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Wasserwerfer in GießenVerletzte bei Massenprotest gegen AfD-Jugend – Fake News über Pferd

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Die Polizei setzt am Samstag (29. November) in Gießen Wasserwerfer gegen Demonstranten ein. Hier findet der Gründungsparteitag der AfD-Jugendorganisation statt.

Die Polizei setzt am Samstag (29. November) in Gießen Wasserwerfer gegen Demonstranten ein. Hier findet der Gründungsparteitag der AfD-Jugendorganisation statt.

Zehntausende protestierten in Gießen gegen die neue AfD-Jugendorganisation. Es herrschte Ausnahmezustand, mehrere Personen wurden verletzt. 

Straßenblockaden, Wasserwerfer, Polizeipferd und Zehntausende Demonstranten: Begleitet von massiven Protesten fand in Gießen die Gründungsversammlung für die neue AfD-Jugendorganisation statt. Die Polizei zählte bis zum Nachmittag mehr als 25.000 Demonstranten auf den Straßen der Stadt. Das Bündnis „Widersetzen“ sprach von über 50.000 Teilnehmern. An einige Orten gab es gewalttätige Auseinandersetzungen. Die Polizei verhinderte mit Wasserwerfern, dass der Veranstaltungsort gestürmt wird.

Das Treffen startete mit gut zweistündiger Verspätung, weil viele der rund 1.000 Teilnehmer durch blockierte Straßen nicht rechtzeitig beim Veranstaltungsort in den Gießener Messehallen angekommen waren. Viele der Plätze in der Halle waren auch zu Beginn der Veranstaltung noch leer.

Die AfD gründete eine Nachfolgeorganisation für die Junge Alternative (JA), die Generation Deutschland (GD) heißt. Auch die AfD-Chefs Alice Weidel und Tino Chrupalla verspäteten sich bei der Anreise. Sie kritisierten die Blockaden scharf. Die Junge Alternative hatte sich im Frühjahr aufgelöst, nachdem sich die AfD von ihr getrennt hatte.

Eine Gruppe von Demonstranten versuchte zum Veranstaltungsort in den Messehallen durchzubrechen. Wie ein dpa-Reporter vor Ort berichtete, versuchten etwa 30 bis 40 Personen, die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen. Die Polizei drängte die Aktivisten unter anderem mit einem Wasserwerfer zurück.

Mehrere Verletzte – AfD-Abgeordneter Julian Schmidt berichtet von Angriff

Nach Angaben der Polizei wurden bis zum frühen Nachmittag 10 bis 15 Beamte leicht verletzt. Beim Uniklinikum Gießen, das seine Kapazitäten massiv heraufgefahren hatte, war die Rede von ebenfalls 15 leichtverletzten Personen. Diese seien zu Fuß ins Krankenhaus gekommen, behandelt worden und hätten die Klinik wieder verlassen können.  Insgesamt seien gleichzeitig 4.000 bis 5.000 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz, sagte der Präsident des Polizeipräsidiums Mittelhessen,

Nach Angaben von AfD-Chefin Weidels wurde am Rande der Proteste der AfD-Bundestagsabgeordnete Julian Schmidt „zusammengeschlagen“. Der Politiker bestätigte der dpa einen Angriff. Er sei nach dem Abstellen des Autos in der Nähe der Halle von rund 20 Leuten angegriffen worden. Blaue und rote Flecken auf Nase und Jochbein seien Folgen des Angriffs. Er sprach von einer neuen Qualität der Konfrontation.

Die Polizei sagte, ein AfD-Bundestagsabgeordneter sei in Heuchelheim, einer Nachbargemeinde von Gießen, verletzt und der mutmaßliche Täter festgenommen worden. Die Ermittlungen liefen. Weitere Details und den Namen des Betroffenen nannte die Polizei nicht. In den sozialen Medien kursieren Videos, die den Angriff zeigen sollen.

Falschmeldungen über Polizeipferd kursieren

Ein Polizeipferd schaffte es unterdessen in die Schlagzeilen, vor allem in den sozialen Medien. Die Bundespolizei berichtete von dem Pferd, das „ohne Fremdeinwirkung“ einen Abhang neben einer Straße hinuntergestürzt sei und sich verletzt habe. Dem Reiter sei nichts passiert. 

Bei X verbreiteten sich Bilder eines schwer gestürzten Tieres, das sich offenbar in einem Zaun verfangen hatte. Schnell kursierte anschließend das Gerücht, das Tier habe eingeschläfert werden müssen. Eine niedersächsische AfD-Landtagsabgeordnete schrieb dazu, wenn ein Pferd so schwer verletzt sei, dass es nicht mehr alleine aufstehen kann, bedeute das sein Todesurteil. Das Tier sei ein Opfer „linksextremistischer Gewalt“, schrieb Vanessa Behrendt weiter. „Die Linksradikalen töten Polizeipferd!“, heißt es ähnlich beim AfD-Bundestagsabgeordneten Stephan Protschka.

