Kurs gegen illegale EinwanderungWie Deutschland von Dänemark lernen könnte

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), lacht, während seine Frau Britta Ernst Mette Frederiksen, Ministerpräsidentin von Dänemark, begrüßt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), lacht, während seine Frau Britta Ernst Mette Frederiksen, Ministerpräsidentin von Dänemark, begrüßt.

In Kopenhagen hat die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen seit Jahren politischen Erfolg mit einem knallharten Kurs. Verschwunden sind Rechtsaußen-Parteien deshalb aber nicht.

Die Unterschiede beginnen schon in der Kommunikation. Die Asyl- und Migrationsdebatte in Deutschland ist ein Minenfeld: Ein falsches Wort, ein falscher Zungenschlag – schon werden selbst überzeugte Demokraten wie Ex-Bundespräsident Joachim Gauck in die Nähe von Menschenfeinden gerückt. Viele Politiker vermeiden Klartext und überlassen damit das Feld der AfD. Die treibt die Parteien links von ihr – also alle – mit dem Thema vor sich her.

In Dänemark ist das anders. Hier wird öffentlich gefeiert, wenn die Zahl der Menschen, die vom Asyl-Grundrecht Gebrauch machen, besonders gering ausfällt: „Es freut mich, dass wir hierzulande so niedrige Asylzahlen haben“, teilte etwa der damalige Ausländer- und Integrationsminister Mattias Tesfaye 2022 mit. Er gehört keiner Rechtsaußen-Partei an, er ist Sozialdemokrat.

Seine Aussage ist symptomatisch für die Art und den Stand der Diskussion in Dänemark. Mit wenigen Ausnahmen ist es ein parteiübergreifendes Ziel geworden, die Anzahl der Asylbewerber so niedrig wie möglich zu halten. Entsprechend ist die Migrationspolitik ausgerichtet. Gesetzesverschärfungen feierten Regierungsmitglieder wie Tesfayes Vorgängerin Inger Støjberg, die „Hardlinerin“ in der dänischen Asylpolitik, in der Vergangenheit öffentlichkeitswirksam mit einer Torte.

Der Ex-Ausländerminister formulierte es 2022 so: „Es ist eine Reihe von klugen Entscheidungen gefällt worden, die laufend eine bessere Kontrolle der Einwanderung gewährleistet haben.“ Die Entscheidungen wirken nach, wie der Blick auf die aktuellen Asylzahlen zeigt. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) beantragten im Juli 2023 insgesamt 25165 Menschen in Deutschland Asyl. In Dänemark waren es im selben Monat gerade 180. Anders gesagt: Im gesamten Monat Juli beantragten so viele Migranten in Dänemark Asyl wie in Deutschland innerhalb weniger Stunden.

Grenzkontrollen schon seit 2015

Hierzulande herrscht nicht einmal Konsens darüber, ob die derzeit vergleichsweise hohen Asylzahlen das Land überfordern. Viele Vertreter von Kommunen und einige Ministerpräsidenten sehen den Punkt erreicht. Katharina Dröge, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, verneinte das aber kürzlich im Interview mit unserer Redaktion. Mehr noch: Mit Blick auf die deutsche Nazi-Vergangenheit warnte sie davor, das Asylrecht zu reformieren.

Dänemark hatte hingegen stationäre Kontrollen an den Grenzen bereits im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 eingeführt und jahrelang aufrechterhalten – zum Ärger vieler deutscher Urlauber, aber vergleichsweise weniger Dänen. Der Wendepunkt lässt sich auch an der Wahl der heutigen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen zur Chefin der Sozialdemokraten festmachen. Sie vollzog mit ihrer Partei eine zweifache Wende: In Sachen Sozialpolitik setzte Frederiksen wieder auf klassische sozialdemokratische Tugenden und stärkte den Sozialstaat. Dies verknüpfte sie mit einer „harten“ Justiz- und Ausländerpolitik – auch wenn die manchmal mehr auf die psychologische Wirkung als auf konkrete Ergebnisse zielte.

Ein Beispiel dafür ist das sogenannte Schmuckgesetz: Flüchtlingen kann Schmuck ab einem Wert von 10.000 Kronen (etwa 1340 Euro) abgenommen werden. Auch Bargeld jenseits dieser Grenze kann eingezogen werden. So sollen sich Flüchtlinge an den Kosten ihrer Unterbringung im Land beteiligen. Das Gesetz wurde europaweit viel beachtet und kritisiert. Allerdings kam es bislang nur 17-mal zum Einsatz. In Deutschland wird derweil seit Jahren darüber gestritten, ob Asylbewerbern das ihnen zustehende Taschengeld nun in bar, in Form von Gutscheinen oder einer Prepaid-Karte ausgezahlt werden soll.

