Wie sieht der Ort aus, den Friedrich Merz ganz schnell wieder verlassen wollte? Wer sich etwas länger als ein paar Stunden in der Großstadt im Norden Brasiliens aufhält, lernt ihre vielen Facetten kennen.
Nach Merz-EklatSo sieht es in Belém wirklich aus – ein Ortsbesuch

Blick in ein Armenviertel in Belem
Copyright: Tobias Käufer
Die Sprecher der Bewohner der „Vila da Barca“ haben nur eine Bitte: „Fotografiert das nicht, sonst werden die Menschen wieder stigmatisiert.“ Gemeint ist das Armenviertel in Belém, das direkt am Flussufer liegt. Plastikflaschen und Müll bilden die Kulisse, es stinkt nach verfaultem Fleisch. Armut, sagen sie hier, ist nicht schön. Und nachdem die brasilianische Regierung von Linkspopulist Luiz Inacio Lula da Silva entschieden hat, dass Belém der Austragungsort der „COP30“ wird, spüren sie ganz besonders hier, was das bedeutet.
Empörung über Merz´ Aussage, aber auch Zustimmung
Seit ein paar Tagen ist „Belém“ wieder in aller Munde. Schuld daran ist auch eine überhebliche Bemerkung von Bundeskanzler Friedrich Merz, die in Brasilien überhaupt nicht gut ankam. „Ich habe einige Journalisten gefragt, die mit mir in Brasilien letzte Woche waren. Wer von Euch würde denn gerne hierbleiben? Da hat keiner die Hand gehoben. Die waren alle froh, dass wir – vor allem aus dem Ort, wo wir da waren – wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind.“

Kelvyn Gomes, einer der Sprecher der Bewohner von „Vila da Barca“.
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Gefallen sind diese Worte auf einem Handelskongress in Deutschland, 10.000 Flugkilometer weiter südwestlich sorgen sie für Empörung und Wut, bisweilen aber auch für Zustimmung. Brasiliens Präsident Lula konterte auf seine Art. Merz „hätte in eine Bar in Pará gehen, hätte tanzen, hätte die Gastronomie von Pará probieren sollen, denn dann hätte er erkannt, dass Berlin nicht einmal zehn Prozent der Qualität bietet, die der Bundesstaat Pará und die Stadt Belém bieten“. Jubel, Beifall, Gejohle unter den Zuhörern.
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Ein Sprecher der deutschen Regierung bedauerte auf Anfrage der brasilianischen Zeitung „Folha de Sao Paulo“, dass der Bundeskanzler Merz keine Zeit gehabt habe, „bis an die Grenzen des Amazonas zu reisen, um die natürliche Schönheit der Region besser kennenzulernen“. Doch da war das Kind schon in den Brunnen gefallen.
Nun aber ist das deutsche Urteil über Belém in der Welt. In der „Vila da Barca“ haben sie ihr eigenes Bild von Belém und der brasilianischen Regierung. Kelvyn Gomes ist einer der Sprecher der Bewohner von „Vila da Barca“ und auch sie haben eine Botschaft an den Rest der Welt, vor allem aber an die eigene Regierung.
Einwohner in Belém beklagen Ausbeutung
Sie sprechen von „Umwelt-Rassismus“, der die ärmsten der Armen treffe. Auch wegen der COP30. Wegen der Weltklimakonferenz wurden Mega-Projekte geplant und durchgezogen. Häuser in den Armenvierteln einfach abgerissen, Menschen um ihre Heimat gebracht.
„Umweltrassismus ist in unserem speziellen Fall genau das, was der Schöpfer dieses Begriffs in den Vereinigten Staaten beobachtet und erlebt hat“, sagt Kelvyn Gomes im Gespräch mit unserer Redaktion. Das Projekt, das dem reichen Viertel zugutekommt, das den reicheren Menschen zugutekommt, schiebt den ganzen Müll und alle Lasten auf die ärmeren Gebiete ab, so wie es in den 70er und 80er Jahren in den USA geschah und wie es 2025 in Belém geschieht.“
Der Uferbereich sei revitalisiert worden, ein linearer Park von mehr als 320 Millionen Reais (ungefähr 50 Millionen Euro). „Aber wohin haben sie den Müll gebracht, wo haben sie den Abfall abgeladen? Nach Vila da Barca, einem Gebiet, das historisch gesehen sowieso schon prekär ist“, sagt Kelvyn Gomes.
Er findet, es sei beeindruckend, wie das Kapital die Ausbeutung auf die gleiche Weise reproduzieren könne: „Es verlagert nur die Umgebung, es verlagert nur Raum und Zeit, aber die Ausbeutung bleibt dieselbe. Wenn mich also jemand fragt, wie man Umwelt-Rassismus definiert, wie es andere Leute schon gefragt haben, dann sage ich in unserem Fall geschieht es genauso.“ „Wer sind die Menschen, die hier leben? Es sind schwarze, arme Menschen, Nachfahren von Quilombolas, Indigene, Menschen, die aus anderen Städten und von anderen Inseln rund um die Stadt hierhergekommen sind“, sagt Kelvyn Gomes. „Quilombolas“ sind die Nachfahren der entlaufenen afrikanischstämmigen Sklaven in Brasilien, die bis heute um ihre Rechte und um Anerkennung kämpfen müssen.
Merz in Belém als Nazi tituliert
Die Probleme der Menschen in Belém sind allgegenwärtig. Nur 2,4 Prozent der Abwässer von Belém werden geklärt und nur 20 Prozent der Bevölkerung sind laut Daten des Instituts Trata Brasil an die Kanalisation angeschlossen. Der größte Teil wird in Kanäle, Flüsse und Bäche geleitet. Das stinkt und besonders europäische Besucher wenden sich ab. Vielleicht hat der deutsche Bundeskanzler das gemeint. Der Bürgermeister von Rio de Janeiro, Eduardo Paes, hat Merz daraufhin einen Nazi und ein vagabundierendes Kind Hitlers genannt. Ein klein wenig erinnert der Merz-Vergleich an die „Shitholecountry-Aussage“ von US-Präsident Donald Trump, der ärmere Länder in diese Kategorie steckte.
Auch die brasilianische Regierung weiß, dass es vielleicht ein Fehler war, die „COP30“ nach Belém zu verlegen, weil die Stadt eben einfach nicht die Infrastruktur besitzt, um eine solche Großveranstaltung zu beherbergen. Dies zu verändern und zu verbessern, dürfte ein Erbe der Weltklimakonferenz sein.
Ob dann Friedrich Merz noch einmal wiederkommt, um sich mal ein anderes Bild vor Ort zu machen, bleibt abzuwarten. Spannend wäre das allemal, wenn sich ein deutscher Bundeskanzler mit den vergessenen Menschen von „Vila da Barca“ unterhalten würde.

