Der Kanzler wird in der Generaldebatte scharf kritisiert. Die AfD sieht die Zeit für eine Zusammenarbeit gekommen.
Generaldebatte im BundestagWeidel wirft Merz Versagen vor – und fordert ein Ende der „Brandmauer“

Kanzler Merz räumt in der Generaldebatte des Bundestags ein, dass die Erwartungen an das Reformtempo derzeit höher seien, als sie erfüllt werden könnten.
Copyright: Michael Kappeler/dpa
Zu Beginn der Generaldebatte im Bundestag hat AfD-Fraktionschefin Alice Weidel der Regierung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nach gut sieben Monaten Amtszeit ein vollständiges Scheitern vorgeworfen. Der Entwurf für den Bundeshaushalt 2026 sei „nicht verfassungskonform“, sagte Weidel am Mittwoch zum Auftakt im Plenum des Bundestags. Die schwarz-rote Koalition biete nur noch „Narrentheater“.
Diese Große Koalition erinnere im Endstadium „immer stärker an die Brücke der Titanic“. „Deutschland hat Schlagseite“ und laufe mit Wasser voll, sagte Weidel.
Weidel vergleicht Koalition in Generaldebatte mit „Titanic“
Scharfe Kritik übte die 46-Jährige an den von der Koalition neben dem regulären Bundeshaushalt eingerichteten Sondervermögen. „Mit dem Finanzstaatsstreich – euphemistisch Sondervermögen genannt - haben Sie Deutschland den größten Schuldenberg in der Nachkriegsgeschichte aufgebürdet“, sagte die AfD-Chefin an den Kanzler gewandt. „Weil Sie weiter mit dem Geld, das ihnen nicht gehört, um sich werfen, als gäbe es kein Morgen, steckt Deutschland auch in einer handfesten Finanzstaatsschuldenkrise.“

Alice Weidel, Fraktions- und Bundesvorsitzende der AfD, spricht in der Generaldebatte im Bundestag zum Haushalt.
Copyright: Michael Kappeler/dpa
Weidel forderte die Union auf, die „Brandmauer“ zur AfD einzureißen und gemeinsam Politik zu machen. Die Abgeordneten der Union müssten entscheiden, „ob sie sich weiter am Gängelband der linken und grünen Verlierer führen lassen wollen“, betonte Weidel. An die SPD gerichtet sagte sie in der von lebhaften Zwischenrufen gekennzeichneten Debatte: „Stumpfsinnige demokratiefeindliche Verbotsfantasien ersetzen bei Ihnen den politischen Ideenwettbewerb.“ Dem Bundeskanzler warf die AfD-Chefin vor, „jedes einzelne“ seiner Wahlversprechen gebrochen zu haben.
SPD wirft Weidel und AfD vor, Russlands Interessen zu vertreten
Reaktionen auf Weidels Worte ließen nicht lange auf sich warten. Die SPD wies den „Titanic“-Vergleich der AfD-Chefin entschieden zurück. Das Schiff Deutschland sei zweifelsohne gerade auf hoher See mit einigen Herausforderungen, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese im Anschluss an Weidels Rede. „Die große Herausforderung für das Schiff Deutschland ist aber, dass es Menschen im Maschinenraum gibt, aus Ihrer Partei, die versuchen Löcher in das Schiff Deutschland reinzuhauen, weil sie nicht deutsche Interessen vertreten, sondern russische Interessen vertreten“, fügte er hinzu. Wiese verwies etwa auf Russlandreisen von AfD-Politikern. Zuvor hatte Weidel unter anderem gefordert, Deutschland solle wieder Öl und Gas aus Russland importieren.
Bundeskanzler Friedrich Merz griff den Rundumschlag Weidels in seiner Rede ebenfalls auf – und erteilte einer Zusammenarbeit mit der AfD eine klare Absage. Weidel habe während ihrer Rede die Krisen der Zeit völlig außer Acht gelassen, so der CDU-Politiker. „Wenn wir heute hier einen 12-Punkte-Plan für Deutschland hören, in dem auf die Krisen der Welt, auf den Krieg in der Ukraine, auf die großen Herausforderungen unserer Zeit, auf die Veränderungen hin zu autoritären Systemen in vielen Ländern dieser Welt, bis hin zu den großen Herausforderungen, vor denen die Europäische Union gestellt wird, kein einziges Wort gesagt wird – dann ist das keine Politik, die diese Bundesregierung mitgeht.“

Friedrich Merz (CDU) erteilte einer Zusammenarbeit mit der AfD eine Absage.
Copyright: Kay Nietfeld/dpa
Merz versprach anschließend erneut schnelle Sozialreformen und warb mit Blick auf die Rente für einen „neuen Konsens der Generationen“. Er räumte in der Generaldebatte zum Kanzleretat allerdings ein, dass die Erwartungen an das Reformtempo derzeit höher seien, als sie erfüllt werden könnten. Komplexe Sachverhalte erforderten aber komplexe Lösungen, sagte er an die Adresse der AfD. Einen konkreten Vorschlag zur Lösung des Rentenstreits mit den jungen Abgeordneten in seiner eigenen Fraktion machte er nicht.
Merz in Generaldebatte: „Europa ist kein Spielball“
Außenpolitisch beschwor der CDU-Chef den Zusammenhalt der Europäer im Ringen um einen Friedensplan für die Ukraine. „Europa ist kein Spielball“, sagte er. Der Ukraine versicherte er die Solidarität im weiteren Verhandlungsprozess. „Wir werden in der Unterstützung der Ukraine nicht nachlassen.“ Er bekräftigte seine Bemühungen, dafür auch das in der EU eingefrorene russische Vermögen zu nutzen.
„Wir wollen keine Friedhofsruhe, wir wollen keinen Frieden durch Kapitulation“, betonte der Kanzler. Ohne die Zustimmung der Europäer und Ukrainer werde es keinen Friedensschluss geben.
Merz war erst am Dienstagmorgen von einer Afrika-Reise zurückgekehrt, während der er an mehreren Beratungen über einen neuen Friedensplan für die Ukraine teilgenommen hat. In Genf entschärften Unterhändler führender europäischer Staaten in Gesprächen mit den USA und der Ukraine am Sonntag einen von US-Präsident Donald Trump vorgelegten 28-Punkte-Plan. Der Ausgang der weiteren Verhandlungen ist noch offen.
Vor allem wegen des Streits um das Rentenpaket der Koalition ist Merz in den vergangenen Tagen massiv unter Druck geraten. Die 18-köpfige Junge Gruppe verweigert ihm dabei die Gefolgschaft und bringt damit eine eigene Koalitionsmehrheit in Gefahr. Die Jungen akzeptieren ein 48-Prozent-Rentenniveau bis 2031 – sie lehnen wegen befürchteter Milliardenkosten aber ab, dass das Rentenniveau auch danach noch höher angesetzt wird als nach jetziger Rechtslage. (pst/dpa)
