Angesichts der Finanzprobleme vieler Häuser warnt die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) davor, dass bald weitere Abteilungen geschlossen werden müssten. Aber auch die zunehmende Gewalt macht ihrem Präsidenten Sorgen.
KGNW-Chef Morell„In vielen Notaufnahmen haben Beschäftigte Angst vor Gewalt“

Ingo Morell, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen
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Der Präsident der Krankenhausgesellschaft NRW, Ingo Morell, warnt vor einer dramatischen finanziellen Schieflage der Kliniken. Wo sieht er die Gründe für die aktuelle existenzbedrohende Krise? Und welche möglichen Auswege bieten sich nach seiner Einschätzung?
Herr Morell, Kliniken greifen immer stärker zu Sicherheitsmaßnahmen, um ihr Personal vor Gewalt zu schützen. Der Fall, der die Diskussion ins Rollen gebracht hat, war in Essen. Im Jahr 2023 wurden in NRW laut der Landesregierung 1219 Fälle von „Gewalttaten“ mit der Tatörtlichkeit „Krankenhaus/Sanatorium“ in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst. Ist es so schlimm?
Ich befürchte, die tatsächliche Zahl ist viel höher. Viele Fälle werden nie aktenkundig. In vielen zentralen Notaufnahmen haben Beschäftigte Angst vor Gewalt, und das verstehe ich. Wenn ein Verletzter von fünf Freunden oder Verwandten begleitet wird, und diese Leute schon beim Reingehen aggressiv wirken, dann löst das Ängste aus.
Was muss sich ändern?
Wir fordern härtere Strafen. Menschen zu bedrohen, die anderen Menschen helfen, ist keine Ordnungswidrigkeit. Unsere Notärzte, die in Rettungswagen mitfahren, berichten oft, dass sie in Wohnungen nicht nur angepöbelt, sondern auch angegriffen werden. Wer so etwas macht, muss eine spürbare Haftstrafe erhalten.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft ruft nach einem Meldesystem für Gewalttaten. Was soll das bringen?
Es gibt bei diesem Thema eine gefühlte Wirklichkeit: Dass alles immer schlimmer wird. Es wäre hilfreich zu wissen, dass die gefühlte Wirklichkeit mit Zahlen belegbar ist. Ich glaube, dass es so ist, aber Glauben heißt nicht Wissen. Ein Meldesystem würde diese Daten liefern. Die Zündschnur der Menschen ist heute deutlich kürzer als früher, generell, nicht nur in Krankenhäusern.
Im Sommer geraten Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern schnell ins Schwitzen. Warum rüsten sie nicht Klimaanlagen nach?
Ich habe das selbst schon als Patient erlebt. Aber der Einbau von Klimaanlagen ist nicht so einfach. Sie kosten viel Geld, bautechnisch ist das besonders in den vielen älteren Gebäuden schwierig, und bürokratische Vorschriften bremsen. Die Kliniken versuchen, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten darauf einzustellen. Investitionen in den Hitzeschutz müssten in Teilen vom Land NRW finanziert werden.
Spüren Sie, dass die steigenden Temperaturen die Kranken belasten?
Ja. Es trifft nicht nur die Patientinnen und Patienten, sondern auch die Beschäftigten. Die Intensivstationen und OP-Räume sind klimatisiert, aber wenn man da rausgeht, droht der Hitzeschlag.
Wieviel würde es kosten, die Kliniken Klima-fit zu machen?
Ein Komplettumbau der Kliniken in NRW zu klimaneutralen Betrieben – da geht es um weit mehr als den Hitzeschutz – würde laut einer Studie 7,7 Milliarden Euro kosten. Und damit wäre es ja nicht getan: Wir haben noch Patientenzimmer aus den 70er Jahren ohne eigene Nasszelle. Das ist nicht mehr zeitgemäß, aber im Bestand aber oft nicht zu lösen.
Aber die Kliniken bekommen doch Geld für Investitionen, aktuell rund 765 Millionen Euro pro Jahr. Reicht das nicht?
In den vergangenen Jahrzehnten ging die Förderung kontinuierlich zurück, NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat diesen Trend aber vor einigen Jahren umgekehrt. Das, was die Länder den Kliniken für Investitionen geben, reicht dennoch leider bei Weitem nicht für den Bedarf. Wir haben seit 20 Jahren Investitionsstau.
