede beim Festakt zur Wiederherstellung der Synagoge Reichenbachstraße in München. (Archivbild)

Bundeskanzler Friedrich Merz zeigt sich bei der Wiedereröffnung einer Synagoge in München „beschämt“ vom Antisemitismus in Deutschland.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat sich bei der Wiedereröffnung der Synagoge Reichenbachstraße in München sehr berührt gezeigt. Er schien mit den Tränen zu kämpfen, während seiner Rede, in der er an die unmenschlichen Verbrechen der Nationalsozialisten an Juden erinnerte, wurde seine Stimme brüchig.

Er sei entsetzt darüber, dass Antisemitismus in Deutschland wieder aufgeflammt sei. „Ich möchte Ihnen sagen, wie sehr mich das beschämt: als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, aber auch als Deutscher, als Kind der Nachkriegsgeneration, als Kind, das aufgewachsen ist mit dem ‚Nie wieder‘ als Auftrag, als Pflicht, als Versprechen“, sagte Merz.

Friedrich Merz: „Ich möchte Ihnen sagen, wie sehr mich das beschämt“

„Wir haben in Politik und Gesellschaft zu lange die Augen davor verschlossen, dass von den Menschen, die in den letzten Jahrzehnten nach Deutschland gekommen sind, ein beachtlicher Teil in Herkunftsländern sozialisiert wurde, in denen Antisemitismus geradezu Staatsdoktrin ist, Israelhass schon Kindern vermittelt wird.“

Er wünsche sich, „dass jüdisches Leben in Deutschland eines Tages wieder ohne Polizeischutz auskommt. Wir dürfen uns daran nicht gewöhnen, dass dies nun schon seit Jahrzehnten offenbar notwendig ist“, sagte Merz und betonte: „Ich sage von dieser Stelle aus deshalb jeder Form des alten und des neuen Antisemitismus in Deutschland namens der gesamten Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland den Kampf an.“

Synagoge knapp 87 Jahre nach Verwüstung durch Nazis restauriert

Die Synagoge wurde knapp 87 Jahre nach der Verwüstung durch die Nationalsozialisten umfassend restauriert. Der Architekt Gustav Meyerstein hatte die Reichenbachschul 1931 im Stil des Neuen Bauens errichtet. Bei den Novemberpogromen von 1938 wurde sie stark beschädigt. 1947 wurden die Räumlichkeiten provisorisch instand gesetzt und bis zur Fertigstellung der großen Ohel Jakob Synagoge 2006 genutzt. Danach stand das Haus leer.

Nun wurde die Synagoge auf Betreiben von Rachel Salamander so originalgetreu wie möglich wieder hergestellt, im minimalistischen Stil mit schlichten Holzbänken, farbigen Wänden und farbigen Bleiglasfenstern, auf denen rituelle Gegenstände und Psalmen zu sehen sind.

Nach seinem Auftritt in München bekam der Kanzler viel Lob. „Am Ende bleibt es eine Frage von Menschlichkeit und Empathie, ob wir uns Deutschland glaubwürdig und konsequent gegen jede Form des Antisemitismus stemmen. Danke, Friedrich Merz“, schrieb etwa Bildungsministerin Karin Prien (CDU) auf der Plattform X.

Lob für Kanzler Merz: „Ehrlich bewegt und bewegend gesprochen“

Zuspruch kam auch von den Grünen: „Ich bin froh, dass Friedrich Merz ehrlich bewegt und bewegend gesprochen hat“, schrieb Katrin Göring-Eckardt. „Jüdisches Leben in unserem Land ist bedroht und das darf uns nicht gleich-gültig sein“, fügte die Grünen-Politikerin an.

Auch die Sozialdemokraten lobten den Auftritt des Kanzlers. „Merz hat bei der Feier zur Wiedereröffnung der Synagoge an der Reichenbachstraße so abseits der üblichen Phrasen und so spürbar als Mensch gesprochen, dass er wohl alle im Saal ganz schön für sich eingenommen hat“, schrieb die Fraktionsvorsitzende der SPD im Münchner Stadtrat, Anne Hübner, bei X.

Bei seiner Rede in München habe man einen „bewegten Kanzler, einen ehrlichen Kanzler mit einer bewegenden Rede“ gesehen, befand auch der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, während manche Journalisten darauf verwiesen, dass man Merz nur selten so emotional gesehen habe.

„So ehrlich bewegt habe ich einen Bundeskanzler noch nie erlebt“

Es seien „außergewöhnliche“ und „bewegende Aufnahmen“, urteilte etwa der „Politico“-Journalist Hans von der Burchard. „So ehrlich bewegt habe ich einen Bundeskanzler noch nie erlebt“, kommentierte „Bild“-Journalist Filipp Piatov den Auftritt des CDU-Politikers. 

„Der heutige Tag ist ein Zeichen für Freiheit, für jüdisches Leben in ganz Deutschland und gegen Antisemitismus“, schrieb derweil CSU-Chef Markus Söder, der an dem Festakt ebenfalls teilgenommen hatte, derweil bei X.

Antisemitismus sei in Deutschland „leider wieder präsent wie lange nicht“, führte Söder aus, von vielen Seiten werde jüdisches Leben bedrängt. „Wir müssen uns dem Antisemitismus entschlossen entgegenstellen! Wer jüdisches Leben bedroht, bedroht unsere gesamte Demokratie“, fügte Söder an.

„Präzedenzlose Heftigkeit“ antisemitischer Straftaten

Bereits im August hatte unterdessen der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, eine „präzedenzlose Heftigkeit“ antisemitischer Straftaten in Deutschland beklagt. „Nach wie vor sind in der Kriminalstatistik immer noch die meisten antisemitischen Straftaten mit 48 Prozent dem rechten Umfeld zuzuordnen“, sagte Klein damals dem „Münchner Merkur“.

Die zweithäufigste Kategorie mit 31 Prozent sei „ausländische Ideologie“. Klein forderte daher einen verstärkten Dialog mit muslimischen Organisationen und Moscheegemeinden. Zugleich warnte er davor, Zugewanderte pauschal zu verteufeln. Die Mehrheit sei nicht antisemitisch, betonte der Antisemitismus-Beauftragte. (das/dpa)