Dreikampf ums KanzleramtLaschet, Baerbock, Scholz – die Kandidaten im Redaktionscheck
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Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock
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Die Umfragen für Union und SPD sind desaströs.
Auftrumpfen können derzeit die Grünen. Entscheidend für die Wahl im September dürfte die Zugkraft der Spitzenkandidaten Baerbock, Laschet und Scholz sein.
Wer hat die besten Chancen?
Erst Olaf Scholz, dann Annalena Baerbock, und am Dienstag schließlich Armin Laschet: Der Dreikampf ums Kanzleramt ist eröffnet. Wer hat die besten Chancen, wer ist am stärksten, wo liegen die offenen Flanken? Die Kanzlerkandidaten von Grünen, SPD und Union im Vergleich.
Die Senkrechtstarterin
Kaum ist Baerbock nominiert, schießen die Umfragewerte der Grünen durch die Decke. Ist das nur ein Strohfeuer wie 2017 bei SPD-Kurzzeithoffnungsträger Martin Schulz? Eher nicht: Anders als der Genosse aus Brüssel hat Baerbock – gemeinsam mit Robert Habeck – den Wahlkampf generalstabsmäßig geplant. Es gibt ein Programm aus einem Guss, das die Klimawende durchbuchstabiert und massive Investitionen verheißt, denen sich selbst die Union kaum ganz verweigern dürfte. Baerbock ist sehr gut gewappnet. Nur Stunden nach ihrer Nominierung durch den Vorstand ging ihre erste TV-Interview-Offensive los.
Die Senkrechtstarterin hat mehrere Trümpfe. Sie bedient die Sehnsucht nach einem neuen Gesicht. Sie ist die einzige Frau im Dreikampf. Sie hat einen Rückhalt in ihrer Partei, von dem Armin Laschet nur träumen kann. Zwar hat auch die SPD ihre Reihen hinter Olaf Scholz geschlossen. Aber Begeisterung weckt der dröge wirkende Hanseate bei seinen Leuten ganz und gar nicht.
Klar, Baerbock ist ein Liebling der Berliner Blase, daran gibt es wenig Zweifel. Das ist den Grünen-Strategen allerdings klar. Wie schnell die Medien einen Liebling wieder fallen gelassen können, das musste Robert Habeck schließlich ganz bitter erfahren. Im Umgang mit Twitter & Co. ist Baerbock extrem vorsichtig. Auch inhaltlich vermeidet es die Kandidatin, sich durch Klientel-Politik angreifbar zu machen. „Ein bisschen Klimaschutz wird nicht funktionieren“, sagt sie zwar. Aber Inlandsflüge will sie nicht verbieten. Es gehe nicht „mit dem Kopf durch die Wand“, sagt sie am Donnerstag im Deutschlandfunk. Das mag einige Umweltaktivisten verstören. Um an die Macht zu kommen, brauchen die Grünen aber auch Stimmen aus der bürgerlichen Mitte. Die Verbotspartei-Falle darf nicht noch einmal zuschnappen.
Dennoch: Eine Kanzlerin Baerbock würde eine Klimakanzlerin, das ist die klare Ansage. Um den Verdacht zu entkräften, sie werde alsdann die Öko-Diktatur ausrufen, sucht Baerbock aber immer wieder die Nähe zu Wirtschaftsbossen und Strukturwandel-Verlierern gleichermaßen.
Hat sie also eine echte Chance, Kanzlerin zu werden? Würden die Wähler wirklich das Abenteuer wagen, eine 40-jährige Grüne ohne jede Regierungserfahrung zur Regierungschefin zu machen? Nach Stand der Dinge hat die Union noch immer ein deutlich solideres Wählerfundament, auch die CSU wird sich – wenn auch halbherzig – hinter Laschet stellen, der dürfte ihr lieber sein als eine Grüne im Kanzleramt. Und ist der Corona-Schrecken endlich vorüber, wird die Sehnsucht nach Rückkehr von Normalität und Gemütlichkeit womöglich sehr groß. Auch das bedient eher ein Armin Laschet. Der Sommer müsste extrem heiß und trocken werden, um die Klimakrise zum alles beherrschenden Thema zu machen – und Baerbock zur Kanzlerin.
