„Animal Hoarding“ steht für private Halter, die eigentlich Gutes tun wollen: Sie nehmen massenweise Kleintiere bei sich auf, um sie vermeintlich zu retten. Die Lebensbedingungen für die Tiere sind oft dramatisch. Amtliche Kontrolleure, die dagegen einschreiten, werden immer häufiger angegriffen.
Animal HoardingSchlagkräftig gegen den Tierschutz

Ein Fall von "Animal Hoarding" in einer Wohnung, dokumentiert von der Tierschutz-Organisation Peta
Copyright: Peta Deutschland e.V.
Carolin Debuschewitz ist eigentlich nicht ängstlich. Wenn sie ihren Beruf als Tierärztin im Dienst der Stadt Köln ausübt, rückt sie aber manchmal mit einem Gefühl der Unsicherheit aus. Sie ist als Veterinärin zuständig für die Kontrolle von Tierhaltungen. Dazu zählt beispielsweise, wenn in privaten Haushalten Hunde oder Katzen unter unzumutbaren Bedingungen gehalten werden. Immer wieder erreichen die Fachleute bei der Stadtverwaltung entsprechende Meldungen, zum Beispiel von besorgten Nachbarn.
Die Verunsicherung, die Debuschewitz und ihre Kolleginnen und Kollegen zuweilen spüren, liegt an einem Erlebnis im vergangenen Jahr. „Wir waren von einer Beschwerdeführerin darauf aufmerksam gemacht worden, dass in einer Wohnung Tiere nicht art- und tierschutzgerecht gehalten wurden“, erzählt sie im Gespräch mit der Rundschau. Eine Frau habe in ihrer Wohnung viele Degus, Ratten und Katzen gehalten. Zu viele, lautete der Verdacht. Deshalb rückte sie mit einer Kollegin aus zum Ort des Geschehens. Eigentlich ein alltäglicher Einsatz, der jedoch dramatisch enden sollte.
Vom Ehemann der Tierhalterin wurden sie zunächst abgewiesen, verwiesen aber auch auf die gesetzliche Mitwirkungspflicht bei solchen amtlichen Kontrollen. Schließlich wurden sie in die Drei-Raum-Wohnung hineingelassen. „Es war sehr unhygienisch“, erinnert sich Carolin Debuschewitz: „Es befanden sich sechs Katzen in der Wohnung, und ein Zimmer war komplett für die Unterbringung von Nagetieren hergerichtet. Es war voll mit Käfigen, in denen die Tiere gehalten wurden. Und es hat extrem nach tierischem Kot und Urin gestunken.“
Tier mit schmerzverzerrtem Gesicht
Die beiden Tierärztinnen belehrten die Halterin über ihre Verfehlungen: Zu viele Tiere auf zu engem Raum, ein Tier mit schmerzverzerrtem Gesicht, das keine Hilfe bekam, und die womöglich fehlende Genehmigung einer tierheimähnlichen Einrichtung.
„Wir wollten gerade gehen, da hat die Dame meine Kollegin heimtückisch von hinten angegriffen und niedergerungen“, erinnert sich die städtische Kontrolleurin. Sie habe anschließend beobachtet, wie ihre Kollegin mit dem Rücken zur Tierhalterin saß und diese ununterbrochen mit voller Gewalt an deren Haaren gezogen habe.
„Ich war in dem Moment überfordert und wusste überhaupt nicht, wie ich reagieren sollte“, erzählt Carolin Debuschewitz. Sie habe laut geschrieen, ihre Kollegin habe sich befreien können, man sei ins Treppenhaus weggelaufen. Damit aber nicht genug. Die Tierhalterin sei dann auf Debuschewitz zugerannt und habe sie angegriffen: „Sie hat mich auf den Arm geschlagen, geboxt und geschubst, sodass ich mit voller Wucht zehn bis zwölf Treppenstufen heruntergefallen bin.“
Ein Rettungswagen wurde gerufen. Der Notarzt stellte eine Fraktur am Fußknochen fest, Abschürfungen und ein großes Hämatom am Oberarm. Zum Glück sei sie beim Fall nicht mit dem Kopf gegen eine Fensterbank im Flur gestoßen: „Dann wäre es wahrscheinlich meine letzte Tierschutzkontrolle gewesen.“
Die Situation habe sich vorher nicht abgezeichnet, betont die städtische Kölner Veterinärin: „Für uns war keinerlei Eskalation ersichtlich. Der Angriff erfolgte unvermittelt von hinten, was ich nach wie vor als besonders schockierend empfinde.“ Die herbeigerufenen Polizeibeamten stellten noch vor Ort Strafanzeige, die Stadtverwaltung später ebenfalls. Das ist nun mehr als ein Jahr her.
