„Alle starrten mich an“Wie Muslime ihren Dienst in der Bundeswehr erleben

Die Fahne von Deutschland ist auf dem Uniform eines Soldaten aufgenäht. (Symbolbild)
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Eigentlich sei ihr Weg schon mit vier Jahren vorgezeichnet gewesen, sagt Hülya Süzen. Damals träumte sie in ihrem Kinderzimmer von Heldentaten als Ritter. „Alle anderen Mädchen wollten Prinzessin werden. Aber ich dachte mir: Nein, ich will ja nicht das Problem sein. Denn die Prinzessin muss ja immer gerettet werden. Ich will die Lösung sein.“
Aus dem Berufswunsch Ritter wurde während ihrer Jugend in Remagen der Berufswunsch Bundeswehrsoldatin. Und nachdem Frauen mit Beginn des Jahres 2001 zum Dienst an der Waffe zugelassen worden waren, standen der deutschen Muslimin türkisch-kurdisch-arabischer Herkunft bei den Streitkräften alle Wege offen. Im Oktober 2004 trat sie in Hamm ihren Grundwehrdienst an – durchaus kritisch beäugt von manchen Verwandten.
Als Exot in der Bundeswehr
Als muslimische Frau in der Bundeswehr sei sie damals auch ein Exot gewesen, gibt die heute 36-Jährige zu. Fast 100 Rekruten gehörten ihrer Einheit an, darunter fünf Frauen, sie als die einzige Muslimin. „Die Mitarbeiter in der Truppenküche brüllten immer 'Moslemkost', wenn ich dran war“, erzählt sie. „Alle starrten mich an, ich lief knallrot an und bekam dann meinen Beilagenteller.“ Heute gibt es drei Gerichte zur Auswahl, darunter ein vegetarisches.
„Niemandem fällt mehr auf, dass ich kein Schweinefleisch esse“, sagt Süzen. Man habe sich viel besser auf die Vielfalt in der Truppe eingestellt. Und das nicht nur in der Kantine.
Zurzeit sind von den insgesamt 182 055 Soldatinnen und Soldaten schätzungsweise 3000 Muslime, also nicht einmal zwei Prozent. Genaue Zahlen gibt es laut Bundeswehr nicht, da die Religionsangabe freiwillig sei, und, anders als aufgrund der Kirchensteuer bei den christlichen Konfessionen, nicht erfasst werde. Doch zuletzt ist die Zahl gestiegen.
Vielfalt in der Truppe
Süzen beschäftigt sich in Koblenz inzwischen hauptberuflich mit der Vielfalt in der Truppe. Seit 2015 gibt es dort beim Zentrum Innere Führung die Ansprechstelle für Soldaten und Soldatinnen anderer Glaubensrichtungen, für die sie arbeitet. Es melden sich u.a. Hindus, Buddhisten, Jesiden und Juden oder deren Vorgesetzte, wenn sie Fragen zum Zusammenspiel von Religion und Soldatenalltag haben. Laut Bundeswehr gibt es 100 bis 110 Anfragen pro Jahr, am häufigsten beschäftigen sich diese mit dem Islam – etwa 75 Prozent.
Sie werde oft gefragt, ob das passe, als Muslim oder Muslimin der Bundeswehr anzugehören, sagt Süzen. „Ich bin deutsche Soldatin muslimischen Glaubens“, entgegnet sie dann. „Für mich passt das absolut, denn ich stehe auch voll und ganz hinter den Werten und Normen, für die die Bundeswehr steht, sowohl mit meiner Art des Glaubens als auch mit meiner Wahrnehmung der Welt.“ Schutz, Kameradschaft, Fürsorge, Miteinander und Tapferkeit nennt sie, aber auch „Stolz, Ehre, für etwas einstehen“.
Dass es bei den Streitkräften einmal eine Stelle für Soldaten anderer Glaubensrichtungen geben würde, konnte sich Süzen trotzdem in ihren beruflichen Anfängen dort vor mehr als zehn Jahren nicht vorstellen. Inzwischen sei man weiter. „Für mich ist das ein Zeichen, dass wir nicht nur toleriert werden, sondern auch anerkannt und akzeptiert werden. Tolerieren bedeutet nur ertragen. Aber ertragen kann ich viel. Akzeptieren ist eine ganz andere Hausnummer.“
Extremismus
In der Öffentlichkeit werden immer wieder Fälle rechtsextremistischer Soldaten bekannt. „Das sind Einzelfälle“, kommentiert Hülya Süzen diese Berichte. Denn seit Juli 2017 würden alle Soldaten vor ihrer Einstellung einer Sicherheitsüberprüfung durch den Militärischen Abschirmdienst unterzogen. „Da wird geschaut, ob jemand in einer extremistischen Szene aktiv ist, egal ob links, rechts oder islamistisch“, sagt sie. „Wir sind in Sachen Prävention gut aufgestellt.“ Bei dem Thema agierten alle sensibel, da die Soldaten sich im Ernstfall unbedingt aufeinander verlassen können müssten.
