Schlampige Ermittlungsarbeit, „Schande für den Rechtsstaat“: Der frühere NRW-Justizminister Biesenbach (CDU) äußert Kritik am Umgang mit Cum-Ex.
Ex-Justizminister im InterviewWarum lässt das Thema Cum-Ex Sie nicht los, Herr Biesenbach?

Kleine Steuersünder werden unnachsichtig verfolgt, mutmaßliche Cum-Ex-Täter drohen davonzukommen: Der frühere NRW-Justiziminister Peter Biesenbach redet Klartext.
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Inspiriert vom größten Steuerskandal der internationalen Finanzwelt hat der Filmemacher Jan Schomburg für das ZDF die exzellent besetzte und von der Kritik gefeierte TV-Serie „Die Affäre Cum-Ex“ inszeniert, die ab Sonntag ausgestrahlt wird. Der ehemalige NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) hat die strafrechtlichen Ermittlungen gegen das Betrugssystem von Banken und Anwaltskanzleien einst maßgeblich unterstützt. Wie blickt er heute auf die fiktionale Umsetzung des Milliardenraubs und den realen Umgang des Staates mit der noch immer nicht abgeschlossenen Aufarbeitung? Obwohl der Jurist aus Hückeswagen inzwischen 77 ist und seit drei Jahren offiziell im Ruhestand, kommt er beim Treffen in Düsseldorf schnell auf Betriebstemperatur.
Herr Biesenbach, die hochgelobte ZDF-Serie „Die Affäre Cum-Ex“ präsentiert uns den Milliardenbetrug mit Aktienschiebereien rund um den Dividenden-Stichtag und illegale Steuererstattungen als höchst unterhaltsamen Politthriller, der natürlich fiktional ist…
…aber leider verdammt nah an der Realität. Ich hoffe, dass sich viele Menschen diese acht Folgen ansehen und sich trotz der hervorragenden Unterhaltung genauso über diesen Finanzskandal empören können wie ich. Vielleicht bringt das dem wichtigen Thema einen Schub.
So viel sei verraten: Kurz vor dem Happy-End taucht auch ein Peter Biesenbach-Verschnitt auf, der den Ermittlern erstmals politische Rückdeckung gibt. Wie haben Sie das Thema Cum-Ex für sich entdeckt?
Als ich 2017 Justizminister wurde, lernte ich bald die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker kennen. Sie konnte das hochkomplexe Steuerbetrugssystem Cum-Ex auf einem Blatt Papier aufzeichnen und machte mir klar, dass wir uns als Staatsanwaltschaft gegenüber einem Netzwerk aus Banken, Top-Kanzleien und Finanzberatern ganz anders aufstellen mussten, um zu Unrecht ausgezahlte Steuererstattungen zurückzuholen und Straftaten zu verfolgen. Das leuchtete mir ein, deshalb habe ich sie unterstützt.
Ich werfe meinem Amtsnachfolger Benjamin Limbach und der Leitung der Kölner Staatsanwaltschaft mindestens Arbeitsverweigerung und Desinteresse vor.
Von diesem ungleichen Kampf der Staatsanwältin gegen die Welt der Superreichen handelt auch die Serie. Frau Brorhilker hat inzwischen die Brocken hingeworfen und auch Sie sind bitter enttäuscht, was aus den Ermittlungen geworden ist. Warum?
Für mich ist Cum-Ex eine ungeheure Herausforderung für den Rechtsstaat. Was aber in den letzten Jahren passiert, ist eine Schande für den Rechtsstaat und eine Blamage für die Justiz in Nordrhein-Westfalen. Ich werfe meinem Amtsnachfolger Benjamin Limbach und der Leitung der Kölner Staatsanwaltschaft mindestens Arbeitsverweigerung und Desinteresse vor.
Das müssen Sie begründen.
Staatsanwälte arbeiten normalerweise als Einzelkämpfer, die es mit Einzeltätern aufnehmen. Bei Cum-Ex gibt es aber keine Einzeltäter, sondern ein hochkomplexes System des Steuerbetrugs unter Beteiligung von Geldinstituten und spezialisierten Anwaltskanzleien. Dafür ist auf Seiten der Staatsanwaltschaft eine völlig andere Arbeitsmethodik erforderlich. Da müssen Wissen, Erfahrung und Personal gemanagt und geführt werden. Eine planvolle Führung in diesem Komplex ist weder durch den Leiter der Staatsanwaltschaft Köln oder den zuständigen Hauptabteilungsleiter erkennbar. Und der Minister schaut tatenlos zu.
