Die demografische Welle mit Millionen Babyboomern erreicht die Rente. Die ersten Jahrgänge lassen ahnen, was auf die Rentenkasse zukommen könnte.
Demografischer WandelHunderttausende Babyboomer vorzeitig in Rente

44 Prozent eines Babyboomer-Jahrgangs gehen vorzeitig in Rente und haben Zeit zum Beispiel fürs Reisen. (Archivbild)
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Fast jeder zweite Babyboomer im Rentenalter ist bisher vorzeitig in Rente gegangen. Das sind laut einer neuen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) 1,8 Millionen Menschen aus den Boomer-Jahrgängen, die bis 2023 ins Rentenalter gekommen sind. Bezogen auf alle Angehörigen des jeweiligen Geburtsjahrgangs ist das ein Anteil von 44 Prozent, bezogen auf die Neurentnerinnen und -rentner laut Rentenversicherung mehr als 55 Prozent.
Ändert sich der Trend zum vorzeitigen Renteneintritt nicht, beziehen laut IW-Studie, die der Deutschen Presse-Agentur vorlag, ab 2025 erwartungsgemäß jährlich mindestens eine Million Babyboomer vor Überschreiten des Regelalters gesetzliche Rente. Das bis 67 steigende Rentenalter erhöht das tatsächliche Alter des Rentenzugangs demnach nicht wirklich.
Einer Trendumkehr steht nach Einschätzung des arbeitgebernahen Instituts vor allem die Rente für langjährig und besonders langjährig Versicherte im Weg – bei letzterer darf man nach 45 Versicherungsjahren zwei Jahre vor der Altersgrenze abschlagsfrei in Rente gehen.
Weiter abschlagsfrei in Rente?
Studienautorin Ruth Maria Schüler ist der Ansicht, Union und SPD sollten „konsequent sagen, wir beschränken die Möglichkeiten zum vorzeitigen Renteneintritt“, wie sie sagt. Doch der Erhalt der abschlagsfreien Rente nach 45 Jahren zählte zu den SPD-Kernversprechen im Wahlkampf – entsprechend verspricht das auch der Koalitionsvertrag.
Seit Jahren ist klar: Mit der Welle der Babyboomer kommen auf die Rentenkasse weitere Milliardenausgaben zu, während die Zahl der Einzahlenden einzubrechen droht. Wegen der düsteren Aussichten kündigte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Bundestag eine „Rentenreformkommission“ an. Das Gremium muss erst noch besetzt werden und soll laut Koalitionsvertrag bis zur Mitte der Legislatur Ergebnisse liefern.

Mehr als jeder zweite Babyboomer eines Jahrgangs arbeitet bis zum Rentenalter. (Archivbild)
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Rentenkasse unter Kostendruck
Die Zeit drängt. Die Rentenausgaben dürften sich bis 2045 angesichts der Alterung der Gesellschaft von derzeit 372 Milliarden Euro mehr als verdoppeln. So ist es im Entwurf für die am Ende gescheiterte Rentenreform der Vorgänger-Ampelregierung nachzulesen. Die Ausgaben werden stärker steigen, wenn das Sicherungsniveau der Rente bei 48 Prozent gehalten wird, wie es auch Schwarz-Rot verspricht.
Millionen Angehörige der besonders geburtenstarken Jahrgänge haben das reguläre Renteneintrittsalter schon erreicht. Die IW-Forscher verstehen darunter die Jahrgänge 1954 bis 1969. Nach der Studie auf Basis der jüngsten Daten der Rentenversicherung bezogen 2023 bereits 4,5 von 19,5 Millionen Babyboomern eine Altersrente – „davon 0,9 Millionen, obwohl sie das gesetzliche Renteneintrittsalter noch nicht erreicht haben“, wie das IW feststellt. Der Gipfel der Babyboomer-Welle, bestehend aus dem Geburtsjahrgang 1964, erreicht laut IW 2031 die Regelaltersgrenze.
Wer typischerweise früher in Rente geht
Trotz des demografischen Drucks hatte der langjährige Arbeitsminister Hubertus Heil Rufe nach längerem Arbeiten oder einem Aus für die abschlagsfreie frühere Rente stets eine Absage erteilt: Viele könnten aus Gesundheitsgründen gar nicht länger arbeiten. Auch Amtsnachfolgerin Bärbel Bas (beide SPD) sagte zuletzt in einem Interview: „Es gibt Berufe, da sind die Leute mit 60 schon fertig.“
IW-Forscherin Schüler gibt hingegen zu bedenken: „Besonders langjährig Versicherte, die ohne Abschläge in Rente gehen, sind Personen, die im Schnitt über ein höheres Haushaltseinkommen verfügen und gut ausgebildet sind.“ Es seien damit oft nicht jene, die besonders hart körperlich arbeiten müssten.
Bereits eine Studie des ifo-Instituts stellte vor Jahren fest, die abschlagsfreie Rente werde vor allem von Männern, Fachkräften und Menschen mit anerkanntem Berufsabschluss in Anspruch genommen. Laut einer früheren IW-Erhebung müssten niedrigere Lohngruppen häufiger aus ökonomischen Gründen auf eine vorzeitige Rente verzichten. Schüler erläutert: „Bei der abschlagsfreien Rente finden sich häufig Industrieberufe und klassische Facharbeiterkarrieren.“
Arbeit im Alter soll attraktiver werden
„Ziel der Politik sollte es sein, die geburtenstarken Jahrgänge möglichst lange im Erwerbsleben zu halten, um die demografische Welle zu glätten“, meint das IW in seiner aktuellen Studie. Tatsächlich wollen SPD und Union, dass ältere Menschen möglichst lange berufstätig bleiben – und haben dazu die Idee einer „Aktivrente“ aus dem Unionswahlprogramm als Plan übernommen: Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, soll sein Gehalt bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei erhalten.
Schüler appelliert an die schwarz-rote Koalition, darüber hinaus bestimmte Einschränkungen für früheren Rentenbezug zumindest in der angekündigten Rentenkommission als Thema zu setzen. So oder so dürfte es für die Menschen, die sich nach vielen Arbeitsjahren dem Rentenalter nähern, beim Ausloten ihrer Optionen auch künftig viel zu rechnen geben. (dpa)