Grünen-Chef Robert Habeck im Interview„Wir können Geschichte schreiben“

Grünen-Chef Robert Habeck
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- Schweren Herzens hat Parteichef Robert Habeck in dieser Woche zu Gunsten seiner Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock auf die Kanzlerkandidatur der Grünen verzichtet.
- Nun spricht er mit Henning Baethge darüber, wie es jetzt weitergehen soll mit ihm, der Partei und der Republik.
Herr Habeck, Sie haben nach dem Verzicht auf die Kanzlerkandidatur vom schmerzhaftesten Moment Ihrer politischen Karriere gesprochen. Aber Sie sind weiter Parteichef, aussichtsreicher Anwärter auf ein wichtiges Ministeramt und mit 51 Jahren auch nicht wirklich alt. Steht Ihnen nicht noch alles offen?
Ich habe jetzt jedenfalls Bock auf den Wahlkampf. Wir haben die Entscheidung gut hingekriegt, der Rückenwind ist gigantisch – ich glaube, wir können in diesem Wahlkampf Geschichte schreiben.
Wie traurig sind Sie noch über die Entscheidung?
Dazu ist alles gesagt. Die letzten Tage zeigen, dass es eine starke Entscheidung war, die uns nach vorn gebracht hat. Jetzt geht es darum, die Stärke zu halten.
War es ein Fehler, dass Sie Frau Baerbock öffentlich zugesichert haben: Wenn sie es will, dann wird sie es? Damit haben Sie die Entscheidung aus der Hand gegeben.
Nein, es ist eine gemeinsam getragene Entscheidung. Und ich habe nur eine Selbstverständlichkeit in einer emanzipierten Partei ausgesprochen.
Eine Kanzlerkandidatin als Signal für Emanzipation überzeugt vermutlich vor allem Leute, die auch sonst grün gewählt hätten. Mit Ihnen hingegen hätten die Grünen wohl stärker auf zusätzliche Stimmen aus Milieus hoffen können, die bisher nicht grün wählen. Hat diese Überlegung keine Rolle gespielt?
Das wichtigste Signal, das vom Montag ausgeht, ist die gemeinsame Entscheidung und die Geschlossenheit. Das hat uns durch die Woche getragen und wird uns hoffentlich in den nächsten Wochen auch weiter tragen.
Die Wahlchancen waren also nicht wichtig? Aus Ihrer Partei wurde kürzlich in einer Zeitung der Satz zitiert: Mit Annalena holen wir 17 bis 19 Prozent, mit Robert 14 bis 24.
Nicht alles stimmt, was in Zeitungen steht. Ich glaube, dass wir jetzt eine große Chance haben, mit Annalena Baerbock an der Spitze das beste grüne Ergebnis zu erzielen, dass wir je im Bund hatten. Ob es auch reicht, um die Regierung anzuführen, werden wir sehen. Das ist trotz der Woche, die wir hinter uns haben, keine Selbstverständlichkeit. Wir werden enormen Gegenwind kriegen – da sind Geschlossenheit, Wahlkampflust und Loyalität entscheidend für den Erfolg.
Sie haben gesagt, wenn es bei der Wahl gut läuft, werden Sie danach Teil der Bundesregierung sein. Manche wünschen Sie sich schon als Finanzminister – eine gute Idee?
Obwohl ich jetzt gut drei Jahre Parteichef bin, hat mich die Zeit in der Regierung in Schleswig-Holstein am stärksten geprägt. Genau das ist ja der Sinn von Politik: die Wirklichkeit gestalten. Selbstverständlich würde ich gern wieder operative, exekutive Verantwortung übernehmen. Aber in welchem Ressort das im Fall eines Wahlerfolgs wäre – darüber spekuliere ich nicht.
Wie wollen Sie die Grünen auf eine Regierungsübernahme vorbereiten? Was ist am wichtigsten?
Aus den Fehlern der gescheiterten Jamaika-Sondierungen von 2017 lernen. Und sich klar machen, dass eine Regierung ein paar gemeinsame zentrale Projekte braucht, aus denen sich dann Konsequenzen für alle anderen Themen ableiten lassen. Darauf bereiten wir uns gerade vor. Jede Regierung mit uns muss Klimaschutz im Sinne von Paris umsetzen. Und um ihn voranzutreiben, sind große Investitionen nötig – genauso wie in die öffentliche Infrastruktur, in Bildung, Forschung und Digitalisierung. Dafür wollen wir die Schuldenbremse reformieren. Und es geht um eine bessere Funktionsfähigkeit des Staates. Die Pandemie hat gezeigt, dass das Zusammenspiel von Bund und Ländern besser, effizienter werden muss. Wir waren bei der Bekämpfung des Virus oft nicht so gut, weil zu viele Runden, Kommissionen oder Beiräte beteiligt waren. Wir müssen sehen, dass wir gute Politik weniger von der Absicht und mehr vom Ergebnis aus definieren.
