Im Podcast „Freiheit Deluxe“ spricht die Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker über den Umgang mit Finanzbetrug und warum sie ihre Überzeugungen nicht aufgegeben hat.
Cum-Ex-Staatsanwältin„Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“

Ex-Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker ist heute Co-Geschäftsführerin der Bürgerbewegung Finanzwende e.V. Ihr neues Buch heißt: „Cum/Ex, Milliarden und Moral“
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„Wahnsinnig aufwendig, wahnsinnig langwierig“ – so beschreibt die ehemalige Kölner Oberstaatsanwältin Brorhilker ihre Arbeit im Zuge der Cum-Ex-Ermittlungen. Im Frühjahr 2024 verließ sie die Staatsanwaltschaft. Gegenüber dem WDR sagte sie damals: „Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird.“ Dies lasse sich in einem Satz zusammenfassen: „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“
Im Interview mit „Freiheit Deluxe“-Host Jagoda Marinić erzählt sie jetzt, dass der Beginn der Cum-Ex-Ermittlungen die Finanzverwaltung auf eine ungeahnte Probe gestellt habe. „Das war etwas, was für die Verwaltung völlig unbekannt war. Die Masche war unbekannt, aber auch die ganze Art und Weise, wie ich da ran gegangen bin, fiel aus dem Rahmen.“ Im Normalbetrieb mit den Behörden sei die Arbeit nicht zu leisten gewesen, es habe einer anderen Methodik und Organisation bedurft.
Brorhilker: neue Methode bei Cum-Ex-Ermittlungen
„Unsere Fälle waren so riesig und so komplex, und dann auch noch völlig ineinander verwoben“. Bei den Ermittlungen zu Cum-Ex standen zuletzt 1700 Beschuldigte im Fokus, darunter 40 Banken. „Man muss sich das so vorstellen, wie eine Bande Jugendlicher, die Wohnungseinbrüche begehen. Mal steht einer Schmiere, mal besorgt einer die Tatwaffe, mal vertickt einer das Zeug. In diesen unterschiedlichen Rollen waren auch die Banken unterwegs.“ Innerhalb der Banken hätte die Belegschaft auch hin und her gewechselt.
Sie habe sich als Gesamtleitung darum gekümmert, dass alle ihre Ermittler auf Stand gehalten wurden – etwas, was in der Wirtschaft eine normale Methode des Projektmanagements sei, aber bei Behörden vollkommen unüblich.
Brorhilker: Ineffektive Behörden sind ein Problem für die Demokratie
„Verwaltungen werden nicht daran gemessen, wie effektiv sie sind“, so die 52-Jährige. Es gäbe keine Instanz, die überprüfe, ob genügend Ressourcen vorhanden sind und wie die Ergebnisse ausfallen. Dadurch könnten es sich Behörden beispielsweise leisten, dem technischen Fortschritt nicht zu folgen. Wir hätten zudem viele, veraltete Vorschriften, die nicht berücksichtigten, dass „zum Beispiel Großunternehmen und Banken gar nicht mal Papierunterlagen haben, also noch in sehr geringen Maße, sondern digitale Daten“. Zudem kämpften viele Behörden mit Personalmangel.
Im Vergleich zu den Gegnern sei der Staat da unterlegen. „Das sind ja in der Regel entweder große Unternehmen oder Privatleute, die finanziell sehr gut ausgestattet sind, die können sich dann teure Anwaltsteams leisten, mit viel größeren Ressourcen, teilweise noch mit PR-Managern, die dann sogar Medienkampagnen führen können.“ Wenn aber das Ziel sei, Wirtschaftskriminalität effektiv zu bekämpfen, müsse der Staat Behörden schaffen, die über die entsprechenden Ressourcen verfügen und sich in der Folge auch mit großen Gegnern anlegen können.
