Die Integrated Food Security Phase Classification (IPC) meldet Hungersnot im Gazastreifen. Israel bestreitet dies vehement und nennt die Analyse voreingenommen.
„falsch und voreingenommen“Israel weist Berichte über Hungersnot in Gaza zurück

In Gaza herrscht laut IPC eine Hungersnot, doch Israel kritisiert die Analyse als voreingenommen und fehlerhaft.
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Laut einer Analyse der internationalen Initiative Integrated Food Security Phase Classification (IPC) herrscht in Teilen des Gazastreifens eine Hungersnot. Betroffen ist demnach der Regierungsbezirk der Stadt Gaza, wie aus den am Freitag veröffentlichten Daten hervorgeht. Die IPC-Experten gehen davon aus, dass sich die dramatische Versorgungslage bis Ende September auch auf Deir al-Balah und Khan Yunis ausweiten wird.
Die zuständige israelische Koordinierungsstelle für die besetzten Gebiete (Cogat) wies die Angaben umgehend als „falsch und voreingenommen“ zurück. Das zugrundeliegende Material basiere zu einem erheblichen Teil auf fragwürdigen Daten der Terrororganisation Hamas. Die gesamte IPC-Analyse weise überdies gravierende methodische Mängel auf. Die Anstrengungen Israels bei der humanitären Versorgung würden völlig ignoriert. Die Behauptung, es herrsche eine Hungersnot im Gazastreifen, insbesondere in der Stadt Gaza, sei strikt zurückzuweisen.
Die in der Studie erläuterte Methodologie arbeitet je nach Datenlage mit variierenden Schwellenwerten. Unabhängige und repräsentative Datenerhebungen konnten bislang nicht durchgeführt werden, da Israel diese nicht ermöglicht hat.
Das israelische Außenministerium warf den Verantwortlichen der Studie vor, eine „maßgeschneiderte“ Auswertung für die „Fake-Kampagne der Hamas“ veröffentlicht zu haben. Letztlich gehe es nur darum, Israel durch Lügen in den Schmutz zu ziehen. Die Versorgungslage im Gazastreifen stellte das Ministerium in scharfem Gegensatz zu Aussagen internationaler Hilfsorganisationen dar. In den vergangenen Wochen sei die Region so sehr mit Lebensmitteln „geflutet“ worden, dass die Preise auf dem Markt stark gefallen seien.
IPC zeichnet verheerendes Bild
Einer fünfstufigen Skala der IPC zufolge wird eine Hungersnot dann festgestellt, wenn mindestens 20 Prozent der Haushalte von extremer Nahrungsmittelknappheit betroffen sind und es infolgedessen zu Todesfällen kommt.
Dies ist den neuen Zahlen zufolge der Fall. Von der Hungersnot seien eine halbe Million Menschen betroffen. Weitere 54 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens (knapp 1,1 Millionen) befänden sich in einer Notsituation (Stufe 4), weitere knapp 400.000 Menschen in einer Krisensituation (Stufe 3). Die Ernährungsunsicherheit werde in den nächsten Wochen weiter zunehmen, so die Prognose.
Laut der IPC-Einschätzung ist davon auszugehen, dass bis Mitte 2026 etwa 132.000 Kinder im Alter von unter fünf Jahren vom Hungertod bedroht sind. Die Organisation forderte einen sofortigen Waffenstillstand in der Region.
UN hält IPC-Zahlen für plausibel
UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk machte Israel für die Lage verantwortlich. In einer Erklärung am Freitag sagte er: „Wir haben bereits Todesfälle aufgrund von Hunger und Unterernährung im gesamten Gazastreifen gesehen. Das israelische Militär hat wichtige zivile Infrastruktur und fast alle landwirtschaftlichen Flächen zerstört, das Fischen verboten und die Bevölkerung gewaltsam vertrieben - all das trägt zu dieser Hungersnot bei.“ Türk fügte hinzu: „Es ist ein Kriegsverbrechen, Hunger als Kriegsmittel einzusetzen.“ Die israelischen Behörden müssten unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um die Hungersnot im Gouvernement Gaza zu beenden und weitere Todesfälle zu verhindern.
Mehrere internationale Hilfsorganisationen äußerten sich ähnlich. Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef Deutschland, erklärte: „Die Feststellung der Hungersnot bestätigt unsere schlimmsten Befürchtungen. Schwer mangelernährte Kinder sterben vor den Augen ihrer Eltern, weil ihnen lebensrettende Hilfe verwehrt wird.“ Dies dürfe nicht weiter zugelassen werden. Schneider forderte unter anderem einen uneingeschränkten und sicheren Zugang ins Krisengebiet. (kna)