Abstimmung am 14. MaiWie wirkt sich die Türkei-Wahl auf NRW aus?

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Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, steht neben einer türkischen Flagge

Im Gegensatz zu früheren Wahlen müssen Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine islamistisch-konservative Partei AKP diesmal offenbar zittern.

Trotz des Wahlkampfverbots für Nicht-EU-Politiker, suchen türkische Politiker nach Wegen, Einfluss auf hiesige Wähler zu nehmen.

Am 14. Mai werden in der Türkei das Parlament und der Präsident neu gewählt. Im Gegensatz zu früheren Wahlen müssen Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine islamistisch-konservative Partei AKP diesmal offenbar zittern.

Sein Herausforderer Kemal Kilicdaroglu von der sozialdemokratischen CHP scheint Umfragen zufolge Chancen auf einen Sieg zu haben. Damit richtet sich diesmal der Blick noch mehr als sonst auf den Wahlkampf außerhalb der Türkei.

Warum ist das Thema so kontrovers?

Es gab Zeiten, in denen Erdogan in NRW große Hallen füllte. Zum Beispiel lockte sein Auftritt im Mai 2014 rund 15 000 Anhänger in die Kölner Lanxess-Arena. Offiziell war der Anlass nicht die Wahl, sondern ein Jubiläum der Union Europäisch Türkischer Demokraten (UETD) – eine Lobbyorganisation der AKP. Umstritten war der Auftritt nicht nur wegen des Etikettenschwindel-Vorwurfs, sondern vor allem deshalb, weil Erdogan sagte, Türken in Deutschland dürften sich zwar integrieren, aber nicht völlig anpassen.

Inzwischen – unter dem Eindruck vieler und nicht gerade von der Demokratie inspirierter Wahlkampfauftritte von türkischen Regierungsmitgliedern – gilt in Deutschland ein Wahlkampfverbot für Politiker, die nicht aus der EU kommen. In den drei Monaten vor einer Wahl werden solche Auftritte nicht mehr erlaubt.

In diesem Frühjahr schauen Behörden besonders intensiv hin, denn im Januar hatte der türkische AKP-Abgeordnete Mustafa Acikgöz in einer Moschee der rechtsextremen Grauen Wölfe in Neuss eine Rede gehalten, die so voller Hass war, dass danach sogar der türkische Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt wurde.

Acikgöz hatte unter anderem gesagt, dass man den „Terroristen“ kein Lebensrecht in der Türkei gewähren werde und das auch für Deutschland gelten solle. Damit meinte er regimekritische Kurden und Anhänger der Gülen-Bewegung. Der Politiker drohte in Neuss offen mit der „Vernichtung“ dieser Menschen.

Gibt es türkische Wahlkampfaktivitäten in NRW?

Ja, versichert der Politikwissenschaftler Burak Copur aus Essen gegenüber dieser Redaktion. „Es hat einen Strategiewandel der AKP gegeben. Es wird nicht mehr die Werbetrommel in großen Versammlungshallen und auf Plätzen gerührt, sondern der Wahlkampf in NRW läuft unter dem Radar eher im Kleinen und im Verborgenen ab“, erklärt er. Es gebe jetzt zum Beispiel Wahlkampf-Veranstaltungen in Moscheen, im Rahmen von Bürgertreffs oder verstärkt in sozialen Medien. Copur: „Nach außen könnte man den Eindruck gewinnen, dieser Wahlkampf verlaufe ruhiger als frühere, aber der Schein trügt.“

Yunus Ulusoy von der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung in Essen (ZFTI) sagt dazu: „Die Türkei hält sich an die Übereinkunft mit Deutschland, auf große offizielle Wahlkampfauftritte zu verzichten. Aber natürlich sind alle türkischen Parteien organisatorisch in Deutschland vertreten, und sie versuchen auch, Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren.“ Besonders das Erdogan-nahe Lager sei in NRW gut organisiert.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte zuletzt sogar vor türkischen „Desinformationskampagnen“ gewarnt.

Wen wählen Türkeistämmige in NRW?

Die im Ausland lebenden türkischen Wahlberechtigten machen etwa fünf Prozent aller Wahlberechtigten aus. In NRW leben etwa 500 000 Menschen mit türkischem Pass. An der Präsidenten-Wahl im Jahr 2018 nahmen etwa 53 Prozent von ihnen teil. Damals war Essen und Umgebung die „Hochburg“ des Erdogan-Lagers. 76,3 Prozent der Stimmen, die im dortigen Konsulat abgegeben wurden, gingen in Richtung AKP. In Düsseldorf waren es 70,5, in Münster 66,1 und in Köln 65,9 Prozent.

„An der Struktur und politischen Präferenz der türkeistämmigen Bevölkerung in NRW dürfte sich im Vergleich zur Wahl 2018 nicht viel geändert haben. Wir können davon ausgehen, dass Präsident Erdogan nach wie vor in NRW und besonders im Ruhrgebiet hohe Zustimmungswerte erreicht“, erklärt Yunus Ulusoy vom ZFTI. Deutschlandweit seien in den vergangenen Jahren durch Studium, Arbeit oder Flucht zwar etwa 100 000 Türken zugewandert. Viele von ihnen stünden nicht hinter der AKP, „aber das dürfte die Wahlchancen der AKP insgesamt in Deutschland kaum beeinträchtigen“, so Ulusoy.

Serdar Yüksel (SPD), Leiter des Petitionsausschusses im Landtag, widerspricht. Die Wechselstimmung in der Türkei bringe auch in der türkischen Gemeinschaft in NRW „etwas ins Rutschen“, sogar in staatsnahen und Erdogan-treuen Organisationen wie der Ditib und der UID gebe es „vorsichtige Absetzbewegungen“. Etwa 20 Prozent der türkischen Wahlberechtigten seien „Hardcore-Erdogan-Unterstützer“. Aber es gebe eben auch viele Jüngere hier, die tendenziell liberaler eingestellt seien.


Sorge vor Ausschreitungen nach der Wahl

Je näher der Termin für die Wahlen in der Türkei rückt, desto nervöser werden die Sicherheitsbehörden im Bund und in NRW. Ihre Befürchtung: Sollte es nach dem Urnengang am 14 Mai zu Unruhen in der Türkei kommen, dann dürften diese Konflikte auch nach NRW getragen werden.

Der Chef des Landtags-Petitionsausschusses, Serdar Yüksel (SPD), sagte dieser Redaktion, NRW müsse „sicherheitspolitisch auf der Hut“ sein und sich gut auf den „Fall der Fälle“ vorbereiten. „Sollte es zu einem sehr engen Wahlausgang kommen, sollte Kemal Kilicdaroglu die Wahl gewinnen, Recep Tayyip Erdogan dies aber nicht akzeptieren, dann könnte das zu Unruhen führen, die sich nicht auf die Türkei beschränken“, so Yüksel. Man müsse fest davon ausgehen, dass es dann auch hier in NRW Demonstrationen aller Lager geben würde. Gewalt sei nicht auszuschließen. 

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