Interview mit FDP-Chef vor der WahlGrüne wollen ein „Bullerbü mit Lastenfahrrädern“

Christian Lindner (FDP)
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- Seine FDP liegt in Umfragen stabil bei 12 Prozent, eine Regierungsbeteiligung scheint zum Greifen nah.
- Doch für Christian Lindner ist eine mögliche Konstellation besonders unattraktiv, sagt der FDP-Chef im Interview mit Burkhard Ewert, Rena Lehmann und Stefanie Witte.
Herr Lindner, Sie haben sich darauf festgelegt, dass Armin Laschet Kanzler wird. Sind Sie sich da noch immer so sicher?
Ich halte es immer noch für am wahrscheinlichsten, dass die Union stärkste Kraft wird. CDU und CSU scheinen mir in den Umfragen unterbewertet zu sein. Außerdem hat die Union mehr Koalitionsoptionen zur Hand als die SPD.
Profitieren Sie und Ihre FDP bei den Fernseh-Triellen der Kanzlerkandidaten, vielleicht gerade, weil Sie nicht dabei sind?
So denke ich nicht. Ich wäre schon zufrieden, wenn wenigstens über die wichtigen Themen gesprochen würde. Man kann angesichts des enormen Defizits im Staatshaushalt nicht einfach so weiterwirtschaften wie bisher. Dass in den Triell-Runden niemand darauf hinweist, dass wir solide Finanzen und eine neue Wachstumspolitik brauchen, ist beklagenswert. Dass das auch ohne unsere Anwesenheit auf die FDP verweist, kann ich nicht bestreiten.
Gibt es noch andere Gründe, warum es die Liberalen in einer neuen Regierung bräuchte?
Von allen demokratischen Parteien hat die FDP die größte Sensibilität, wenn es um Freiheitsrechte geht. Wir waren die, die neben der Pandemiebekämpfung darauf hingewiesen haben, dass es auch darum geht, die Folgen der Pandemie für Bildung und Arbeitsplätze nicht zu vergessen. Wenn die Bedeutung der FDP, die den Wert der Freiheit ins Zentrum stellt, aktueller denn je ist, ist es vielleicht der Grund, dass wir vor der Bundestagswahl so eine erfreulich gute Ausgangslage haben.

Christian Lindner wehrt sich gegen die von anderen Parteien geplanten Erhöhungen.
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Haben Sie nicht den Eindruck, dass eine Mehrheit diese Freiheit gar nicht möchte, sondern den Schutz der Gesundheit viel höher gewichtet?
Das wäre doch ein umso gewichtigeres Argument für die FDP. Vielleicht im Sinne von Hölderlin: Wo die Not wächst, wächst auch das Rettende. Wir haben immer daran erinnert, dass der Gesundheitsschutz und die Freiheitseinschränkungen mit anderen Rechtsgütern abgewogen werden müssen.
Könnte auch eine Ampel mit SPD und Grünen ein fortschrittliches Bündnis sein?
SPD und Grüne haben ja beide enorm viel Bürokratismus, Umverteilung und enorme Staatsausgaben im Programm. Beide wollen die Steuern erhöhen und die Schuldenbremse aufweichen. Die Grünen haben ein ganz kleinteiliges Programm beim Klimaschutz vorgelegt, das unsere Industrienation zu einem Bullerbü mit Lastenfahrrädern machen will. Das Empfinden wir nicht als attraktiv.
Warum haben Sie bei Steuererhöhungen eine rote Linie gezogen? Haben Sie sich damit nicht Ihres Spielraums für Koalitionsverhandlungen beraubt?
Wir sind schon jetzt ein Höchststeuerland. Jede weitere Erhöhung der steuerlichen Belastung hätte Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Wohlstand. Mit höheren Steuern reduzieren sich die Möglichkeiten, privat zu investieren. Wir brauchen aber private Investitionen zum Beispiel in saubere Technologie. Mit höheren Steuern nehmen wir unseren Familienbetrieben die Möglichkeit, die während der Pandemie eingesetzten Reserven für die nächste Krise wieder aufzubauen. Wir erschweren auch, dass Menschen sich private Lebensträume erfüllen können wie die eigenen vier Wände. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo nicht Bürger und Betriebe sich einschränken müssen, sondern die Zeit, wo der Staat seine Aufgaben effizienter gestalten muss.
