Frage des TagesWas bringt das neue Konzept zur Seenotrettung im Mittelmeer?

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Das Rettungsschiff „Eleonore“

Vittoriosa – Für die Wertegemeinschaft Europa ist es ein unwürdiges Bild: Immer wieder saßen aus Seenot gerettete Migranten tagelang auf Rettungsschiffen fest, weil Malta und Italien ihre Häfen nicht öffnen wollten. Zuletzt gab es jedes Mal mühsame Telefondiplomatie zwischen Europas Hauptstädten. Damit soll Schluss sein.

Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat mit seinem französischen Kollegen auf Malta zusammen mit Italien, Malta sowie Vertretern der EU-Ratspräsidentschaft Finnland und der EU-Kommission eine Grundsatzeinigung für eine beständigere Lösung gefunden. Gestern erlaubte Italien als Zeichen des guten Willens 182 Flüchtlingen vom privaten Rettungsschiff „Ocean Viking“ die Anlandung.

Verständigung auf Notfallsystem

Mit Berlin und Paris gehen nun zwei EU-Schwergewichte voran. Ein stabiles Notfallsystem soll ein Ende der spontanen Krisenpolitik einleiten. Beide erklären sich bereit, einen großen Teil der Bootsmigranten aufzunehmen. Seehofer kündigte vor dem Treffen an, Deutschland könne ein Viertel der vor Italien Geretteten aufnehmen. Frankreich dürfte sich in ähnlicher Weise engagieren.

Minderjährige Flüchtlinge

Die Zahl der Asylanträge unbegleiteter minderjährigen Flüchtlinge ist im Vergleich zum Vorjahr um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Das geht aus der Antwort des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) auf eine Anfrage unserer Redaktion hervor. Demnach wurden beim Bamf zwischen dem 1. Januar und dem 31. August genau 1908 Asylanträge von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gestellt. Im entsprechenden Vorjahreszeitraum waren es 3051. Im gesamten Jahr 2018 waren es 4087. Damit nähert sich deren Zahl dem Niveau vor der Flüchtlingskrise. 2013 stellten unbegleitete minderjährige Flüchtlinge 2485 Asylanträge. 2016 wurde die Rekordzahl von 35 939 Anträgen erreicht. Seitdem sind die Zahlen stark rückläufig. (mlat)

Auch Kroatien, Finnland, Irland, Litauen, Luxemburg und Portugal haben ihre Beteiligung zugesagt. Und es geht um geringe Zahlen. Seehofer wies darauf hin, dass Deutschland seit Juli 2018 nur die Aufnahme von 565 aus Seenot geretteten Migranten zugesagt habe. 225 erreichten Deutschland bislang.

Die bisherigen Streitpunkte

Einzelheiten der Einigung von Malta sind gestern zunächst nicht bekanntgeworden. Entscheidend dürfte die Frage sein, welche Häfen die Schiffe künftig ansteuern dürfen. Italien wollte ein Rotationssystem, an dem sich auch Frankreich beteiligt. Paris lehnte das bisher ab. Ebenfalls war zu klären, wie lange eine mögliche Einigung gültig sein wird, und welche Migranten verteilt werden.

Sind es nur solche, die tatsächlich Aussicht auf Asyl haben? Italien und Malta dürften darauf gedrängt haben, dass ein künftiger Verteilmechanismus alle Migranten beinhaltet. Tatsächlich ist ein großer Teil der Ankommenden nicht schutzberechtigt. In den ersten acht Monaten 2019 kamen der EU-Grenzschutzagentur Frontex zufolge fast 6600 Menschen über das zentrale Mittelmeer nach Europa.

Kritik

Beatrix von Storch, Mitglied des Bundesvorstandes der AfD, kritisiert die Pläne: Vier Jahre nach Merkels Flüchtlingsentscheidung werde jetzt auch Seehofer zum Refugees-welcome-Minister. „Seehofer produziert die nächste Flüchtlingswelle, anstatt Deutschlands Grenzen vor ungebremster Masseneinwanderung zu schützen.“

Viele von ihnen waren aus dem Sudan oder Pakistan. Fast jeder zweite Asylantrag von Sudanesen wurde der EU-Asylagentur Easo zufolge 2018 abgelehnt, von Menschen aus Pakistan wurden gut acht von zehn Anträgen negativ beschieden. Ein Großteil der Menschen müsste Europa also eigentlich wieder verlassen, was in der Praxis schwer durchzusetzen ist.

So geht es jetzt weiter

Beim Treffen aller EU-Innenminister am 8. Oktober sollen weitere Länder davon überzeugt werden mitzumachen. Seehofer zufolge lässt sich „mit großem Einsatz“ ein Dutzend Staaten erreichen. Auf eine Einigung mit allen EU-Staaten will er nicht warten – „dann kriegen wir nie eine Lösung“. Auch über die genaue Höhe der Verteilungsquoten auf einzelne Länder soll am 8. Oktober diskutiert werden, weil sie von der Zahl der am Ende beteiligten EU-Länder abhängt.

Seehofer und anderen ist es wichtig, dass es keinen „Pendeldienst“ zwischen Libyen und Italien gibt. Deshalb seien auch Gespräche mit Hilfsorganisationen vorgesehen. Rettungsschiffe sollten mit den zuständigen Behörden kooperieren und dürften nicht mit Schleppern zusammenarbeiten.

Reform der Dublin-Regel nötig

Die Einigung von Malta ist nur ein Anfang. Die große EU-Asylreform ist seit Jahren blockiert. Das liegt vor allem an den Dublin-Regeln, wonach meist jenes Land für einen Asylantrag zuständig ist, in dem ein Flüchtling zuerst europäischen Boden betritt. Mittelmeerländer wie Griechenland und Italien fühlen sich dadurch allein gelassen.

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Eine Reform scheitert jedoch unter anderem an östlichen EU-Staaten wie Polen und Ungarn, die sich nicht zur Aufnahme Asylsuchender verpflichten lassen wollen. Die künftige EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen kündigte Vorschläge an, um die Blockade aufzubrechen. (dpa)

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