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Annalena Baerbock im Interview„Gegenseitiger Respekt ist existenziell“

4 min

Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock 

  1. ​Was hält die Grünen-Chefin Annalena Baerbock von scharfen Attacken ihrer Wahlkämpfer auf andere?
  2. Welche Pläne hat sie für die Schulen? Die Grünen-Kanzlerkandidatin im Interview mit Burkhard Ewert und Dieter Schulz.

Frau Baerbock, der Wahlkampf fällt dadurch auf, dass Verfehlungen der Spitzenkandidaten breit ausgeschlachtet werden. Finden Sie das richtig so?

Gegenseitiger Respekt ist in einer Gesellschaft existenziell. Das bedeutet, so, wie Menschen im normalen Leben miteinander umgehen, sollte auch Politik miteinander umgehen: Hart in der Sache streiten – aber der Respekt vor der anderen Meinung und anderen Menschen ist die Grundlage für einen demokratischen Streit.

Mit anderen Worten, Sie rufen zur Mäßigung auf?

Nicht erst seit diesem Bundestagswahlkampf spüren wir eine Polarisierung im Netz. Hier greifen Hass und Hetze um sich. Davon betroffen sind nicht nur wir Profipolitikerinnen und -politiker, sondern auch viele Menschen, die sich kommunalpolitisch oder auf andere Weise ehrenamtlich engagieren. Das gefährdet Meinungsvielfalt und Miteinander. Deshalb müssen Demokraten in Situationen, in denen Menschen „niedergemacht“ werden, zusammenstehen. Das ist in den letzten Jahren nicht immer geschehen.

Erstes „Triell“ am Sonntag

Das TV-Duell zweier Kanzlerkandidaten gehört in Deutschland zu den wichtigsten Momenten im Wahlkampf. Doch dieses Mal wird vieles anders sein, als das, was die Deutschen gewohnt waren. Das Duell ist in diesem Wahlkampf kein Duell mehr. Gleich drei Mal werden vor der Bundestagswahl am 26. September die drei Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU), Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD) in Redekämpfen aufeinandertreffen. Den Auftakt zeigen RTL und ntv am Sonntag ab 20.10 Uhr live im TV. (dpa)

Wenn Sie sich für mehr Respekt, für mehr Wertschätzung aussprechen: Sagen Sie doch mal etwas Nettes über Armin Laschet.

Ich mag seine Bodenständigkeit.

Letzter Aufreger war, dass er erst in einem Imbiss die Maske angelegt hat, nicht davor…

… ach, es ist sicher vielen, mir auch, schon passiert, dass man erst beim Betreten eines Geschäfts bemerkt: Oh, die Maske hängt noch an meinem Arm.

Und Olaf Scholz, was schätzen Sie an ihm?

Seine Ruhe nach außen und nach innen.

Wenn Sie einen Tag lang viel einstecken mussten, wenn die Berichterstattung kritisch wird: Wer richtet Sie dann auf?

Meine Partei. Das macht uns in diesem Wahlkampf ja so stark, dass niemand allein kämpfen muss. Robert Habeck und ich führen seit dreieinhalb Jahren die Grünen gemeinsam, wir haben starke Ministerinnen und Minister in den Landesregierungen und gerade unser 120.000. Mitglied begrüßt. Das gibt Rückenwind. Eine Familie zu haben, dass man immer weiß, wo sein Herz ist, das stärkt natürlich auch.

Welche Erneuerung wollen Sie familienpolitisch setzen?

Ich will erreichen, dass in unserem reichen Industrieland Kinderarmut endlich ein Ende hat. Dass jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut lebt, bedeutet, dass es nicht für jedes Kind selbstverständlich ist, eine Schultüte, einen Ranzen oder Sportzeug zu haben. Dass Kinder erleben, ich gehöre nicht dazu, ist für dieses Land unwürdig. Daher ist es mein Anliegen, Kinder und Familie in den Mittelpunkt einer künftigen Bundesregierung zu stellen und eine Kindergrundsicherung einzuführen, die Kinder aus dem Hartz-IV-System holt. Da gehören sie nicht hin. Kinder sollen unbeschwert in die Schule gehen, toben oder im Sportverein sein können.

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Dazu ist es wichtig, in starke Kitas und Schulen zu investieren. Gerade Corona hat gezeigt, wenn dies nicht funktioniert, geht das zu Lasten des Familienwohls und insbesondere der Frauen, die in die Bresche springen müssen.

Gibt es einen konkreten Punkt, von dem Sie für dieses Feld sagen, drei Monate nach Antritt einer neuen Bundesregierung muss der umgesetzt sein?

Ich trete an, damit in der nächsten Bundesregierung Bildungspolitik eine starke Rolle spielt. Es darf sich nicht wiederholen, dass sich – wie jetzt in der Corona-Krise – eine Bundesregierung hinstellt und sagt, wie schade, dass die Schulen geschlossen sind. Wir müssen uns doch vergegenwärtigen, was bedeutet das für eine Sechsjährige, wenn sie wochenlang nicht zur Schule gehen kann. Was bedeutet das für eine alleinerziehende Mutter, wenn sie drei Kinder im Homeschooling unterrichten muss. Die Verantwortung für starke Kitas und Schulen bedeutet dann für eine Bundesregierung auch, vermehrter und gezielter in die Finanzierung einzusteigen und gemeinsam mit den Ländern einen kooperierenden Bildungsföderalismus hinzukriegen. Anstatt wie bisher beispielsweise beim Digitalpakt immer nur einzelne Fördertöpfe aufzulegen, die dann nicht genügend abgerufen werden.

Die SPD wird immer stärker, damit rückt Rot-Grün-Rot unerwartet in den Bereich des Möglichen. Ist das für Sie auch möglich, würden Sie mit den Linken regieren?

Ich trete für eine echte Erneuerung an - das betrifft den Familien-, den Kinder- und den Jugendbereich. Das betrifft aber auch den Klimaschutz. Hier sehen wir keinen großen Unterschied zwischen CDU und SPD, auch Olaf Scholz hält am späten Kohleausstieg fest, so würde Deutschland sein Klimaziel verfehlen. Im Sozialen sind die Schnittmengen zwischen uns und der SPD größer. Ich kämpfe, dass wir die Koalition anführen und es eine Klimaregierung statt eines „Weiter so“ wird. Und wenn es eines dritten Partners bedarf, muss man schauen.