Aber nochmal: Dann sind Gespräche mit SPD und Grünen für Sie ein Ding der Unmöglichkeit?
Wir können darüber sprechen, ob wir mit den Vermögen des Staates anders umgehen. Wir haben einen Milliardenanteil an der Deutschen Telekom, den ich gerne eintauschen würde gegen einen Ausbau des Glasfasernetzes. Wer von der Vermögensteuer träumt, wird aufwachen mit geschwächten Familienbetrieben, die keine neuen Jobs schaffen können, die wir aber brauchen. Mit der FDP wird es keine Steuererhöhung im Höchststeuerland Deutschland geben. Die Vermögensteuer ist doch nur ein Trick. Deren Aufkommen kann nie so hoch sein, dass man irgendetwas Nennenswertes damit finanzieren könnte.
Sie haben sich schon als Finanzminister ins Spiel gebracht. Was könnten Sie besser als Robert Habeck, der sich ebenfalls für das Amt warmläuft?
Herr Habeck will Steuern erhöhen. Wir sagen, der Staat muss mit seinen Steuern auskommen. Wir müssen entlasten bei den Familien mit kleinen und mittleren Einkommen und bei den Familienbetrieben. Herr Habeck will an der Schuldenbremse herumfummeln, wir glauben, dass wir sie gerade mit Blick auf Europa und auf die Gerechtigkeit für kommende Generation dringend beachten sollten. Herr Habeck setzt auf Umverteilung, wir setzen auf Bildungsinvestitionen. Er will subventionieren, wir wollen, dass sich private Investitionen lohnen. Das sind zwei unterschiedliche Konzepte.
Gehört die Außenpolitik eigentlich nicht mehr zum Markenkern der FDP? Man denkt am Hans-Dietrich Genscher, Guido Westerwelle…
Die Außenpolitik bleibt eine Domäne der FDP. Wir haben klare Vorstellungen, etwa weniger samtpfötig gegenüber China aufzutreten als die CDU-geführte Bundesregierung das getan hat. Wir wollen das Verhältnis zu den USA wieder verbessern und den latent grassierenden Anti-Amerikanismus zurückweisen. Wir glauben auch, dass wir die Europäische Union stärken müssen, indem wir, dort wo es richtig ist, mehr gemeinsam tun, uns zugleich aber fernhalten davon, mehr zu vergemeinschaften, wo wir uns nur schwächen.
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Sprechen wir über Corona-Politik. Manche Länder verzichten inzwischen auf fast alle Maßnahmen für Geimpfte und Genesene, das sogenannte 2G. Ist das nicht eigentlich liberaler als die 3G-Lösung?
Freiheitseinschränkungen sind nur verhältnismäßig, wenn sie wirklich erforderlich sind. Von Ungeimpften, die negativ getestet sind, geht in einer Gesellschaft, die einen steigenden Immunisierungsgrad hat, kein unverantwortbares Risiko aus. Deshalb sollte es auch für negativ Getestete weiterhin die Möglichkeit geben, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
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Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock hat eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen nicht ausgeschlossen. Warum kann man von einem Krankenpfleger oder einer Lehrerin nicht erwarten, dass er bzw. sie sich impfen lässt?
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Nein. Die Maske im öffentlichen Nahverkehr ist die einzige Maßnahme, die auch für Geimpfte noch vertretbar ist, weil man es niemandem zumuten kann, neben den Fahrscheinen auch noch den Impfstatus der Fahrgäste zu kontrollieren. Darüber hinaus gehende Einschränkungen für Geimpfte halte ich nicht mehr für erforderlich. Wir brauchen angesichts der ungeimpften Kinder noch gewisse Vorsichtsmaßnahmen, aber irgendwann muss die Verantwortung für die eigene Gesundheit wieder an den einzelnen übergehen. Wir brauchen wieder die Normalität.