Der Unterschätzte
Mancher mag sich noch immer fragen, ob die CDU von allen guten Geistern verlassen war, als sie Armin Laschet zum Kanzlerkandidaten erkor. Im Fußball würde man wohl sagen, man lässt den Torschützenkönig, in diesem Fall Markus Söder, beim wichtigsten Spiel auf der Bank. Als Ergebnis des zähen Machtkampfs muss die Union sich nun erstmal sammeln statt das höchste Regierungsamt gegen Aufsteigerin Annalena Baerbock von den Grünen und den zurzeit noch weniger gefährlichen Olaf Scholz von der SPD zu verteidigen. Nicht mal das Wahlprogramm steht. Aber Fußball ist nicht Politik, und der 60-jährige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen nicht zu unterschätzen.
Armin Laschet (CDU)
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Außerdem startete auch Angela Merkel 2005 knapp und mit wenig Vorschusslorbeeren ins Kanzleramt. In der Union gehen sie davon aus, dass es noch immer reichen könnte, um im September trotz unbeliebtem Kanzlerkandidaten stärkste Kraft zu bleiben. Bevor es Grün-Rot-Rot wird, wählt man doch lieber die Union, so das Prinzip Hoffnung. Ob sich das Land nach der Pandemie nach einem Weiter so sehnt, für das Laschet steht, oder Neues wagen will, ist nicht abzusehen. Erstmal im Amt des Regierungschefs könnte Laschet aber seine Stärken entfalten. In schwierigen Koalitionsverhandlungen etwa, die sich schon jetzt andeuten, weil es wohl auf ein Dreierbündnis hinausläuft. Laschets Selbstverständnis, Politik zu moderieren, zusammenzuführen und Kompromisse zu finden, könnte da hilfreich sein. „Man muss auch gönnen können“, sagt er gern.
Auch nicht ganz unwichtig für den höchsten Regierungsposten: Laschet hat Stehvermögen und Nerven wie Drahtseile. Im Machtkampf mit Söder hätte wohl manch anderer die Flinte ins Korn geworfen, er nicht. Auf scheinbar aussichtslosem Posten, am Ende strahlender Gewinner – dieses Prinzip zieht sich von einigen durchaus herben Niederlagen abgesehen wie ein roter Faden durch Laschets Leben. Auch einen Wahlsieg gegen Hannelore Kraft (SPD) traute ihm 2017 niemand zu.
Bei der Kandidaten-Entscheidung im Bundesvorstand spielte überdies eine Rolle, dass der gebürtige Aachener mit katholischen Wurzeln als der Verlässlichere gilt. „Armin hat klare Prinzipien und an die hält er sich“, sagt ein Pfarrer aus Aachen, der ihn lange kennt. Die bundesweite Wahrnehmbarkeit seiner Prinzipien ist allerdings noch verbesserungswürdig. Im Management der Corona-Pandemie zum Beispiel hatten selbst Parteifreunde Laschet zuletzt aufgefordert, klare Führung zu zeigen. Auch in der Außenpolitik ist fraglich, ob Laschets abwartender moderierender Stil gerade genau richtig wäre, oder in einer Welt der Orbans, Putins und Erdogans eher fehl am Platz.
In der Industrie- und Energiepolitik hätten die Grünen mit einem Kanzler Laschet jedenfalls zu kämpfen. Klimaschutz ja, aber nicht, wenn dabei Arbeitsplätze verloren gehen. Mit der FDP regiert er bereits in NRW, das würde auch im Bund gehen und wäre wohl seine favorisierte Option. Klare Kante zeigte er dagegen zuletzt gegen die AfD. Ob es dem eher liberalen Laschet gelingt, sie kleinzuhalten, daran haben viele CDU-Politiker vor allem im Osten ihre Zweifel. Auch das hätten viele dem markigen Söder eher zugetraut. Die erste Bewährungsprobe naht mit der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Juni.