Staatsanwaltschaft ermittelt noch
Ulrich Bremer, Sprecher der Kölner Staatsanwaltschaft, bestätigt in dem Fall ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte: „Die Akten befinden sich bei der Polizei zur Durchführung der Ermittlungen, weswegen ich Ihnen derzeit zum Akteninhalt und Tatvorwurf nichts Näheres mitteilen kann.“
Was Carolin Debuschwitz und ihre Kollegin in Köln erlebt haben, ist kein Einzelfall. Unter dem Begriff „Animal Hoarding“ ist das Halten zu vieler Tiere auf engstem Raum immer wieder Thema in den Schlagzeilen. „Das Phänomen nimmt zu“, ist sich der Kölner Tierarzt Ralf Unna sicher. Er ist Vizepräsident des Landestierschutzverbands NRW und kennt die Mischung aus der Sorge um vernachlässigte oder in Not geratene Haustiere einerseits und der Überforderung mancher Helfender andererseits. Unna spricht von Selbstüberschätzung, mangelnder Fachkunde und psychischer Überforderung bei Menschen, die massenweise Tiere in ihrer Privatwohnung aufnehmen.
„Es kann passieren, dass einem das über den Kopf wächst“, sagt auch die Kölnerin Mania Leveringhaus, die sich als Projektleiterin bei verschiedenen Initiativen engagiert. Leider komme es immer wieder vor, dass Menschen unter dem Motto „Den einen Platz habe ich noch…“ Hunde oder Katzen bei sich aufnähmen und sie dann plötzlich auf sich allein gestellt seien. Man könne aber nicht immer im Helfermodus sein und müsse ein Grundkonzept für die Betreuung der Tiere haben: „Sonst besteht halt die Gefahr, dass es knallt.“ Zum Beispiel, wenn städtische Kontrolleure die Tierhaltung kritisieren oder sogar untersagen. So wie bei Carolin Debuschewitz.
Die amtliche Kölner Tierärztin hatte nach ihrem einschneidenden Erlebnis Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen in ganz NRW aufgenommen, hält Vorträge über die Gefahr bei Außeneinsätzen. Mit der Landestierschutzbeauftragten Gerlinde von Dehn hat sie Workshops organisiert, bei denen die Teilnehmenden – ausschließlich behördliche Veterinärinnen und Veterinäre – sich austauschen und lernen, wie sie mit solchen Situationen umgehen können (siehe Interview).
Polizei ganz anders ausgebildet
Bei den Treffen, die innerhalb von kürzester Zeit nach Ankündigung ausgebucht waren, wurden rechtliche Grundlagen erörtert, es gab eine Schulung in Selbstverteidigung. Der Strafrechts-Professor Jens Bülte von der Universität Mannheim erläuterte, wie Übergriffe strafrechtlich zu bewerten sind.
Unter anderem sei es dabei auch um die Frage gegangen, inwieweit sich die Kontrolleure im Rahmen von Notwehr verhalten dürfen. „Die Polizei ist ganz anders für Konfliktfälle ausgebildet“, berichtet Bülte.
Ganz neu sei das Thema nicht, betont der Strafrechtler. Bereits vor zwei Jahrzehnten habe er als Referendar einen Vollzugsbeamten eines Finanzamtes begleiten dürfen, der habe bereits von Übergriffen erzählt. „Jetzt wird dieses Problem im Tierschutz-Vollzug hoffentlich endlich von den politischen Entscheidungsträgern wahrgenommen“, erklärt Jens Bülte.
Zahlen der Tierschutz-Organisation Peta zeigen, dass es sich in Bezug auf „krankhafte Tierhortung“ nicht um Einzelfälle handelt: Sie spricht von mehr als 42.000 Tieren, die in den Jahren 2012 bis 2023 betroffen gewesen seien, ein Schwerpunkt sei NRW.
