Frank Flake, Vorsitzender des Deutschen Berufsverbands Rettungsdienst, erklärt im Interview, warum Gaffen auf Landstraßen oft noch krasser ist als auf der Autobahn und warum er allen E-Bike-Fahrern dringend einen Helm empfiehlt.
Deutschlands oberster Sanitäter„Schneller auf Facebook als in der Klinik“

Schaulustige fotografieren neben einer Lärmschutzwand mit ihren Smartphones eine Unfallstelle.
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Herr Flake, Sie arbeiten seit Jahrzehnten als Sanitäter im Rettungsdienst. Welche Einsätze auf der Landstraße lassen Sie bis heute nicht los?
Es sind vor allem die, bei denen Kinder betroffen sind – das geht einem nah und bleibt. Im ländlichen Raum passiert es außerdem immer wieder, dass wir zu Unfällen mit Bekannten, Freunden oder Nachbarn gerufen werden. Die Wahrscheinlichkeit ist hier einfach höher als in der Stadt, weil das Einsatzgebiet kleiner ist. Manchmal reicht schon ein Blick aufs Kennzeichen, um zu ahnen, wer im Auto sitzt. Das ist der Albtraum jedes Retters. Trotzdem müssen wir im Einsatz sofort umschalten: Wir sehen nur den Patienten und seine Verletzungen, alles Persönliche blenden wir aus.
Die Zahl der Verkehrstoten ist bundesweit gesunken, trotzdem passieren die meisten tödlichen Unfälle immer noch auf Landstraßen. Hat sich die Sicherheit insgesamt verbessert?
Ja, eindeutig, Airbags, Gurtstraffer und stabile Karosserien in modernen Autos fangen heute viel ab. Vor 30 Jahren war ein stark zerstörtes Auto fast immer ein Todesurteil – heute kann es passieren, dass der Fahrer nach einem schweren Unfall schon neben dem Wagen steht.
Was macht Landstraßen trotzdem so gefährlich?
Bäume sind nach wie vor eine große Gefahr – eine Allee verzeiht keinen Fahrfehler. Dazu kommen riskante Überholmanöver, Kollisionen mit Landmaschinen, Unfälle mit Motorrädern und immer öfter mit E-Bikes. Letztere sind schnell und für Autofahrer oft schwer einzuschätzen. Ablenkung durch Smartphones ist mittlerweile ebenfalls eine der Hauptunfallursachen.
Mit welchen Verletzungen haben Sie es in der Praxis am häufigsten zu tun?
Bei Baumunfällen sind es oft schwere Becken-, Brustkorb- oder Kopfverletzungen. Motorradfahrer fliegen bei einem Crash häufig über die Maschine und rutschen ungeschützt über den Asphalt. Bei Pedelec-Fahrern sehen wir immer wieder schwere Kopfverletzungen.
Müsste es deshalb eine Helmpflicht geben?
Für Pedelecs auf jeden Fall. 25 km/h klingt nicht schnell, ist aber bei einem Sturz lebensgefährlich. In der Schweiz trägt fast jeder Radfahrer einen Helm – egal wie alt. In Deutschland ist das leider noch nicht selbstverständlich.
Manche Länder erlauben auf Landstraßen nur 80 km/h. Wäre das ein Modell für Deutschland?
Ich halte 100 km/h für vertretbar – aber nur, wenn an Gefahrenstellen konsequent Tempo 70 oder 50 gilt und das auch kontrolliert wird. Auf Autobahnen hingegen würde ein generelles Tempolimit von 130 km/h die Sicherheit erhöhen und Staus reduzieren.
Auf dem Land sind die Anfahrtswege und damit auch die Transportwege oft länger – wie wirkt sich das auf die Rettung aus?
Es kostet schlicht Zeit. Auf dem Land gibt es meist keine Berufsfeuerwehren, sondern freiwillige. Die müssen erst zum Gerätehaus fahren, Fahrzeuge besetzen und dann ausrücken. Und ins Krankenhaus ist es oft weit – wir bringen Patienten dorthin, wo sie die beste Behandlung bekommen, nicht unbedingt ins nächstgelegene. Deshalb setzen wir auf dem Land deutlich häufiger den Rettungshubschrauber ein.
Welche Rolle spielen Ihrer Erfahrung nach Gaffer bei Einsätzen auf der Landstraße?
Auf der Autobahn kennt man den Stau auf der Gegenfahrbahn, weil Menschen langsamer fahren, um zu filmen. Auf der Landstraße ist es oft noch extremer: Passanten steigen sogar aus, um mit dem Handy Aufnahmen zu machen. Unfallopfer sind schneller auf Facebook als im Krankenhaus. Die Menschen sind distanzloser geworden. Wir mussten schon Planen aufspannen, um Opfer vor Gaffern zu schützen. Das behindert unsere Arbeit und kann den Patienten zusätzlich schädigen. Wer so etwas macht, muss mit einer Anzeige rechnen – und das ziehen wir konsequent durch.
Was müsste passieren, damit Sie Unfallopfern auf der Landstraße noch schneller helfen können?
Wir brauchen bundesweit einheitliche Kompetenzen für Rettungsfachpersonal. Heute dürfen Notfallsanitäter nicht nur je nach Bundesland, sondern teils sogar von Kreis zu Kreis unterschiedliche Dinge – das kostet im Zweifel wertvolle Zeit. Ein Beispiel: In einem Landkreis darf ein Sanitäter ein starkes Schmerzmittel geben, im Nachbarkreis muss er erst auf den Notarzt warten. Auf einer Landstraße, weit weg von der nächsten Klinik, kann das entscheidend sein.
Andere Autofahrer sind oft vor Ihnen am Unfallort. Was ist dann das Wichtigste, das sie tun können?
Unfallstelle absichern, Notruf absetzen und – wenn möglich – Erste Hilfe leisten. Das kann stabile Seitenlage sein oder einfach beim Verletzten bleiben, bis wir da sind. Keine Angst haben: Man kann fast nichts falsch machen – aber viel richtig. Vorbeifahren ist keine Option. Und Erste-Hilfe-Kurse sollte man regelmäßig auffrischen.