Hart sind in Dänemark auch die Regeln in Sachen Familiennachzug. Der Partner muss zum Beispiel Dänisch-Kenntnisse vorweisen, wenn er ins Land will. Wer in den zurückliegenden drei Jahren Sozialleistungen in Dänemark bezogen hat, kann den Familiennachzug gleich vergessen.

Auch in Deutschland gibt es Auflagen für das Nachholen von Verwandten. Auch hier scheitert die Zusammenführung oft an den Sprachkenntnissen. Aber offenkundig hat die Politik deutlich weniger Gespür für Stimmungen in Teilen der Bevölkerung: Auf dem Höhepunkt der aktuellen Migrationskrise mit mehr als 20.000 Asylanträgen im Monat wurde kürzlich bekannt, dass im Bundesinnenministerium über eine Erleichterung des Familiennachzugs nachgedacht wird. Ministerin Nancy Faeser ließ eiligst verlauten, das habe dann doch keine Priorität für sie. Eher sollten stationäre Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien geprüft werden.

Keine Partei, auch nicht die ehemaligen Volksparteien SPD und CDU, hat indes bislang ein Rezept gefunden, die Wählerwanderung nach rechts zu stoppen. Eng verknüpft ist das mit den ungelösten Problemen in der Migrationspolitik. In Dänemark wurde diese Entwicklung umgedreht mit der Politik eines harten, aber – zumindest gefühlt – gerechten Sozialstaats. Die Zielgruppe dieser Neuausrichtung war klar: Menschen außerhalb der größeren Städte, die in den vergangenen 20 Jahren von den Sozialdemokraten zur rechten Dänischen Volkspartei (DF) gewechselt waren. Im Parteienspektrum steht DF rechtsaußen, ist aber anders als Teile der AfD nicht rechtsextrem.

Stimmverluste in anderen Milieus nahmen die Sozialdemokraten offenkundig dabei in Kauf. Sie setzten darauf, dass durch ihre Migrationspolitik vergrätzte Wähler Parteien weiter links im Spektrum wählen würden. Das Kalkül ging bei der Wahl 2019 auf. Es gelang, Wähler über die Mitte hinweg zurückzuholen. Am Ende konnte Mette Frederiksen eine sozialdemokratische Alleinregierung bilden, mit Unterstützung der grün-linken und sozialliberalen Parteien im Parlament.

Seither hat das Integrations- und Migrationsthema in Dänemark laufend an politischer Bedeutung verloren. Vor der Wahl 2022 landete es bei einer Umfrage weit abgeschlagen an achter Stelle, unter anderem hinter Gesundheit, Klima und Senioren. Nur rund zehn Prozent der Wähler sahen es als eines der drei wichtigsten Themen an.

Die Regierung in Kopenhagen wird also anders als die Regierung in Berlin nicht von dem Thema Migration getrieben. Aber: Das bedeutet nicht, dass Rechtsaußen-Parteien im Norden von der Bildfläche verschwunden sind. Zwar ist die Dänische Volkspartei mit 2,6 Prozent 2022 sehr weit von ihrem Höhenflug 2016 mit 21,1 Prozent entfernt. Das hängt jedoch auch damit zusammen, dass es mittlerweile drei rechte Parteien gibt, die zusammen bei der vorherigen Wahl immerhin 14,4 Prozent erzielten.

Integrationsdefizite klar benannt

Müsste es Bundeskanzler Olaf Scholz also einfach seiner Kollegin Frederiksen nachmachen, um die Sozialdemokratie zu stärken und die AfD ausbremsen? Im direkten Vergleich der Migrationsrhetorik wird deutlich, wie viel härter Frederiksen auftritt: Sie benennt klar Integrationsdefizite bei manchen Menschen mit Migrationshintergrund.

Zuletzt Anfang September, als die Regierungsspitze ein Maßnahmenpaket gegen kriminelle Banden und Rockerclubs vorstellte. Ihr Augenmerk legte die Regierungschefin vornehmlich auf Kriminelle ohne ausgeprägte dänische Wurzeln. „Ein großer Teil der Banden wird von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ausgemacht. Sie sind in Dänemark schlecht integriert. Viele von ihnen wünschen regelrechte Parallelgesellschaften mit eigenen Vorstellungen von Ehre und eigenen Spielregeln“, sagte Frederiksen.

Könnte ein Bundeskanzler so etwas sagen? In Deutschland wird selbst darüber diskutiert, ob der Begriff Clankriminalität diskriminierend ist. Nicht einmal bei Wahlkampf-Auftritten findet Scholz klare Worte zur Migrationsthematik. Die Lage sei „schwierig“, sagte der Kanzler am Wochenende bei einer Veranstaltung in Bayern. Bislang keine Spur von dänischer Härte.