Für alle Soldaten der Bundeswehr ist zudem politische Bildung verpflichtend. Hauptfeldwebel Süzen hält regelmäßig Vorträge zu den Themen Islam, Islamismus und Salafismus und der Abgrenzung voneinander – „damit die Soldaten nicht alles in einen Topf werfen, sondern zu unterscheiden wissen, was Religion ist und was Ideologie“, sagt sie. Natürlich stehe die Thematik in Zeiten eines religiös begründeten internationalen Terrorismus und aufgrund der Auslandseinsätze im Raum. Vorgesetzte riefen auch bei der Ansprechstelle für Soldaten anderer Glaubensrichtungen öfter an und fragten nach Infos, damit „niemand politischen Slogans auf den Leim gehe“, berichtet Süzen. (grd)
„Akzeptanz statt Toleranz“ – das ist auch für Hauptfeldwebel Amin Fadel ein ganz wichtiger Punkt. Seine Familie floh Mitte der 1980er Jahre vor dem Krieg im Libanon nach Deutschland. Der 31-Jährige wurde im Westerwald geboren und wuchs in der Verbandsgemeinde Pellenz bei Andernach auf. Dort lebt er auch heute noch. Anders als Süzen wollte Fadel zunächst allerdings nicht zur Truppe. Doch seine Eltern fanden es wichtig, dass er den Grundwehrdienst ableistet, um seinem Land im Verteidigungsfall helfen zu können. So ging er 2008 eher widerwillig zum Bund. Doch mit der Zeit habe er das Gefühl bekommen, irgendwie angekommen zu sein. Und das nicht nur bei den Streitkräften.
In der Bundeswehr anerkannt und akzeptiert
„Ich bin meinem Land durch die Bundeswehr nähergerückt“, sagt er. Er erzählt, wie seine Mutter, die ein Kopftuch trägt, einmal von einem Fahrradfahrer niedergetreten worden sei, als sie die Straße entlangging. „Da denke ich: In was für einer Gesellschaft lebe ich hier? Die kennen sie doch gar nicht.“ Auch er selbst habe in Zivil immer wieder Erfahrungen von Diskriminierung gemacht – gerade während der Flüchtlingskrise. In der Bundeswehr sei er dagegen von Anfang an anerkannt und akzeptiert worden.
„Beim Bund stellt man niemals infrage, ob ich Deutsche bin“, sagt auch Süzen, die im Zivilen ebenfalls von rassistischen Erfahrungen zu berichten weiß. Dumme Sprüche habe es bei den Streitkräften zwar auch mal gegeben. „Das war dann aber eher unüberlegt und nicht die Masse.“ Grundsätzlich berichten die beiden nur positiv über Arbeitgeber und Kollegen. Die beiden sehen die Truppe als Integrationsmotor.
Beten und Fasten bei der Bundeswehr
„Am Anfang hat mich mein Gruppenführer sogar beiseite genommen und gesagt: Wenn du fünfmal am Tag beten willst, bekommen wir das hin, kein Problem“, erzählt die 36-Jährige. Da habe sie sich fast geschämt, dass sie das nicht wollte. Dienstlich bekommt sie derartige Anfragen heute öfter auf den Tisch. „Wenn Soldaten eine Raucherpause machen dürfen, kann man auch Soldaten zur Gebetspause schicken“, entgegnet sie dann pragmatisch. Das dauere ungefähr zehn bis 15 Minuten und nur ein Gebet falle normalerweise in die Dienstzeit. Im Einsatz könne man Gebete auch zusammenfassen und nachholen – diese Freiheit lasse einem der Islam.
Anderes Thema: das Fasten im Ramadan. Im Büroalltag sei das kein Problem, daran sei sie gewöhnt, sagt Süzen. Im Auslandseinsatz – sie war im Kosovo – hat sie es von der Lage abhängig gemacht, Fadel hat in Afghanistan darauf verzichtet. Auch diese Freiheit lasse einem der Islam, sagen die beiden.
Im Auslandseinsatz habe sie ihre Mehrsprachigkeit und ihr religiös-kulturelles Verständnis zudem nutzen können, fügt Süzen hinzu. „Ich sage immer: Ich bin nicht ,bio-deutsch'. Ich bin ,Deutsche plus', ich habe ein bisschen mehr.“ Und im Auslandseinsatz habe sie das vollumfänglich einbringen können. „Wir sind nicht nur im Inland unterwegs. In einer globalisierten Welt wird das immer wichtiger.“