Der Abgehängte
Die Union ist abgesackt, die Grünen trumpfen auf, und die Scholz-SPD? Bleibt in den ersten Blitzumfragen nach Klärung aller K-Fragen im Tal der Tränen: 16 Prozent im Insa-Meinungstrend, 13 Prozent bei Forsa. 13 Prozent! Dabei geht die Partei mit einem gestandenen Vizekanzler ins Rennen, und die Grünen mit einer absoluten Novizin in Sachen Exekutive. Das Scholz-Problem: Ihm haftet so gar kein Zauber des Aufbruchs an, er war irgendwie schon immer da. Auch als Kandidat, schließlich wurde er schon im vergangenen August gekürt, es hat nur kaum jemand gemerkt.Ob es der SPD doch noch hilft, dass die Union auf den kernigen Söder verzichtet? In der Parteizentrale ist man unschlüssig. Mit Attacken auf und Warnungen vor dem breitbeinigen Bayer, der in der Vergangenheit eine ziemlich rechte Politik ausgerufen hatte, wäre das eigene Lager womöglich etwas leichter zu mobilisieren gewesen. Andererseits wäre der populistisch begnadete Söder für den leisen Olaf Scholz wohl schwerer zu packen gewesen.
Olaf Scholz (SPD)
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Auch bei Laschet sieht man jede Menge Angriffsfläche. Sein Zickzack-Kurs in der Corona-Politik, seine Kehrtwenden als NRW-Ministerpräsident will man ihm unter die Nase reiben, seine Kanzlertauglichkeit in Abrede stellen. Allerdings ist auch Scholz zuletzt vom klaren Kurs abgebogen. Vor einem Monat torpedierte der Vizekanzler die von Kanzlerin Merkel geforderten Ausgangssperren, ließ seine Kritik („sehe das skeptisch“) vor den entscheidenden Beratungen gezielt nach Außen tragen. Nun gehört er zu den vehementesten Verfechtern des umstrittenen Anti-Corona-Werkzeugs.
Dass im Willy-Brandt-Haus nach der desaströsen Laschet-Nominierung nicht die Sektkorken knallten, liegt aber vor allem an Annalena Baerbock und ihrem mittigen Kurs. Parteichef Norbert Walter-Borjans macht daraus keinen Hehl: „Die von CDU und CSU Enttäuschten wenden sich eher einer als bürgerlich wahrgenommenen Opposition zu“, stellte er gerade in der „taz“ fest. Also der FDP und den Grünen und nicht der SPD.
Die Grünen bemühten sich zurzeit „erkennbar um frustrierte Merkel-Wähler“, so der SPD-Vorsitzende. Genau das will aber auch Olaf Scholz, der mit dem Spitznamen „Merkel in Rot“ kokettiert. Nur kommt Annalena Berbock als „Merkel in Grün“ einfach viel besser an.
Trotzdem will Scholz das Blatt noch wenden. Seine Leute hoffen, Baerbock ergehe es ein wenig wie Martin Schulz, dem so schnell verglühten Kometen. Und sie setzen darauf, dass vor der Wahl die Sorge um den Erhalt des Sozialstaates größer wird als die Angst vor der Erderwärmung.
Zur Initialzündung für die SPD-Offensive soll der Parteitag am 8. und 9. Mai werden: Das Wahlprogramm werde dann auf griffige Kernbotschaften verdichtet, heißt es. Wenn die dritte Corona-Welle dann endlich gebrochen sein wird, wäre es auch endlich legitim, zur Attacke auf den politischen Gegner zu blasen. Genug Zeit, sich darauf vorzubereiten, hat Scholz jedenfalls gehabt.