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„Märchen der faulen Deutschen“Linnemann in der Kritik – Empörung nach Aussage über Rentner

Lesezeit 4 Minuten
ARCHIV - 28.04.2025, Berlin: Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär, spricht beim Bundesausschuss der CDU. (zu dpa: «Linnemann: «Wollen nicht die wöchentliche Arbeitszeit ausweiten»») Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär, spricht beim Bundesausschuss der CDU. Für seine Aussage, Rentner sollten mehr arbeiten, steht er in der Kritik.

Die CDU fordert mehr Arbeitsleistung – sogar von den Ruheständlern. Eine Debatte, die alte Fronten neu belebt und Ängste schürt.

Die neue Bundesregierung ruft die Bevölkerung zu mehr Einsatz auf. Für den Wohlstand des Landes müssten die Deutschen künftig mehr arbeiten, fordert Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). In der ARD-Talksendung von Caren Miosga legte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann am Sonntagabend nach – und forderte mehr Engagement nicht nur von Erwerbstätigen, sondern auch von den Rentnerinnen und Rentnern im Land.

Das sorgte für Empörung. Schließlich beginnt die Zeit des Ruhestandes eben nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben. Linnemanns Vorstoß hat auch Sandra Maischberger am Dienstagabend im Ersten aufgegriffen. Thorsten Frei (CDU) stritt sich darüber mit Ricarda Lang (Grüne).

Arbeiten die Deutschen genug? Die Debatte reißt nicht ab

Ein zentrales Vorhaben der Union: Der klassische Acht-Stunden-Tag soll fallen, stattdessen plant die Regierung, eine Wochenhöchstarbeitszeit einzuführen. Ab 1. Januar 2026 sollen zudem Menschen, die über die Regelaltersgrenze hinaus weiterarbeiten, steuerlich profitieren. Bis zu 2.000 Euro monatlich dürfen sie bei der sogenannten Aktivrente steuerfrei hinzuverdienen.

23.01.2023, Berlin: Anja Piel, Mitglied des geschäftsführenden Bundesvorstands des Deutschen Gewerkschaftsbundes, nimmt an der Jahrespressekonferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu den politischen Schwerpunkten des DGB für das Jahr 2023 teil. Foto: Christoph Soeder/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Anja Piel vom Deutschen Gewerkschaftsbund kritisiert die CDU für das „Märchen vom faulen Deutschen“. (Archivbild)

Deutlicher Widerspruch kommt vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB): „Linnemann und Teile der Union befeuern weiter die schräge Arbeitszeitdebatte mit falschen Vorwürfen“, kritisiert Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied. „Beschäftigten – wahlweise jüngeren oder älteren – weiter die Schuld an der Wirtschaftsflaute in die Schuhe zu schieben, ist falsch und fern der Realität der arbeitenden Menschen.“ Sie nennt es das „Märchen der faulen Deutschen“.

Arbeiten trotz Rente: DGB und VdK sehen das Problem an anderer Stelle

Gesundheitliche Probleme, schlechte Arbeitsbedingungen oder auch den Unwillen, ältere Menschen einzustellen, sieht Piel als Hemmnisse für die Aktivrente. Ihr Gegenvorschlag lautet: „Linnemann sollte stattdessen lieber Arbeitgeber motivieren, mit guten Arbeitsbedingungen dafür zu sorgen, dass mehr Menschen überhaupt bis 65 arbeiten können und nicht vorher krank oder arbeitslos werden – und für Frauen Wege aus unfreiwilliger Teilzeit schaffen.“

ARCHIV - 17.05.2023, Berlin: Verena Bentele, Präsidentin vom VdK, spricht beim 19. Ordentlichen Bundesverbandstag des Sozialverband VdK. Der VdK präsentiert die bisher umfangreichste Studie zur häuslichen Pflege und übergibt Bundesgesundheitsminister Lauterbach die Ergebnisse. (zu dpa: «Sozialverband VdK unterstützt Rentenvorstoß von Bas») Foto: Christophe Gateau/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Verena Bentele, Präsidentin vom VdK, findet, dass sich alle Rentnerinnen und Rentner ihren Ruhestand wohl und hart verdient hätten. (Archivbild=