Laut Bundesgesundheitsministerin Nina Warken sollen die Krankenhäuser für „Sofort-Transformationskosten“ weitere vier Milliarden Euro aus dem Infrastruktur-Sondervermögen des Bundes erhalten. Wie weit kämen Sie damit?
Dieses Geld ist nicht für Investitionen, sondern soll die Inflationslücke für die Betriebskosten 2022 und 2023 schließen, und es soll außerdem nur eine Einmalzahlung sein. Die strukturelle Lücke, die die Inflation und die deutlich gestiegenen Personalkosten, verursacht durch hohe Tarifabschlüsse, hinterlassen, bleibt. Dieses Geld ist sehr wichtig, es kann die Lage aber nur mildern. Die ganze Krankenhausfinanzierung müsste sich ändern. Ein Beispiel: Es kann nicht sein, dass alle Häuser Endoprothetik machen wollen, weil man damit Geld verdienen kann, und gleichzeitig Behandlungen, die zur Daseinsvorsorge gehören, wie die Geburtshilfe, nicht ausreichend vergütet werden, sich darum wirtschaftlich nicht tragen. Minister Laumann gehört zu den wenigen, die den Mut haben, offen zu sagen, dass nicht alle Standorte erhalten werden können. Aber alle anderen Standorte müssen dann solide finanziert werden.
In mehreren Städten wurden zuletzt Geburtshilfen geschlossen. Auch HNO- und Augenheilkunde-Abteilungen sind unter Druck. Wie ist Ihre erste Bilanz drei Monate nach Inkrafttreten der Krankenhausreform in NRW?
Sie ist auf einem guten Weg und wird über die kommenden Jahre Wirkung zeigen. Dass die Geburtshilfen unter Druck geraten, ist aber kein Ergebnis der Krankenhausreform, sondern eines der Krankenhausfinanzierung durch den Bund. Wenn der Bund die Häuser nicht auskömmlich ausstattet, werden weitere Geburtshilfen geschlossen werden, denn die finanziell angeschlagenen Kliniken können sie kaum noch quersubventionieren. Gerade kleinere Geburtshilfen rechnen sich nicht. Dazu kommt, dass die Zahl der Geburten zurück geht, und dass die Zahl der Hebammen, die im Kreißsaal arbeiten, abnimmt. Viele Hebammen wollen heute nur noch die Vor- und Nachsorge machen.
Ist das eine veritable Versorgungslücke?
Es wird, vor allem im ländlichen Raum, zu einer Lücke, wenn wir nicht gegensteuern.
Die Krankenhäuser in NRW beziffern ihren Investitionsbedarf zur Umsetzung des Krankenhausplans auf etwa sieben Milliarden Euro. Die NRW-Landesregierung will aber nur 2,5 Milliarden Euro geben. Ist das Land zu geizig?
Die 2,5 Milliarden Euro können nur der Einstieg sein. Weitere Mittel soll der Transformationsfonds des Bundes bringen, der bis 2036 reicht und für NRW jährlich eine Milliarde Euro bringen soll.
Resilienz und Krisenfestigkeit sind große Themen. Die Klinken sollen ihren Teil zur Stärkung der Gesellschaft beitragen, bis hin zum Verteidigungsfall. Können sie das?
Das Thema Resilienz ist völlig neu. Während der Pandemie waren alle stolz auf die Krankenhäuser, und es wurde gesagt, man müsse Kapazitäten auch in kleinen Häusern vorhalten für kommende Krisen. Heute erinnert sich kein Mensch mehr daran. Heute heißt es oft, ein geschlossenes Krankenhaus sei ein gutes Krankenhaus. Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns noch einmal mit Kriegstüchtigkeit beschäftigen müssen. Im Verteidigungsfall geht es gleichzeitig um die Versorgung von Verwundeten und um die Versorgung der Bevölkerung. Der Wille ist da, aber die Vorbereitung braucht Zeit. Was das kostet, ist noch unklar. Und es braucht eine Abstimmung zwischen Krankenhausreform und Krisenplanung.
Dazu gehört auch das Thema Arzneimittelversorgung. Ist da Besserung in Sicht?
Versorgungsengpässe gibt es immer wieder, und das nimmt eher zu als ab. Nach der Pandemie hieß es, wir müssen Arzneien und medizinisches Material in Europa produzieren. Aber das geschieht nach unserer Wahrnehmung nicht. Und einige Lieferanten von Arzneien lassen uns als Einkäufern gegenüber durchblicken, dass sie in Spanien oder Italien mehr Geld bekommen.