Neben der problematischen Haltung durch Privatleute gebe es auch in der Landwirtschaft Angriffe auf Veterinäre häufig, ergänzt Strafrechts-Professor Bülte: „Manche, vor allem Nebenerwerbslandwirte, sind überfordert, was zu erheblichen psychischen Störungen führen kann.“ Nach Übergriffen sei die Einsichtsfähigkeit bisweilen beeinträchtigt. Zudem seien Veterinäre sehr oft Frauen: „Da meinen manche von Kontrolle Betroffene, sie könnten sich alles erlauben.“ Grundsätzlich sei die Zunahme der Aggressionen eine Herausforderung, die drastische Folgen haben könne, so Bülte: „Wenn man das laufen lässt, wird man niemanden mehr finden, der diesen Job machen will. Es muss darum gehen, Veterinärinnen und Veterinäre endlich wirkungsvoll zu schützen.“
Die amtliche Kölner Tierärztin Carolin Debuschewitz sieht das ähnlich. Das Risiko eines Angriffs könne nicht auf Null gesenkt werden, schreibt sie im Fachmagazin „Deutsches Tierärzteblatt“ über ihre Erfahrungen: „Es bleibt bei jeder Kontrolle ein Restrisiko. Jeder amtliche Tierarzt sollte sich hierüber bewusst und sensibilisiert sein.“
Interview: "Nicht dafür ausgebildet"

Gerlinde von Dehn, Landestierschutzbeauftrage NRW
Copyright: Gerlinde von Dehn/Frank Bena
Gerlinde von Dehn ist promovierte Tierärztin und seit Dezember 2020 die erste Tierschutzbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen. In dieser Funktion verknüpft sie nach eigenen Angaben ehrenamtlichen, privaten und staatlichen Tierschutz miteinander. Unter anderem sollen Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Kontrollbehörden miteinander vernetzt und gegenseitig informiert werden. Konkret beinhaltet das auch die wissenschaftliche und fachliche Beratung der Veterinärverwaltung sowie der Ministerin. Im Interview äußert sie sich zu den vermehrten Angriffen auf amtliche Tierärzte.
Warum sind Übergriffe von Tierhalterinnen und -haltern für die amtlichen Kontrolleure so gefährlich?
Die Wahrnehmung ist oft, dass Angriffe aus dem Nichts kommen. Tatsächlich gibt es aber häufig erste Anzeichen der Anspannung oder auch der Aggression. Die Kolleginnen und Kollegen sind dafür ausgebildet, auf solche Anzeichen bei Tieren zu achten – nicht jedoch bei Menschen.
Kann das tatsächlich dazu führen, dass für diesen Beruf bald kein Nachwuchs mehr zu finden ist?
In der Tat könnte das so eintreten, wenn nicht nachhaltige Maßnahmen ergriffen werden.
Wie könnten die aussehen?
Manche Behörden fordern in bestimmten Fällen bei Tierschutzkontrollen schon Personenschutz an. Eine Behörde in einem anderen Bundesland hatte, so berichtete eine Kollegin im Rahmen einer Veranstaltung, nach Übergriffen probeweise einen Bodyguard engagiert. Der stand anscheinend nur dabei – und plötzlich gab es keine Probleme mehr. Inzwischen wurde der Herr bei der Behörde angestellt.
Können Sie aufgrund Ihres Austausches mit zahlreichen Betroffenen an Rhein und Ruhr nachvollziehen, dass Tierhalter aggressiv auf amtliche Kontrolleure reagieren?
Bei Tierschutzanzeigen im Privatbereich gehen die amtlichen Kontrolleure zu Menschen nach Hause. Das heißt, sie betreten persönliche Räume und können von draußen nicht direkt reinschauen, was sie da genau vorfinden werden. Die meisten Menschen halten Tiere, weil sie sie gern haben, vielleicht sogar lieben, und ihnen natürlich etwas Gutes tun wollen.
Dann kommt jemand vom Amt und konfrontiert sie mit dem Vorwurf, gegen das Tierschutzgesetz zu verstoßen, also dass sie etwas falsch machen. Allein das ist für die Betroffenen schon eine Stress-Situation, die eskalieren kann. Niemand hat gern, dass ein anderer ihm sagt, dass er etwas falsch gemacht hat. Da fühlen sich viele diffamiert und bedroht.
Was haben Ihre Workshops, in den sich amtliche Tierärzte informieren und austauschen konnten, konkret gebracht?
Bei der Polizei gibt es Schulungen für solche Situationen und Supervision – im Bereich der amtlichen Tierärzte bislang zumindest noch nicht überall. Mit unserem Workshop wollten wir den Kolleginnen und Kollegen eine Bühne dafür bieten, über ihre Ängste zu sprechen.