Ihre Leistungsbereitschaft sei zwar da, sagte Linnemann über die Rentner, aber sie hätten das Gefühl, dass sich das Arbeiten aufgrund von Abgaben nicht lohne. Die Einschätzung teilt der Sozialverband VdK nicht. „Bei dieser Diskussion möchte ich daran erinnern, dass sehr viele Menschen aus gesundheitlichen Gründen, wegen Arbeitslosigkeit oder der Pflege von Angehörigen es nicht schaffen, überhaupt bis zur regulären Rentenaltersgrenze zu arbeiten“, sagt VdK-Präsidentin Verena Bentele.

Menschen haben sich „Ruhestand wohl und hart verdient“

Einer Umfrage im Auftrag des VdK 2024 zufolge könne sich fast jeder Zweite über 50 Jahre vorstellen, neben der Rente zu arbeiten. Aber ein Drittel gebe als Grund an, dass das Geld nicht reiche. „Wenn diese Menschen aufgrund fehlender finanzieller Mittel oder gesellschaftlichen Drucks zu Arbeit im Seniorenalter gedrängt werden, ist dies ein schlechter Befund über den Zustand unserer Gesellschaft“, findet Bentele.

Appelle in Talkshows sieht die VdK-Präsidentin als wenig zielführend an. Arbeitgeber sollten stärker in altersgerechte Arbeitsplätze, flexible Arbeitszeitmodelle sowie gezielte Qualifizierung und Weiterbildung investieren. Gleichzeitig betont Bentele, dass sich alle Rentnerinnen und Rentner ihren Ruhestand wohl und hart verdient hätten. Ferner habe die Zahl der arbeitenden Menschen im Alter zwischen 65 und 69 Jahren 2023 bei 21 Prozent gelegen – und damit über dem EU-Durchschnitt von 15 Prozent.

Die Linke warnt vor „US-amerikanischen Verhältnissen“

Scharfe Töne kommen von der Linken. „Der Vorwurf der angeblich faulen Rentner in Deutschland ist an Zynismus nicht zu überbieten“, polterte Sören Pellmann, Co-Vorsitzender der Partei im Bundestag. Deutschland nähere sich „drastisch US-amerikanischen Verhältnissen an, wo hochbetagte Menschen die Tüten im Supermarkt packen müssen“, heißt es in seinem Statement auf der Plattform X.

Aus der Grünen-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg meldet sich Michael Joukov zu Wort. Anstelle des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck habe die CDU nun einen neuen Schuldigen identifiziert: „‚faule Rentner‘, die zu wenig arbeiten, die der sofortigen Errichtung des Paradieses“ entgegenstünden.

Die Gewerkschaft Verdi reagierte auf Facebook mit Erstaunen und betonte den Aspekt, dass nach einem Leben in Arbeit eben der – verdiente – Ruhestand folge. „Statt Rentner*innen zu drängen, Lücken im System zu stopfen, braucht es Respekt, gerechte Löhne und eine starke Rente!“, formulierte die Gewerkschaft ihre Forderungen.

Einen weiteren Aspekt führt der DGB an: Die Aktivrente koste den Staat Milliarden und vermindere Steuereinnahmen und Einnahmen der Sozialversicherung. „Die Steuervorteile kommen außerdem besonders denen mit höherem Einkommen zugute, also jenen, die ohnehin weiterarbeiten können und wollen, als teuer bezahlte Mitnahmeeffekte“, so Anja Piel.

Auch der bekannte Cartoonist Ralph Ruthe greift das Thema auf. In einer Zeichnung lässt er den Sensenmann einen alten Mann aus dem Grab ziehen – mit den Worten: „Sorry, ich noch mal. Die CDU sagt, Sie müssen mehr arbeiten.“