Wenn Sie die Schuldenbremse lockern wollen, riskieren Sie Wählerstimmen. Seit der Euro-Krise 2011 ist für viele klar, dass man nur das Geld ausgeben darf, das man hat.
Ja, das weiß ich – aber wir haben eine andere Situation als vor zehn Jahren. Die Zinsen sind so niedrig, dass der Staat sogar Geld verdient, wenn er Kredite aufnimmt. Und der Investitionsstau ist so groß, dass solche Kredite sinnvoll sind. Wäre es nicht großartig, wenn unsere Schulen bald so ausgestattet sind wie moderne Unternehmen, die Züge immer pünktlich kommen und Breitband an jeder Milchkanne vorhanden ist?
Auf was für ein Ergebnis hoffen Sie bei der Wahl?
Letztes Mal hatten wir 8,9 Prozent – diesmal kämpfen wir um das Kanzleramt und für das beste grüne Ergebnis aller Zeiten.
Eine Blitzumfrage des Forsa-Instituts sah die Grünen am Mittwoch schon bei 28 Prozent und die Union nur noch bei 21...
…die Zahlen halte ich für gewürfelt.
Wie auch immer: Demnach könnte es nicht nur für eine grün-schwarze Koalition reichen, sondern auch für eine Ampel oder Grün-Rot-Rot. Welche Aussicht ist die schönste?
Am meisten von unseren Zielen durchsetzbar wäre mit Grün-Rot, also einem grün geführten Bündnis mit der SPD. Aber das ist angesichts der Umfragen nicht sehr wahrscheinlich. Welche anderen Bündnisse möglich sind, ist erst nach der Wahl klar. Darum wollen wir so stark wie möglich werden. Dann müssen sich die anderen zu uns zu verhalten. Das hat bisher gut geklappt.
Die Union hat nach einem harten Machtkampf Armin Laschet zum Kanzlerkandidaten gekürt. Ist das gut oder schlecht für die Grünen?
Darüber spekuliere ich nicht. Die Union hat sich für Armin Laschet entschieden – unsere Aufgabe ist es, die Union mit ihm an der Spitze zu schlagen.
Seit Sie als Co-Parteichef in Berlin sind, wirken Sie oft unzufriedener als früher in Schleswig-Holstein, wo Sie von 2012 bis 2018 Umweltminister waren. Woran liegt das?
Unzufriedener würde ich nicht sagen. Aber die Zeit in der Landesregierung war für mich in der Tat die bisher erfüllendste. Die politischen Prinzipien, die Idee umzusetzen, in der Debatte mit den Menschen weiterentwickeln und dann zu sehen, wie sich real etwas verändert: wie Stromspeicher entstehen und Atomkraftwerke zurückgebaut werden. Das ist der Sinn von politischer Tätigkeit. Genau deshalb bin ich auch nach Berlin gegangen – um die Grünen in die Regierung zu bringen.
Liegt Ihr gelegentlicher Verdruss vielleicht auch daran, dass ein Schriftsteller in der Politik nur schwer heimisch werden kann?
Ich bin ja seit 15 Jahren kein Schriftsteller mehr, sondern Politiker. Und auch ich merke, dass sich bestimmte Begriffe und Phrasen einschleifen und man sich mit Formulierungen schützt, die man schon dreimal ins Programm geschrieben und auswendig gelernt hat. Mich langweilt und nervt das aber schnell selbst und ich versuche dann, diese Teflonsprache aufzubrechen und so zu formulieren, dass die Menschen mir gut zuhören können. Damit macht man sich manchmal angreifbar – aber es nicht zu tun, hieße in der Phrase unterzugehen.
Gut ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl findet in Schleswig-Holstein die Landtagswahl statt. Könnten Sie sich auch vorstellen, wieder in Ihr Heimatland zurückzugehen, um Ministerpräsident zu werden?
Ich setze alles darauf, dass wir in Berlin in die Regierung kommen. Meinen Direktwahlkreis gewinnen, ein starkes Bundesergebnis für die Grünen holen – dem gilt meine ganze Konzentration.