„Wir haben einen Rechtsstaat. Und wir wollen ja auch, dass der Staat das Recht gleichmäßig durchsetzt.“ Dies sei ein zentraler Grundsatz unserer Demokratie und im Grundgesetz verankert. Wenn die Verwaltungsstrukturen nur kleine Fische fangen, aber sich scheue, sich mit großen Gegnern anzulegen, dann könne das Recht nicht gleichmäßig durchgesetzt werden. „Das ist ein großes Problem für einen Rechtsstaat und eine Demokratie.“
Brorhilker: Staat kann jetzt zeigen, dass die Demokratie wehrhaft ist
„Gerade jetzt, wo radikale Kräfte die Demokratie sehr kritisch sehen – weil sie sagen, der Staat funktioniere einfach nicht – finde ich es total wichtig zu zeigen: Doch, der Staat kann, wenn er will.“ Es sei der Staatsanwaltschaft schließlich auch gelungen, die Cum-Ex-Ermittlungen zunächst mal erfolgreich zu führen und Täter vor Gericht zu bringen. Der Staat könne zeigen, dass er wehrhaft sei und ebenso die Demokratie. „Aber da muss man sich ein bisschen für anstrengen, das ist kein Selbstläufer“, so die Ex-Staatsanwältin.
Jagoda Marinić fragt Anne Brohilker, was der Staat denn genau genommen nicht könne. Diese antwortet: „Gerade im Finanzbereich haben wir viele Schutzschriften, also da wirkt zum Beispiel das Informationsfreiheitsgesetz nur ganz wenig.“ Es gebe viele Bereichsausnahmen, sodass man beim Staat nicht so nachfragen könne wie in anderen Bereichen. In solchen „abgeschotteten, intransparenten Gebilden“ – die sie auch in ihrem neuen Buch „Cum/Ex, Milliarden und Moral“ beschreibe – könnten sich autoritäre Charaktere und Strukturen ungehemmt entfalten.
„Wie kann sich ein Finanzminister hinstellen und schulterzuckend sagen: ‚Okay, 100 Milliarden gehen uns vielleicht jedes Jahr durch Steuerhinterziehung verloren.‘ Ja, dann würde ich denken, ja, tu was dagegen, ne? Du bist doch derjenige, der das ändern kann, oder?“ Die Gesellschaft hätte oft mehr Verständnis für Steuerhinterzieher als für Sozialhilfebetrüger – obwohl der Schaden durch die Hinterziehung sehr viel größer sei. Die Lösung sieht sie beispielsweise in mehr Transparenz und Kontrollmechanismen, ob Verwaltungen ihre Arbeit erledigen und Ergebnisse erzielten.
Staat muss Steuergelder schützen
Anne Brorhilker erklärt: „Wir Bürger, die wir uns ehrlich verhalten, wir haben Anspruch darauf, dass der Staat diese Steuergelder schützt und dass der sich auch mit Gegnern anlegt, wenn es mal schwierig wird.“ Jagoda Marinić fragt Anne Brohilker, ob das für sie ein Freiheitskampf sei. „Ja, absolut.“ Die Gesellschaft würde gerade zu spüren bekommen, was es bedeute, wenn dem Staat das Geld ausgehe. „Wir merken es in unserem täglichen Leben, was passiert, wenn uns das Geld ausgeht und dass wir da eine ganze Branche haben, die sich an unseren Steuergeldern dumm und dusselig verdient. [...] Deswegen finde ich auch, es ist schon Freiheitskampf.“
Ich glaube immer noch, dass man das System in Schwung bringen kann.
Jagoda Marinić fragt, warum die ehemalige Staatsanwältin ihre Arbeit aufgegeben habe. Brorhilker erklärt, dass es damals nicht ihre Aufgabe gewesen sei, veraltete Strukturen zu ändern, sondern die Täter vor Gericht zu bringen. „Jetzt bin ich, wie gesagt, bei der Bürgerbewegung ‚Finanzwende e.V.‘ und jetzt kann ich in dieser neuen Rolle Missstände und Probleme offen ansprechen, Lösungsvorschläge machen und Debatten anstoßen.“
Host Marinić fragt die ehemalige Staatsanwältin, was sie den Menschen noch mitgeben möchte. Brohilker erklärt: „Sich nicht einschüchtern zu lassen. Debatten nicht den vermeintlichen Experten zu überlassen, sondern sich einzumischen und sich auch selbst eine Meinung zuzutrauen, auch wenn einem das Thema fremd ist. Wir sind viel mehr als die Finanzlobby. Und dann könnten wir auch schaffen, dass wir und unsere Interessen auch in den Blick geraten.“ Sie ist sich sicher: „Ich glaube immer noch, dass man das System in Schwung bringen kann“.