Warum sind Cum-Ex-Ermittlungen so schwierig?
Alle Rechtsfragen zu dieser Betrugsmasche sind bundesgerichtlich geklärt. Es geht jetzt nur noch darum, wem wir im Einzelnen nachweisen können, dass er über unrechtmäßige Steuererstattungen Bescheid wusste. Das ist eine mühsame Puzzlearbeit, in der erfahrene Staatsanwälte ihr Wissen zusammentragen und als Team geführt werden müssen.
Mir ist in der deutschen Rechtsgeschichte kein ähnlich komplexes Gebilde bekannt. Da können Sie keine unerfahrenen Berufsanfänger dransetzen.
Wieso?
Wir haben auf der Gegenseite die Creme de la Creme der deutschen Wirtschaftsstrafverteidiger, die mit allen Wassern gewaschen sind. In jeder Sitzung der Gerichtsverfahren sitzen Stenografen dieser spezialisierten Top-Kanzleien und notieren jedes Wort. Die Verteidiger lauern nur auf mögliche Widersprüche und Revisionsgründe. Ich kenne hochbezahlte Spitzenanwälte, die beschäftigen Staatsanwaltschaften fast jede Woche mit 60-bis 80-seitigen Schriftsätzen. Mir ist in der deutschen Rechtsgeschichte kein ähnlich komplexes Gebilde bekannt. Da können Sie keine unerfahrenen Berufsanfänger dransetzen.
Warum fehlt heute der Ermittlungselan?
Cum-Ex ist juristisches Hochreck, dafür müssen Sie brennen, ohne als Beamter bei wahnsinnig viel Arbeit persönlich einen Vorteil zu haben. Solche Großermittlungen, in denen Erfahrung und Fachwissen in der Sache immer vor Hierarchie gehen, bringen Routinen in einer Behörde schnell durcheinander. Das passt offenbar manchen nicht.
Warum können Sie von dem Thema auch nach dem Abschied aus dem Ministeramt und mit inzwischen 77 Jahren nicht lassen?
Mir ist häufiger vorgeworfen worden, ich würde die Verfolgung von Cum-Ex-Straftaten als eine Art persönliche Hobbypflege betreiben. Das ist natürlich Quatsch. Aber lassen Sie es mich so sagen: Als Anwalt verteidige ich noch ab und zu Menschen, die ihre Steuererklärung zu spät oder unsauber abgegeben haben. Die werden von unseren Behörden unnachgiebig verfolgt. Eine professionelle Finanzindustrie hingegen, die den deutschen Staat in der Gesamtsumme um einen zweistelligen Milliardenbetrag geschädigt hat, kann einfach so davonkommen. Das empört mich, das widerspricht meinem Rechtsempfinden.
Werden viele Cum-Ex-Betrüger straffrei davonkommen?
Ich hoffe nicht. Aber 2026 verjähren die ersten Verfahren. Wenn so schlampig weitergearbeitet wird, kann die lange Verfahrensdauer auch dazu führen, dass beim Strafmaß nachgelassen werden muss. Oder Aufbewahrungsfristen für Beweise bei Geldinstituten könnten auslaufen. Mancher ältere Beschuldigte wird vielleicht haftunfähig. Es muss auf jeden Fall wieder Druck in die Sache kommen.
Können hinterzogene Steuern am Ende wieder reingeholt werden?
Wenn wir Strafurteile haben und Geld eingezogen werden könnte, erledigt sich auch das nicht von selbst. Cum-Ex-Betrüger haben ihre Millionen leider nicht bei der Stadtsparkasse auf dem Konto, sondern geparkt in irgendwelchen Steuerparadiesen. Ein normaler Rechtspfleger ist nicht für das Aufspüren von Geldquellen in der ganzen Welt ausgebildet. Jeder weiß: Wir müssen die Ausbildung von Spezialisten für die internationale Vermögensabschöpfung vorantreiben. Minister Limbach versprach vor ungefähr zwei Jahren, dafür notwendige Stellen zu schaffen. Geschehen ist nach meiner Kenntnis nichts. So kann man auch Verfahren erledigen. Erstrebenswert ist es nicht.