Entgegen den Meldungen veröffentlichte das Portal „Mittelhessen“ jedoch einen Faktencheck zum Polizeipferd. Auf Nachfrage bestätigte die Polizei am Nachmittag demnach, sowohl der Reiterin als auch dem Pferd gehe es gut. Beide seien „wohlauf und in der Nachbetreuung“. Der Sturz sei ohne Fremdeinwirkung erfolgt. Auch die Bundespolizei Hessen rief bei X dazu auf, keine Falschmeldungen zu verbreiten.

Demonstrationen seit dem Morgen in Gießen

Schon am Morgen hatten in Gießen die Gegendemonstrationen begonnen, im Tagesverlauf wurden bis zu 50.000 Demonstranten aus ganz Deutschland erwartet.

Am frühen Nachmittag sprach die Polizei von einer Zahl „im unteren fünfstelligen Bereich.“ Sehr viele protestierten friedlich. Tausende Polizisten aus dem gesamten Bundesgebiet waren im Einsatz, es sei einer der größten Polizeieinsätze in der Geschichte Hessens. Dies auch, weil vorab Gewaltaufrufe aus der linken Szene kursierten. Die Stadt Gießen selbst hat rund 92.000 Einwohner.

Demonstranten blockierten mehrere Straßen in der Umgebung von Gießen, darunter auch die Bundesstraßen 49 und 429. Rund 2.000 Personen besetzten die Bundesstraße 49. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein, „nachdem die Gruppe auf die mündliche Aufforderung, die Straße freizumachen, nicht reagiert hat“. Auch auf der B429 kam es zu einer Blockade und zum Einsatz eines Wasserwerfers.

Zudem sei es auf der Konrad-Adenauer-Brücke in der Stadt zu Flaschenwürfen auf die Einsatzkräfte gekommen, auch seien Einsatzkräfte nahe der Messehallen mit Leuchtspurmunition beschossen worden.

An einer Blockade hätten sich Beamte mit Pfefferspray gegen Steinewerfer verteidigt.

„Alle zusammen. Gegen den Faschismus“

Protestierende skandierten „Alle zusammen. Gegen den Faschismus“ und „Stoppt die Brandstifter“ bei einer Kundgebung am Bahnhof. Auch an anderen Orten in der Stadt versammelten sie sich. Die voraussichtlich größte Demo startete nahe der Innenstadt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der die Demonstration organisierte, sprach anschließend von mehr als 20.000 Demonstranten.

Auch prominente Musiker schlossen sich dem Protest gegen die AfD an. So spielte die Gießener Band Juli ebenso wie Kraftklub aus Chemnitz am Nachmittag. Die Band um Sänger Felix Kummer solidarisierte sich mit den Demonstrierenden und sagte zum Song „Marlboro Man“: „Das Lied geht an alle raus, die hier bereits seit 6 Uhr morgens die Stellung halten“.

Gegen 17 Uhr löste sich der Gegenprotest in Gießen nach Informationen von „Mittelhessen“ allmählich auf.

Merz kritisiert Gewalt in Gießen

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) kritisierte die Auseinandersetzungen scharf. „Sie werden heute Abend Fernsehbilder aus der Stadt Gießen sehen, die alles andere als erfreulich sind, eine Auseinandersetzung zwischen ganz links und ganz rechts“, sagte Merz beim Landesparteitag der sachsen-anhaltischen CDU in Magdeburg. „Ich möchte, dass wir in der politischen Mitte unseres Landes zeigen, dass wir Probleme lösen können“, sagte Merz.

Auch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt äußerte sich zur Gewaltbereitschaft eines Teils der Demonstranten. „Demonstrieren ist ein Grundrecht, deswegen muss man das ermöglichen. Sich versammeln ist auch ein Grundrecht, das muss man auch ermöglichen“, sagte der CSU-Politiker in einer Rede beim Landesparteitag der sächsischen CDU in Leipzig.

„Aber ich kann nur sagen: Größten Respekt vor den Polizistinnen und Polizisten, wenn ich jetzt schon wieder sehe, wie Vermummte, wie Chaoten, wie Leute mit Bengalos, mit Fackeln, gewaltbereit auf die Polizei zugehen“, sagte Dobrindt. „Es gibt kein Grundrecht, das es rechtfertigt, dass man gewaltsam gegen unsere Sicherheitskräfte vorgeht.“ (dpa, cme)